Schon zirkulieren die Unterschriftenbögen der neuen Initiative «für eine sichere Ernährung». Der Andrang zur Medienkonferenz in Bern als Startschuss der Unterschriftensammlung hielt sich Mitte Juni – exakt zwei Jahre nach der Abstimmung über die Trinkwasser-Initiative – zwar in Grenzen, aber die reservierte Haltung der Landwirtschaft gegenüber dem neuen Anliegen der Mit-Initiantin Franziska Herren ist bereits spürbar.
Gleiches Anliegen, anderes Etikett
Die Frau, die im Abstimmungskampf 2021 ein rotes Tuch für die Landwirtschaft war, kommt also erneut um die Ecke. Sie verfolgt unter anderem Etikett die gleichen Anliegen: Trinkwasserqualität verbessern, Biodiversität stärken, Bodenfruchtbarkeit erhöhen, Selbstversorgungsgrad anheben, Höchstwerte für Dünger einhalten, pflanzliche Nahrungsmittel fördern. Viele Medienhäuser betiteln die Initiative schon als die «nationale Vegi-Initiative». Gemäss dem Initiativkomitee fliessen 82 % der «Agrarsubventionen» in die Produktion von tierischen Lebensmitteln, während nur 18 % in pflanzliche Lebensmittel investiert würden, heisst es.
Man muss die Zahlen relativieren
Das Komitee kritisiert auch die ungleichmässige Absatzförderung für tierische (40 Mio Fr.) gegenüber pflanzlichen Lebensmitteln (4 Mio Fr.). Diese Zahlen gilt es allerdings zu relativieren: Gemäss offiziellen Unterlagen des Bundesamtes für Landwirtschaft, worin das Umsetzungsprogramm der landwirtschaftlichen Absatzförderung genau aufgeschlüsselt ist, laufen im Jahr 2023 gesamthaft mindestens 13,8 Mio Fr. und maximal 15,28 Mio Fr. in die Absatzförderung tierischer Lebensmittel. Dazu kommt die maximale Finanzhilfe für die Absatzförderung von Käse (In- und Ausland) von 23 Mio Franken. Für die Absatzförderung von Gemüse, Pilzen, Obst, Getreide, Ölsaaten, Kartoffeln und Wein wird der Staat dieses Jahr gesamthaft maximal 7,96 Millionen Franken ausgeben.
«Diese Subventionspolitik verschärft die Klimakrise, zerstört die Umwelt und macht unsere Lebensmittelversorgung vom Ausland abhängig. Das Gegenteil von Ernährungssicherheit», monieren die Initiantinnen und Initianten, denen sich unter anderem auch ein Landwirt, eine Biobäuerin, ein Fleischverarbeiter, der ehemalige Chef der Sektion Grundwasserschutz beim Bundesamt für Umwelt und der Co-Präsident des Trinkwasserverbands AWBR angeschlossen haben.
«Schon wieder?»
Die Haltung, in der Landwirtschaft würde sich nichts bewegen, oder wenn sich etwas bewege, dann zu langsam, ist für viele landwirtschaftliche Berufsleute sicherlich zermürbend. Ich verstehe diejenigen Bauernfamilien, die jetzt am Küchentisch sitzen, seufzen und denken: «Schon wieder?» Doch gehört es wohl zum heutigen Anforderungsprofil an die Landwirtschaft, sich diesen Ansprüchen zu stellen und weiter an der Erreichung der Umweltziele zu arbeiten.
Man muss wissen, worum es geht
Unsere Aufgabe als landwirtschaftliche Zeitung wird es sein, die Landwirte und Landwirtinnen über diese neu lancierte Initiative und auch über alle kommenden landwirtschaftskritischen Initiativen zu informieren. Es ist unumgänglich, die Anliegen ernstzunehmen – auch wenn die Ablehnung gegenüber der Initiantin womöglich immer noch nachhallt. Wir werden den Prozess begleiten. Schliesslich kann man Argumente nur formen, wenn man weiss, worum es geht.
Was sagt die Nachfrage?
Was sich konkret für die produzierende Landwirtschaft ändern würde, ist hinsichtlich der Ernährungs-Initiative noch ungewiss. Schon heute gestalten die Landwirte und Landwirtinnen ihre Fruchtfolge auf Nachfrage, also aufgrund des sich wandelnden Konsumverhaltens, um. Bisher ist von dieser Seite her allerdings wenig Änderungswille zu erkennen. So veränderte sich der totale Fleischverbrauch gemäss Zahlen der Branchenorganisation Proviande vom Jahr 2021 gegenüber 2022 um lediglich −0,9 %.
Dafür oder dagegen, wird sich zeigen
Einen Netto-Selbstversorgungsgrad von mindestens 70 % anzustreben, wie es die Initiative vorsieht, ist per se nichts Besorgniserregendes. Allerdings dürfte es agronomisch gesehen schwierig werden, die geforderte Ausdehnung von Kulturen zur menschlichen Ernährung umzusetzen, zumal diese nicht auf allen Böden gedeihen. Hinzu kommt die Einhaltung der Anbaupausen zwischen den jeweiligen Kulturen, die aus fruchtfolgetechnischer Sicht zentral ist.
Ob man mit landwirtschaftskritischen Initiativen nicht eher gegen einen höheren Selbstversorgungsgrad arbeitet, wird sich zeigen.
