Mittlerweile wurden die dominanten Jagdgesetz-­Plakate von den Fassaden gerissen und durch traurige Kinderaugen ersetzt. Auf vielen bernischen Balkonen weht  neben dem sterbenden Basilikum-und Thymianstrauch die orange Fahne mit der weissen Aufschrift: Ja zur Konzernverantwortungs-Initiative.

Beispiel: Glencore und ihre Kupfermine in Sambia

Es war ein heisser Sommerabend im Jahr 2018, als ich in einem überfüllten Zimmer eines Industriegebäudes das erste Mal von der Konzernverantwortungs-Initiative hörte. Die Teilnahme am Infoabend war ein persönlicher Entscheid. Ich wollte wissen, was es mit dem griffigen Initiativ-Text auf sich hat. So nahm ich meine Kollegin an der Hand und anstatt an der Aare mit einem «Bärnermüntschi» auf irgendetwas anzustossen, schauten wir zu, wie über die improvisierte Leinwand  Bilder von vergifteten Kindern in der Nähe der Glencore-Anlage im afrikanischen Sambia flimmerten. Das erfrischende Bier an der Aare, worauf wir an diesem Abend verzichteten, schien schnell irrelevant.

Konzernverantwortungs-Initiative wird von allen Seiten her seziert

Zwei sympathische, aber etwas naiv wirkende Frauen legten den anwesenden Zuhörern und Zuhörerinnen ans Herz, wie schwierig und wichtig die Abstimmung im 2020 sein würde. Der Raum füllte sich während des Abends zunehmend mit (Informations-)durstigen Leuten. Abstandsregeln kannte man zu diesem Zeitpunkt nur im Basketball. Die Referentinnen hatten mit ihrer Prognose Recht: Seit die Konzernverantwortungs-Initiative auf dem Tisch liegt, wird sie von namhaften Wirtschaftsverbänden und bürgerlichen Parteien seziert. Dabei gibt es zum Teil sogar innerhalb der Parteien tiefe Gräben.

Menschenrechte und minimale Umweltstandards sollen eingehalten werden

Zuerst spitzte der Nationalrat den Bleistift  und verfasste einen Gegenvorschlag, der auf den ersten Blick vielversprechend aussah. So gut, dass die Initianten, die mehrheitlich aus Nichtregierungsorganisationen zusammengesetzt sind, ihren Vorschlag beinahe zurückpfiffen. Die Kommission verwässerte den Gegenvorschlag aber doch noch, daher hielten die Initianten an ihrer Forderung fest. Die Initiative verlangt, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland respektieren müssen. Auch deren Tochterfirmen, Zulieferer und Geschäftspartner würden bei Verstössen im Ausland alle zur Kasse gebeten. Zudem müssten alle Schadensfälle, die diese Unternehmen verursachen, von Schweizer Gerichten und nach Schweizer Recht beurteilt werden.

Den verkrampten Griff vom Schwimmbeckenrand lösen

Der Ständerat schreckte vor diesen Forderungen ebenfalls zurück und beharrte lange auf dem Gegenvorschlag: Konzerne, die multinationale Geschäfte führen, sollen lediglich über ihre Tätigkeiten berichten müssen. Sanktionen sollen nicht umgesetzt werden. Es fühlt sich an, als würden sich unsere Minister und Wirtschaftsverbände, welche mehrheitlich gegen die Initiative sind, am Beckenrand des Schwimmbads festhalten wollen. So lange, bis man sie mit Haftungsregeln dazu verpflichtet, den verkrampften Griff vom Rand zu lösen und loszuschwimmen.

Wenn nicht wir, wer dann?

Es ist verständlich, dass es angenehmer wäre, frei zu entscheiden, was verantwortungsvoll ist und was nicht. Aber es scheint so, als bräuchte es den moralischen Revolver an der Schläfe, um Unternehmen dazu zu bringen, das Richtige zu tun. Hilfesuchend blicken Konzern-Chefs von Nestlé oder Total nach links und rechts und zeigen mit dem Finger auf Europa, wo «nicht mit den gleichen Regeln gespielt wird». «Das wäre ein Sololauf der Schweiz» und: «Das benachteiligt unseren Wirtschaftsstandort massiv», heisst es bei den Gegnern. Aber wenn die Schweiz als eines der reichsten Länder nicht mit einem gutem Beispiel vorangeht, wer soll es sonst tun? Diverse Studien belegen, dass die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards – so, wie dies nun auch grenzübergreifend gefordert ist – Firmen nicht benachteiligt. Im Gegenteil: Es verbessere den Ruf und die Glaubwürdigkeit einer Firma und somit auch die Wettbewerbsfähigkeit, so BDP-Präsident Martin Landolt.

Nicht-Einhaltung darf kein Geschäftsmodell sein

Die Nicht-Einhaltung von internationalen Standards darf kein Geschäftsmodell sein. Und einfach die Hände zu verwerfen und zu sagen, es sei zu schwierig, empfinde ich auch nicht als besonders verantwortungsvoll. Ebenso wenig, wie wenn sich die Gegnerstimmen aus der Ecke herauszureden versuchen: «Zum Teil kennen wir unsere Tochterfirmen ja gar nicht». Mag sein. Dann müssen multinationale Unternehmen ihre Lieferketten halt kennenlernen und kontrollieren, nach Lösungen suchen, bei Bedarf Hilfe holen und eben: Verantwortung übernehmen.