Micarna wird im Bauprojekt eines neuen Geflügelschlachthofs im freiburgischen St-Aubin auf der Zielgeraden ausgebremst. Es hagelt eine Flut von Einsprachen, was sogar zu einem Beitrag im Schweizer Fernsehen (SRF) führt. Federführend scheinen Umweltorganisationen zu sein. Im Gespräch mit der Migros und Tochter Micarna wird klar: Für eine Umsetzung braucht es nun die Kraft der ganzen Wertschöpfungskette. Wird in St-Aubin nicht gebaut, verliert die Schweizer Landwirtschaft ihre grösste Schlachtkapazität im Pouletbereich. Die BauernZeitung hat das Baugelände besichtigt und Migros zum Projekt befragt.[IMG 2]
In mehreren Medien heisst es, dass gegen den Bau des neuen Geflügelschlachthofs in St-Aubin FR 1800 Einsprachen eingereicht wurden. Können Sie erläutern, welche Hauptpunkte in diesen Einsprachen thematisiert wurden?
Tristan Cerf: Die 1800 Einsprachen beziehen sich auf alle sieben Baueingaben. Gegen das Projekt des Geflügelschlachthofs sind rund 560 Einsprachen aus der ganzen Schweiz eingegangen. Über den aktuellen Stand des Bewilligungsverfahrens kann die Gemeinde Auskunft erteilen. Im Kontext der Einsprachen gilt Folgendes noch zu berücksichtigen: Aus der Gemeinde Saint-Aubin haben insgesamt 60 Personen eine oder mehrere Einsprachen gegen mindestens eines der sieben eingereichten Projekte auf dem Agrico-Areal eingereicht. Stellt man diese lokale Anzahl der Einsprachen der Gesamtzahl aller Einsprachen gegenüber, dann zeichnet das ein deutlich anderes Bild ab, als es bis anhin wahrgenommen wird.
Welche Bedenken wurden denn geäussert, und wie wollen Sie darauf reagieren?
Micarna legt Wert auf Transparenz und den Dialog mit der Bevölkerung aus der Region und nimmt deren Bedenken ernst. Ein Beispiel dafür ist die Informationsveranstaltung im Juni 2024, bei der Bürgerinnen und Bürger aus Saint-Aubin und der Umgebung die Möglichkeit hatten, sich direkt mit Fachexperten auszutauschen und Fragen zu stellen. Dabei wurden gezielt Themen wie Wasser, Geruch, Verkehr und Futtermittel in den Mittelpunkt gerückt, um einen offenen Diskurs zu ermöglichen.
Wie bewerten Sie die Rolle der Umweltschutzorganisationen in dieser Debatte?
Der neue Schlachthof wird in vielen Bereichen nachhaltiger sein als der aktuelle Schlachthof. Von diesen Fortschritten in der Nachhaltigkeit kann umso schneller profitiert werden, je früher der Betrieb aufgenommen werden kann.
Die Bedenken rund um den Wasserverbrauch, die Verschmutzung der Gewässer und die Nähe zum Naturschutzgebiet sind gross. Wie stellen Sie sicher, dass die Anlage umweltfreundlich ist und die Tierschutzrichtlinien eingehalten werden?
Der Wasserverbrauch war von Anfang an ein wichtiges Thema bei der Planung, und es wurden frühzeitig Lösungen eingeplant, um den Wasserverbrauch zu reduzieren. Für die Produktion ist Wasser eine entscheidende Ressource, um die hohen hygienischen Standards in der Fleischproduktion zu gewährleisten. Im neuen Geflügelschlachthof wird der Wasserverbrauch beispielsweise um ein Drittel pro Poulet gesenkt. Auch die Mehrfachnutzung ist vorgesehen: Wasser wird in jedem Fall mehrfach verwendet. Für die technische Kühlung wird Regenwasser und aufbereitetes Wasser aus der Kläranlage genutzt. Besondere Vorkehrungen wurden getroffen, um eine Verschmutzung im normalen Betrieb auszuschliessen. Dazu: Das neue Gebäude wird mit erneuerbarer Energie versorgt.
Gibt es zusätzliche Massnahmen zur Verbesserung des Tierwohls?
Tierwohl ist zentral und hat selbstverständlich auch im neuen Schlachthof einen hohen Stellenwert. Nur gesunde Tiere gewährleisten eine hohe Produktqualität. Der neue Schlachthof berücksichtigt die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Tierwohl. Zum Beispiel wird ein schonenderes Betäubungssystem durch neue Technologien eingesetzt oder der Wartebereich so optimiert, dass er explizit auf die Bedürfnisse der Tiere abgestimmt ist.
«Der Ersatzneubau trägt massgeblich zur Versorgungssicherheit bei.»
Tristan Cerf, Mediensprecher Migros-Genossenschafts-Bund.
Ein zentraler Punkt der Einsprachen ist die Verkehrslast, die durch den Schlachthof entsteht. Wie planen Sie, den erhöhten Verkehr und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Region zu bewältigen?
Lkw-Verkehr ist bei der Produktion von Frischwaren unvermeidlich. Allerdings engagiert sich Micarna aktiv dafür, die Auswirkungen auf die umliegenden Dörfer und den Standort von Agrico selbst so gering wie möglich zu halten. Die Zufahrt für Lkw von der Autobahn ist über das Industriegebiet geplant, wodurch kein zusätzlicher Lkw-Verkehr in den Dörfern entsteht. Darüber hinaus finden die Lkw-Fahrten ausschliesslich innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Zeiträume statt und werden in der Regel gut über den Tag verteilt. Ein Mobilitätskonzept für den Standort von Agrico ist geplant, um Lösungen für die Mitarbeitenden der Unternehmen in der Zone zu konzipieren und zu optimieren.
In Zahlen:
30 Mio Poulet könnten am geplanten Standort in St-Aubin geschlachtet werden. Das sind 4 Mio weniger als bisher in Courtepin FR,
500 Arbeitsplätze würden vom alten an den neuen Standort verlegt,
500 Schweizer Pouletproduzenten liefern bisher in diesen Kanal,
2 Lastwagen würden in St-Aubin pro Stunde ankommen,
400 Mio Franken würde der Neubau in St-Aubin kosten.
Wurden alternative Standorte für die neue Geflügelfabrik in Betracht gezogen, um den Widerstand zu minimieren? Warum wurde letztlich Saint-Aubin gewählt?
Micarna will im Kanton Freiburg bleiben. Neben der Verbundenheit mit dem Kanton Freiburg spielte auch die Nähe zu Courtepin und zur Landwirtschaft eine Rolle. Saint-Aubin liegt lediglich 15 km von Courtepin entfernt, was für die Mitarbeitenden einen erheblichen Vorteil darstellt und auch die Koordination beider Standorte vereinfacht. Zudem ist die Landwirtschaft ein wichtiger Pfeiler für die Produktion von Micarna. Die Micarna arbeitet mit etwa 550 landwirtschaftlichen Partnerbetrieben zusammen, von denen rund 175 im Kanton Freiburg ansässig sind.
Die neue Schweizer Ernährungspyramide zeigt einen klaren Trend zu weniger rotem Fleisch und zu einer stärkeren Förderung von Geflügel. Wie sehen Sie die Entwicklung des Fleischkonsums und welche Rolle spielt der geplante Schlachthof in dieser Veränderung?
Der Trend im Fleischkonsum geht in Richtung Geflügel. Mit dem Ersatzbau wird die Versorgung der Bevölkerung mit Schweizer Geflügelfleisch sichergestellt und damit die hohen Schweizer Standards und die lokale Wertschöpfung garantiert.
Wie reagieren Sie auf die Bedenken von Tierschutzorganisationen, die sich grundsätzlich gegen die Fleischproduktion und insbesondere gegen Grossprojekte mit Schlachtungen von bis zu 30 Millionen Tieren pro Jahr aussprechen?
Die Migros bietet für alle Ernährungsgewohnheiten ein breites Sortiment, sowohl im Fleischbereich als auch mit einem umfangreichen Sortiment an pflanzenbasierten Produkten. Die Nachfrage nach Geflügel steigt jedes Jahr an. Der Ersatzbau ermöglicht es, die Nachfrage nach Geflügel mit Schweizer Poulet zu decken. Schweizer Poulet steht für unsere Kundschaft für Qualität, Nachhaltigkeit und lokale Produktion. Es wird nach strengen Standards produziert, die sowohl die Tiergesundheit als auch das Tierwohl berücksichtigen. Durch den Kauf dieser Produkte unterstützt man die lokale Landwirtschaft, fördert Arbeitsplätze in der Region und reduziert gleichzeitig die Umweltbelastung durch kürzere Transportwege.
In der Schweiz gibt es einen Trend zu weniger Fleischkonsum und mehr pflanzlichen Alternativen. Wie passt das Projekt in Ihre langfristige Strategie, insbesondere in Bezug auf nachhaltige Ernährungstrends?
Als Migros respektieren wir die individuellen Ernährungsweisen unserer Kundschaft und bieten daher ein vielseitiges Sortiment an. Mit der Einführung der veganen Produktlinie V-Love im Jahr 2022 haben wir auch bei Fleischalternativen eine führende Marke in der Schweiz etabliert.
Was ist die Alternative, wenn in der Schweiz ein solches Projekt nicht realisiert werden kann?
Der Ersatzneubau trägt massgeblich zur Versorgungssicherheit in der Schweiz bei. Wenn es in der Schweiz zu einem Mangel an Poulets kommt, ist der Import aus dem Ausland die einzige Lösung, um der Nachfrage nachzukommen. Dies wäre alles andere als nachhaltig.
Für Micarna einstehen
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Kommentar von Simone Barth
Das geplante Geflügelschlachthof-Projekt in St-Aubin ist ein Leuchtturmprojekt im Bereich der Nachhaltigkeit. Es zeigt, dass die Lebensmittelindustrie ernsthafte Schritte in Richtung ökologische Verantwortung unternimmt.
Auch wenn es vielen Kreisen nicht passt: Der Konsum von Pouletfleisch wird sich in der Schweiz nicht einfach reduzieren lassen, und der Import von slowenischem Poulet oder weiteren Alternativen ist keine Lösung, da diese weder den hohen Schweizer Standards entsprechen noch ökologisch vertretbar sind.
Entscheidend ist jetzt, dass die ganze Wertschöpfungskette bei diesem Projekt mitzieht. Die Bauern müssen sich für solche Industriebetriebe interessieren, denn es braucht sie, um die heimische Produktion zu sichern. Ein Schlachthof wie der in St-Aubin bietet nicht nur eine nachhaltigere Produktion, sondern sichert auch Arbeitsplätze und lokale Wertschöpfung. Daher ist das «Migros-Bashing», das aktuell auf vielen Kanälen stattfindet, unangebracht. Migros ist die grösste Kundin der Bauern. Es ist wichtig, hart zu verhandeln, aber mit Respekt. Und gleichzeitig sollte man erkennen, wann es Rückenwind braucht.
St-Aubin und Micarna brauchen jetzt die Unterstützung der Bauern, denn ohne diesen Schlachthof verliert die Schweizer Landwirtschaft ihre grösste Kapazität im Geflügelbereich. s.barth@bauernzeitung.ch