Im Raumplanungsgesetz (RPG) ist wohl bald folgende Bestimmung in Art. 15, Abs. 4 enthalten: «Die Kantone können bei Ein- und Umzonungen Gebiete in Bauzonen bezeichnen, in denen die Geruchsbestimmungen weiterhin der ursprünglichen Nutzung entsprechen, sodass besehende landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe erhalten und erneuert oder auch zugunsten des Tierwohls angepasst werden können.» Tönt technisch. In der Praxis könnte die Passage aber manchem Hof in unmittelbarer Nähe zur Bauzone den Fortbestand der Tierhaltung sichern.
Vor allem in Luzern ein Thema
Die nationalen Räte haben die Differenzen bereinigt, Schlussabstimmung über das RPG II ist heute. Wie es zu besagtem Gesetzesartikel kam, zeigt exemplarisch Dringlichkeit von Verbandsarbeit und bäuerlichem Lobbying. Wenig überraschend hat die Geschichte ihren Ursprung im Kanton Luzern. Und zwar zu Hause bzw. auf dem BG-Betrieb von Landwirt Markus Kretz in Schongau LU. Kretz hat mit zwei Partnerbetrieben eine Betriebsgemeinschaft mit Milchwirtschaft und Schweineproduktion und ist Präsident des Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverbands (LBV).
In Schongau stand eine Ortsplanrevision an und Weiler sollten in die sogenannte Dorfzone überführt werden. Im Kanton Luzern, wie auch in anderen Kantonen, gibt es noch viele solcher Weilerzonen. Gemäss Beat Röösli vom Schweizer Bauernverband (SBV), der den «Hosenlupf» von Anfang an begleitete, sind nebst Luzern vor allem der Thurgau und vermehrt wegen Siedlungsdruck auch Zürich und Aargau betroffen. Zurück nach Schongau: «In der neuen Dorfzone werden die Mindestabstände infolge Neubauten und veränderter Berechnungsgrundlage nach FAT-Bericht 476 der Ställe zum Siedlungsgebiet plötzlich nicht mehr erreicht bei Einzonungen», merkte Kretz rasch.
Gegen den «Gestank-Stunk»
In der Not kam die Idee, dafür zu sorgen, dass das Umweltschutzgesetz mit einem entsprechenden Artikel ergänzt wird. Das Ansinnen wurde vom «Blick» unter dem Titel «Diese Landwirte haben die Idee gegen den Gestank-Stunk» medial aufgenommen. Eine neue «Geruchsüberlagerungszone» nach dem Vorbild der Lärmüberlagerung, wie es etwa neben Schiessständen oder entlang von Autobahnen gehandhabt wird, war das Ziel. Damit sollte eine rechtliche Grundlage geschaffen werden, damit die Landwirtschaft weiterhin die Möglichkeit hat, bei Neu- und Umzonungen Betriebe weiterzuentwickeln und etwa dem Tierschutz anzupassen.
Bundesrat lehnte Motion ab
Kretz diskutierte die Idee mit LBV-Vorstandsmitglied und Nationalrat Leo Müller, Mitte, an. Dieser hat folglich am 30. September 2022, also vor ziemlich genau einem Jahr, eine Motion eingereicht unter dem Titel «Gebiete mit Geruchsbelastung im Richtplan ermöglichen». Gleiches machte zeitgleich Jakob Stark, SVP, in der kleinen Kammer. Der Bundesrat lehnte die Motion allerdings ab mit der Begründung, dass die Revision RPG II am Laufen sei und man dies bei der Gelegenheit dort anschauen könne. «Die Büchse Umweltschutzgesetz wollte man lieber nicht öffnen», so Markus Kretz. So kam Nationalrätin Priska Wismer, Bäuerin und ebenfalls Vorstandsmitglied LBV, ins Spiel. Sie sitzt in der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie, kurz Urek, wo das RPG II vorberaten wurde. Im RPG stehe bereits, dass die Landwirtschaft in der entsprechenden Landwirtschaftszone Vorrang habe, bekam die Luzerner Mitte-Politikerin dort zu hören. Die Sache war vorerst vom Tisch.
Umweg übers ARE brachte Erfolg
Ein Missverständnis aus Sicht Markus Kretz. Ziel war eben explizit der Vorrang gegenüber dem Siedlungsgebiet. In der Folge schaffte es Priska Wismer, ein Treffen mit dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) zu arrangieren. «Im Bundeshaus trafen wir dann die oberste Raumplanerin der Schweiz und zwei ihrer Mitarbeiter vom Rechtsdienst», blickt Markus Kretz zurück. Mittels Bildern von konkreten Fällen aus der Luzerner Praxis schilderte Tierhalter Kretz die Problematik mit solchen neu geschaffenen Unterabständen. Die Antwort kam überraschend zügig. Die Thematik sei dem ARE zu wenig bewusst und man sehe den Handlungsbedarf. Daraufhin arbeitet das ARE seinerseits den Artikel 15 aus. Die fachliche Vorlage dazu kam vom SBV. Der ehemalige Regierungsrat Jakob Stark brachte dann im Ständerat ein, dass im RPG II Art. 15 bei Um- und Neueinzonungen die bestehende rechtliche Grundlage erhalten bleibe.
«Im Bundeshaus trafen wir dann die oberste Raumplanerin der Schweiz.»
Markus Kretz, Präsident Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband.
«Wir hatten Glück und sind quasi um 5 vor 12 noch auf den RPG-II-Zug aufgesprungen», bilanziert Markus Kretz heute. Gegen das RPG II kann noch das Referendum ergriffen werden. Ansonsten ist es nach erwarteter positiver Schlussabstimmung rechtskräftig und für die Kantone verbindlich.
Markus Kretz und der LBV sind mit dem Kanton Luzern in Kontakt, dass dies dann auch rasch angewendet wird. Nun hat die Landwirtschaft eine rechtliche Grundlage. Geruchsemissionen können bekanntlich nicht im Grundbuch einem neuen Nachbarn aufgedrückt werden. So blieb nur den Weg über ein Gesetz. Aktuell habe man in Luzern ganz viele solcher Situation, wo landwirtschaftliche Bauprojekte wegen Geruch stocken oder sistiert wurden, weiss der Präsident von der dem LBV angegliederter Abteilung Bauberatung. Ställe könnten wegen Unterabständen nicht erneuert werden und es bestünde sogar eine Sanierungspflicht, etwa für die Installation teurer Luftwäscher. Die Aussage «der Landwirtschaftsbetrieb war vorher da», sonst rechtlich wertlos, konnte zumindest in diesem Fall im RPG mit anderen Worten verankert werden. Nun hat die Landwirtschaft gegenüber einem wachsenden Siedlungsgebiet auch Rechte.
Hartnäckig bleiben bei Umsetzung
Zwei Mal war die Gruppe Kretz in ihrer Arbeit fast gescheitert. Die Geschichte zeige auf, was mit Zusammenarbeit und einer Prise Hartnäckigkeit möglich sei. Die Branche sei nun gefordert, bei Einzonungen die neuen Bestimmungen im Auge zu behalten und sich zu wehren. Entscheidend sei erfahrungsgemäss immer auch der Vollzug in den Kantonen, schiebt Beat Rössli nach, der mit dem SBV nun auch akribisch die Debatte auf Stufe Verordnung verfolgen wird.