Kostenwahrheit ist in verschiedenen nationalen Strategien und dem Bericht des Bundesrats zur künftigen Agrarpolitik ein Thema. Auf internationaler Ebene habe die Welternährungsorganisation (FAO) zweimal ihren Jahresbericht der Kostenwahrheit gewidmet. Das sei beispiellos, sagte Rolf Arnold von der Uni Bern. Er erklärte seinem Publikum an der HAFL in Zollikofen BE, bei wahren Preisen gehe es nicht nur teurere Lebensmittel für Konsument(innen).
Das Potenzial ausschöpfen
«Kostenwahrheit kann dazu dienen, verbindliche Nachhaltigkeitsziele für den Detailhandel festzulegen», gab Rolf Arnold ein Beispiel. Basierend auf solchen Berechnungen, die auch Umwelt-, Sozial- und Gesundheitskosten eines Produktes berücksichtigen, könnten auch Verbote von Werbung oder Aktionen für Lebensmittel mit grossen negativen Nebeneffekten erlassen werden. Weitere mögliche Einsatzgebiete sieht er in der Inwertsetzung von Nachhaltigkeitsleistungen in der Landwirtschaft, dem Erstellen nachhaltiger Menüpläne in der Gastronomie oder besserer Transparenz gegenüber den Konsument(innen). «Es gilt, das derzeitige Momentum als einmalige Chance zu nutzen und das Potenzial auszuschöpfen», schloss Arnold.
HAFL-Dozent Thomas Brunner arbeitet zusammen mit Rolf Arnold an einem breiten Projekt über die Einführung von Kostenwahrheit für Lebensmittel in der Schweiz. Erste Umfrageresultate würden zeigen, dass Schweizer Konsument(innen) nach einer Kurzinformation über das Konzept dem Ansatz vertrauen würden. «Wichtig ist ihnen aber auch, dass Lebensmittel erschwinglich bleiben», so Brunner.
«Ich würde mir mehr und einfache Informationen wünschen, die man direkt am Verkaufspunkt verstehen kann», sagte Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz. Von den zur anschliessenden Podiumsdiskussion geladenen Gästen zeigte sie sich für das Konzept der Kostenwahrheit am offensten. «Die Konsumenten vergleichen oft nicht, wo ihr Geld verschwindet», gab sie zu bedenken.
Beim Offensichtlichen sparen
«Das wird zu stark ausgenutzt.» Statt, dass bei überteuerten Mobilfunkabos oder Versicherungen gespart werde, greife man z. B. zum günstigeren Poulet statt zu Bio-Variante. Wenn nicht nur Herstellungs-, sondern auch externe Kosten dank Kostenwahrheit in die Preise eingerechnet würden, wäre ihrer Meinung nach die bessere Wahl klar.
Er bezweifle, dass man echte Kosten sauber berechnen kann, so die Meinung von Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands (SBV). «Wir verfolgen das Projekt zur Kostenwahrheit intensiv, und ich finde es spannend, habe aber grosse Fragezeichen bei der Umsetzung.» Schliesslich fresse ein Bio-Poulet bis zur Schlachtreife doppelt so viel wie ein konventionelles, gab er ein Beispiel für die vielen Faktoren, die es zu berücksichtigen gäbe. «Ich habe Zweifel, dass sich das alles in eine Formel packen lässt.»
Der SBV setze sich zugunsten seiner Mitglieder für gute Produzentenpreise ein. «Sie sollen die Produktionskosten decken und einen anständigen Stundenlohn ermöglichen», erläuterte Martin Rufer. «Das sind diese ominösen 17 Franken pro Stunde – wir wollen eher in Richtung 40 Franken.» Er sei völlig für mehr Transparenz, auch was Produktionsmethoden angehe. Rufer wehrte sich aber dagegen, dass die Podiumsdiskussion zusehends Richtung Margen-Problematik abdriftete. «Bei der Kostenwahrheit geht es nicht um Margen, das sollte man nicht vermischen.»
Kritik nützt nichts
Trotzdem erklärte der SBV-Direktor, er investiere all seine Energie in gute Produzentenpreise und entsprechende Verhandlungen, da sei der Verband kompetent und resolut. «Hingegen verwende ich keine Kraft auf Margenkritik, denn ich kann nicht beurteilen, wer zu viel verdient.» Als Bauer lebe man nicht besser, wenn man andere angreife. «Wir haben die Zahlen zu den Margen nicht und hätten durch die Kritik daran morgen auch keinen höheren Produzentenpreis», schloss Rufer.
Auch Fenaco-CEO Martin Keller gab sich skeptisch gegenüber Kostenwahrheit. «In einer idealen Welt wäre das wünschenswert, und zwar international», stellte er klar. Er sieht die Gefahr, dass sich die Schweiz durch ein Vorpreschen mit Kostenwahrheit einen Wettbewerbsnachteil einhandelt. «Angesichts all der Faktoren, die da in den Preis einfliessen sollten, wären Konsumenten und Produzenten überfordert», denkt Keller. Man müsse realistisch sein und anerkennen, dass generell unter Zeitdruck und nach Gefühl eingekauft werde. «Es geht um Vertrauen und wenn wegen des besseren Gefühls zum Suisse-Garantie-Produkt gegriffen wird, ist schon viel erreicht.»
An die Forschenden richtete er den Appell, die Kostenwahrheit «wirklich wissenschaftlich, nicht ideologisch» anzugehen. Sie sollten etwa nicht von einem Wunschbild mit reduzierter Tierhaltung ausgehen.
Eine Frage der Darstellung
«Die Konsumenten würden Kostenwahrheit verstehen – aber man muss es auch verständlich darstellen», hielt Sara Stalder fest. «Manchmal braucht es halt einfach eine Lösung, die nicht ganz perfekt, dafür aber verständlich ist.» Die Diskussion habe für ihn bestätigt, dass die Kostenwahrheit noch nicht reif für die Umsetzung sei, so das Fazit von Martin Rufer. «Aber die Wertschätzung für Lebensmittel sollte steigen, da ist man sich einig.»
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