Immer häufiger hört man nach Abstimmungen, ein Stadt-Land-Graben ziehe sich durch die Schweiz. So geschehen nach dem 13. Juni, an dem wir über die Pflanzenschutz-Initiativen und das CO2-Gesetz abstimmten. Oder nach dem Urnengang vom letzten Herbst, da ging es um die Revision des Jagdgesetzes.

Aufgebauscht von Medien und Politikern

Manchmal gewinnt das Land, manchmal die Stadt. Aber muss man bei unterschiedlichen Meinungen gleich von einem Graben sprechen? Viel eher scheint es, dass Medien und gewisse Politiker das Thema hochschaukeln und damit Klicks im Sommerloch generieren oder auf Stimmenfang gehen wollen. Mit seiner Aussage «links-grüne ‹Schmarotzer›-Städte», die aus seiner1.-August-Rede stammt, schaffte es beispielsweise Marco Chiesa (SVP-Präsident) in die Schlagzeilen diverser Medien.

In seinem Grusswort an der Abschlussfeier der Bäuerinnen am Stickhof erwähnte der Zürcher Regierungsrat Martin Neukom (Grüne) ebenfallsden Stadt-Land-Graben. Er rief dabei zu gegenseitigem Verständnis auf. Weiter ist Neukom jedoch überzeugt, dass die Absolvent(innen) der Bäuerinnenschule durch ihre breite und fundierte Ausbildung für diese und weitere Herausforderungen in der Landwirtschaft gerüstet seien.

Nicht alle leben in der gleichen Lebenswelt

Erwähnenswert war der vermeintliche Stadt-Land-Graben auch für Bundesrätin Karin Keller-Sutter in ihrer Rede am 1.-August-Brunch im luzernischen Kleinwangen: Natürlich gebe es in der Schweiz unterschiedliche Lebenswelten, Bedürfnisse und verschiedene Ansichten. Das sei nicht neu, sondern Ausdruck der Vielfalt der Schweiz. Die Herausforderungen könnten jedoch nicht gemeistert werden, indem ein neuer Kulturkampf heraufbeschworen werde. Die Schweiz könne diese nur gemeinsam bewältigen, ist Keller-Sutter der Meinung.

Wie unterschiedlich die Lebenswelten sein können, erlebte ich erst kürzlich bei einer Tramfahrt in Zürich. In Zeiten von schlechten Erntebedingungen, Überschwemmungen und Wolfsattacken hatten zwei sehr urbane Männer kein dringlicheres Thema, als lautstark darüber zu diskutieren, wie man richtig Tee kocht. Mit Elektrokocher oder Induktionsherd gehe das gar nicht. Sonst sei man nach dem Tee trinken ja total Strahlen-verseucht. Man(n) nimmt mit Teewasser gereinigte Kohle und köchelt auf einem Rechaud. Der Duft sei betörend und der Rauch reinige die Aura. Dass während des Gesprächs das Handy in regem Gebrauch war, versteht sich von selbst.

Mit Poltern bringt man niemand auf seine Seite

Nun kann man sich über solche Menschen fürchterlich aufregen, sie vielleicht sogar dumm finden und vehement auf der Idee von einem Stadt-Land-Graben beharren. Man kann aber auch der Meinung sein, dass diese zwei Städter einfach in einer ganz anderen Wirklichkeit unterwegs sind. Mit Poltern und auf schlechte Stimmung machen bringt man sie ganz sicher nicht zu sich ins Boot oder vielleicht noch besser, auf den Traktor oder in den Stall.

Dieser Meinung ist auch Junglandwirt Marco Stettler. Mit ihm unterhielt sich die BauernZeitung über die aktuelle Agrarpolitik. Er erlebe manchen Aha-Moment in Gesprächen mit seinen Kundinnen und Kunden, sagt er. Der Stadt-Land-Graben gibt es bei Stettler nicht. Er setzt auf einen klärenden Dialog, Informationen via Soziale Medien und will statt einer Label-Fülle, dass jeder einzelne von uns mit seinem Tun überzeugt und eine glaubwürdige wie auch starke Marke ist.

Sich nicht auf eine Seite des dahergeredeten Graben verbannen lassen

Fast würde man meinen, Sofia de Meyer, Saftproduzentin und Verfechterin der regionalen Kreislaufwirtschaft, hätte Marco Stettler ebenfalls zu einem Gespräch getroffen. Die Verarbeiterin von regionalen Produkten will authentisch sowie nahe bei Kunden und Produzenten sein, wie sie im Interview sagt. In ihrem Wirtschafts-modell setzt sie auf Konsumen(tinnen) und Landwirt(innen), die sich kennen. Das schaffe Verständnis und Vertrauen und am Ende gar eine hohe Wertschöpfung.

Menschen wie Marco Stettler und Sofia de Meyer machen Mut und Lust auf eine konstruktive Auseinandersetzung. Sie lassen sich nicht auf eine Seite eines dahergeredeten Grabens verbannen und rücken sich auf diese Art auch kein Abstimmungsresultat zurecht. Sie gehen interessiert und engagiert auf andere zu, weil sie weiterkommen wollen. Wenn alle einen Schritt aufeinander zu machen würden, wäre das viel besser investierte Zeit, als Gäben zu graben, in die man schlussendlich nur selber hineinstolpern kann.