Wer in einem Bergkanton aufgewachsen ist, kennt es fast nicht anders: In diesen Regionen ist der Anbindestall seit jeher die Regel. Schweizweit stehen noch immer über 40 Prozent der Kühe in einem Anbindestall, über 80 Prozent dieser Betriebe nehmen am RAUS-Programm teil. Es gibt verschiedene Gründe, weshalb der Anbindestall nach wie vor gängig und im Berggebiet die Regel ist; natürlich gewachsene Strukturen und die Platzverhältnisse im Berggebiet sind nur zwei davon.

International nimmt der Druck zu

Doch es ist bekannt: Der Anbindestall steht unter Druck, nicht nur Tierschützer sehen die Haltungsform als problematisch an. So haben die Regierungen mehrerer europäischer Länder die Regelungen zur Anbindehaltung in den letzten Jahren verschärft. In Dänemark etwa stand sie über Jahre unter Beschuss, ab 2027 sollen Anbindeställe durchs Band verboten werden. Natürlich lassen sich die politischen Bestrebungen im Ausland nicht eins zu eins auf die Schweiz übertragen. Aber sie zeigen einen gesellschaftlichen Trend, der in Mitteleuropa um sich zu greifen beginnt: Viele wollen weg von der (traditionellen) Anbindehaltung. Heisst das folglich, dass der Anbindestall ein alter Zopf, ein Auslaufmodell ist?

Die Mitgliederversammlung der IG Anbindestall vor zwei Wochen hat ein Problem ganz deutlich gezeigt: Die Einladung hat vor allem die ältere Generation nach Thun gezogen. Engagierter Nachwuchs ist jedoch vereinzelt da und will sich künftig im Vorstand mit einbringen. Nach wie vor erachten junge Landwirte also die Anbindehaltung in Kombination mit regelmässigem Weidegang als das Beste für ihren Betrieb – und sie engagieren sich dafür.

Wird dereinst der Markt bestimmen?

Gesamtgesellschaftlich gesehen wird es diese Haltungsform jedoch zunehmend schwieriger haben. Nicht etwa, weil der politische Gegenwind plötzlich zum Sturm werden könnte, sondern weil sich die Konsumgewohnheiten und die Präferenzen der Kundschaft verändern. Christian Hofer, Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft, machte in der Alten Reithalle in Thun denn auch entsprechend deutlich: Die aktuelle Agrarpolitik sehe kein Verbot der Anbindehaltung vor. Nicht einmal die strenge Massentierhaltungs-Initiative (MTI) habe darauf abgezielt. Vielmehr sei es der Markt, welcher dereinst zur Abkehr zwingen könnte, betonte der BLW-Direktor.

Demnach ist die entscheidende Frage also vielmehr, wie lange die Milchabnehmer Milch aus Anbindehaltung annehmen wollen und vor allem verkaufen können. In Deutschland haben mehrere Detailhändler den Schritt weg von Produkten aus Anbindeställen bereits eingeleitet, am weitesten geht Aldi: Ab 2030 findet sich im Regal keine Milch mehr von Kühen, die das Winterhalbjahr angebunden im Stall verbringen. Das dürfte auch für den Schweizer Käseexport Konsequenzen haben.

Das Problem des entfremdeten Konsumenten

Eines steht im Hinblick auf das Gros der Konsumentinnen und Konsumenten nämlich ausser Frage: Es fehlt für viele Problemstellungen das landwirtschaftliche Wissen. Je stärker sich ein grosser Teil der Gesellschaft von der Landwirtschaft entfremdet, desto weniger Verständnis ist vorhanden für die Beziehung zwischen einem Nutztierhalter und seinen Tieren und für die Viehhaltung allgemein. Man hat im Zuge der MTI sehen können, wie häufig die eigenen, menschlichen Bedürfnisse auf das Tier übertragen werden – was per se eine schöne Sache ist. Aber leider oftmals realitätsfremd und unfundiert.

Betriebe müssen ihr Potenzial ausschöpfen können

Es mag gelingen, dass man die Akzeptanz für die Haltungsform Anbindestall im direkten Dialog mit einzelnen Konsument(innen) erhöhen kann. Der Verweis auf die oft schwierigen Platzverhältnisse, die Teilnahme vieler Betriebe am RAUS-Programm und die Sicherheit im Stall leuchten vielen ein. Viel schwieriger ist es, einer nicht-landwirtschaftlichen Bevölkerung den Einsatz des Elektrobügels, des Kuhtrainers verständlich zu machen. Eine «körperliche Erziehung» ist mit dem idealisierten Bild von einem Kuhstall, das aller Kritik zum Trotz noch in vielen Köpfen stecken mag, schlicht nicht vereinbar. Zusätzliches Wasser auf die Mühlen der Verbotsbefürworter giessen dürfte aktuell die SRF-Serie «Neumatt». Der dort zu sehende Anbindestall strahlt nicht eben das aus, was die Konsument(innen) sich unter einem schönen, tierfreundlichen Stall vorstellen. So eine Darstellung trägt bestimmt nicht zu einem positiven Image bei. Wenn wir aber auch künftig eine vielfältige, starke Landwirtschaft haben wollen, dann muss es möglich sein, dass Betriebe ihr jeweiliges Potenzial sinnvoll und standortgerecht ausschöpfen können. Und dafür muss unter anderem auch die Wahlfreiheit punkto Haltungsform gegeben sein. Trotzdem: Wer auf Anbindehaltung setzt – und sei es auch mit den besten Gründen –, muss künftig wohl mit immer mehr Gegenwind rechnen. Hoffen wir, dass sich dieser nicht zum Sturm entwickelt.