Die kleine Schweiz leistet sich mit Agroscope ein eigenes Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung. Bei weniger als 50'000 landwirtschaftlichen Betrieben stellt sich die Frage: Kann und soll sich die Schweiz solch eine Institution überhaupt leisten? Rechtfertigt der Wunsch nach einer nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft den Aufwand?

Wir haben Eva Reinhard, die Leiterin von Agroscope, mit diesen Fragen konfrontiert und wollten wissen, wie sie den Wert dieser Forschungseinrichtung einschätzt und welche Herausforderungen sie sieht.

Frau Reinhard, wenn Sie Bäuerin wären, woran würden Sie forschen?

Eva Reinhard: Das hängt sehr vom Betrieb ab. Ich würde eher egoistisch vorgehen und mich fragen, wie und wo ich mehr verdienen und die natürlichen Ressourcen besser schützen kann als jetzt. Wichtig dabei wäre mir, herauszufinden, was die Konsumenten in fünf oder zehn Jahren auf dem Teller haben möchten, und mir die Frage stellen: Kann ich das auf meinem Betrieb produzieren? Ich würde beispielsweise auch abwägen, ob sich ein Hofladen oder andere Verkaufswege lohnen und welche wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen künftig gelten. In meiner Position als Leiterin von Agroscope darf ich aber nicht nur unsere eigenen Interessen verfolgen, sondern muss die Bedürfnisse vieler verschiedener Anspruchsgruppen berücksichtigen. Was gleich ist: Ich richte den Blick nach vorne und versuche, zu antizipieren.[IMG 2]

Wie bringen sich denn die Landwirte und die Bäuerinnen in die Forschung bei Agroscope ein?

Es gibt formelle Gefässe, etwa den Agroscope-Rat mit vier Vertretern aus der landwirtschaftlichen Praxis oder themenspezifische Fachgruppen. Wir haben auch regionale Versuchsstationen, auf welchen wir zusammen mit der Praxis forschen. On-Farm-Forschung und Begehungen von Feldversuchen sind ebenfalls wichtig. Zudem holen wir Bedürfnisse für unsere Arbeitsprogramme ab. So haben wir jüngst rund 600 Rückmeldungen für unsere Forschung ab 2026 erhalten – viele davon aus der Praxis. Besonders wertvoll empfinde ich die persönlichen Ideen der Landwirtinnen und Landwirte. Die ehrlichsten Gespräche führen wir oft bei zufälligen Begegnungen, etwa in Pausen an Anlässen. Zudem gibt es Landwirte, die mich einfach anrufen – das sind meist die besonders Interessierten. Man kann sicher sagen, dass sich in den letzten Jahren die Distanz zwischen Forschung und Praxis verringert und die Co-Kreation deutlich verstärkt hat.

Könnte diese Zusammenarbeit für Ihren Geschmack noch intensiver werden?

Ja, das könnte sie, aber das wäre nicht in allen Bereichen zielführend. Es ist wichtig, dass wir da auch ehrlich sind. Es braucht Co-Kreation, aber nicht überall. In manchen Bereichen verlassen wir uns ganz auf das Know-how der Bäuerinnen und Bauern. Es braucht die Landwirte, aber auch die Forschenden – und wichtig sind das Verständnis füreinander und der gegenseitige Respekt. Unsere Mitarbeitenden, die eng mit den Landwirtinnen zusammenarbeiten und nach Lösungen auf dem Feld oder im Stall suchen, sind nicht die gleichen wie jene, die im Labor forschen. Der Austausch unter allen muss gezielt sein. Wir müssen hören, was die Experten, die draussen mit den Landwirten arbeiten, berichten, und diese Erkenntnisse in unsere Forschung einfliessen lassen.

2018, bei Ihrem Stellenantritt, haben Sie gesagt, dass Sie Stillstand schlecht ertragen können. Wie sehen Sie das heute im Kontext Ihrer Arbeit?

Meine Sichtweise hat sich nicht geändert, aber die Zielerreichung erfolgt langsamer als erhofft. Wir kommen für meinen Geschmack in einigen Themen zu langsam voran, sind eher rück- als vorwärtsgerichtet. Das ist schade. Neue Regulierungen, zum Beispiel im Bereich Pflanzenschutzmittel oder unerwünschten Emissionen, haben den Druck erhöht und damit auch die Spannungen zwischen verschiedenen Akteuren. Das ist allerdings nicht nur negativ. Die Themen Landwirtschaft und Ernährung sind deswegen heute viel präsenter. Denken wir nur an die vielen Kochsendungen, Diskussionen über richtige Ernährung oder an politischen Initiativen. Das macht Agroscope und unsere Forschung relevanter und hilft, dass wir weniger hinterfragt werden.

«Was ist schützenswerter – nationale oder internationale Biodiversität?»

Eva Reinhard, Leiterin Agroscope.

Auf welche neuen Projekte oder Initiativen bei Agroscope sind Sie besonders stolz?

Ein grosser Teil unseres Erfolgs liegt darin, dass wir komplexe Zielkonflikte angehen und mögliche Lösungen aufzeigen. Hier nenne ich gerne die bessere Positionierung der gesamten Züchtung innerhalb von Agroscope, sei es die Pflanzenzüchtung oder die Tiergenetik. Ich bin überzeugt, dass die Züchtung und damit eine angepasste Genetik von Pflanzen und Tieren viele der grossen Herausforderungen näher an eine Lösung bringen. Unser Ziel ist es, schneller in die landwirtschaftliche Praxis zu wirken, und ich denke, wir haben darin deutliche Fortschritte gemacht.

Sie hatten das Ziel, dass Agroscope nicht mehr mit Fragen zur Daseinsberechtigung konfrontiert sein sollte. Wie weit sind Sie in diesem Prozess gekommen?

In meinem Alltag komme ich heute tatsächlich nicht mehr in die Diskussion, ob es Agroscope braucht. Diese Frage war 2018 noch stark präsent. Es gibt vielleicht immer noch einzelne Personen, die Zweifel äussern, aber insgesamt sind wir auf einem guten Weg und weniger unter Druck als vor 6,5 Jahren, als ich begonnen habe. Unsere Drittmittel sind klar gestiegen, was zeigt, dass wir national und auch international an Relevanz und Anerkennung gewonnen haben. Erfreulicherweise hat die Bedeutung der praxisorientierten Forschung zugenommen und es fliessen vermehrt Gelder in diesen Bereich. Das bestätigt unsere Verbesserungen.

Agroscope hat im Zusammenhang mit der Trinkwasser-Initiative eine entscheidende Studie veröffentlicht. Warum fehlten griffige Studien zu den Biodiversitätsförderflächen? Das hätte der Branche doch den Rücken gestärkt.

Tatsächlich forschen wir sehr viel im Bereich Biodiversität, und gerade in diesem Thema konnten wir besonders viele Drittmittel einwerben – teilweise auch aus dem Ausland. Eine meines Erachtens ganz wichtige Studie haben wir zum Thema Grenzschutz durchgeführt. Aus dieser Studie ging hervor, dass der Grenzschutz zwar negative Auswirkungen auf die Biodiversität in der Schweiz haben kann, weil er in manchen Fällen eine intensivere landwirtschaftliche Produktion fördert. Doch ohne Grenzschutz würden vermehrt Produkte aus dem Ausland importiert, die häufig unter wesentlich umweltschädlicheren Bedingungen produziert werden. Das bedeutet, dass wir ohne Grenzschutz eine grössere Umweltbelastung ins Ausland verlagern würden. Das führt zu einer ethischen Frage.

Inwiefern?

Der Grenzschutz mag national gesehen eine Herausforderungen für die Biodiversität darstellen, schützt jedoch global betrachtet die Biodiversität vor noch grösseren Schäden. Was ist also schützenswerter – die nationale oder internationale Biodiversität? Das ist eine Frage, die sich an die Gesellschaft und an die Politik richtet. Unsere Forschung zeigt, dass eine rein nationale Betrachtung oft zu kurz greift, und sie liefert damit Entscheidungsgrundlagen für eine mögliche Antwort.

Wieso leistet sich die Schweiz eine eigene Forschungsanstalt für Landwirtschaft? Ist das gerechtfertigt?

Es ist ein Luxus, den wir uns leisten, aber ein sinnvoller. In der Schweiz haben die Landwirtschaft, die Lebensmittelproduktion und -qualität einen hohen Stellenwert. Wir können uns das leisten und sollten es auch tun. Die unterschiedlichen, regionalen Produktionsbedingungen sprechen für ein Forschungsinstitut, das in der ganzen Schweiz forscht. Zudem ist die internationale Vernetzung wichtig, um unser Wissen über die Grenzen hinaus zu teilen. So können wir angesichts unseres relativ tiefen Selbstversorgungsgrads dem Ausland, das für uns Lebensmittel produziert, etwas zurückgeben.

Das Schweizer Nationalgestüt gehört auch zu Agroscope und scheint nicht selten emotional diskutiert zu werden. Man wirft Ihnen vor, es «an die Wand zu fahren». Wie stehen Sie zu diesem sehr plakativen Vorwurf?

Emotionen spielen immer mit, gerade beim Nationalgestüt. Oft geht es um die finanziellen Mittel. Es ist mir wichtig zu betonen, dass das Gestüt kein separates Budget hat, sondern über das allgemeine Agroscope-Budget finanziert wird. Bei Sparmassnahmen, wie sie derzeit in der Bundesverwaltung gelten, müssen wir all unsere Arbeiten hinterfragen und priorisieren. Das Nationalgestüt hat in der Verordnung eine klare Aufgabe, und diese können wir auch mit weniger Pferden und Personal erfüllen. Es ist und bleibt das Ziel, die einzige Pferderasse der Schweiz, den Freiberger, zu erhalten. Und ich hoffe, dass wir das zusammen mit dem Schweizerischen Freibergerverband und weiteren Partnern erreichen. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie das Nationalgestüt die unterschiedlichen Bedürfnisse bestmöglich erfüllen kann und tragfähig ist. Es braucht ein Verständnis für die Anliegen aus Forschung und Praxis. Ich wünsche mir, dass wir diese Energie zum Schutz der Freibergerpferde gemeinsam aufbringen.