Die ersten Rapsstängelrüssler fliegen in die Felder ein, der Pflanzenschutz wird wieder aktuell. Pünktlich dazu ist die bekannte Diskussion neu lanciert, wie mit toxischen Wirkstoffen rechtlich umzugehen ist. Nach mehreren Medienberichten über Bemühungen des Schweizer Bauernverbandes (SBV) gegen die Einführung ökotoxikologischer Grenzwerte für bestimmte Produkte kritisiert Uniterre dieses Bestreben scharf. «Wie kann man rechtfertigen, keine Grenzwerte für Produkte einzuführen, die schon in kleinsten Dosen verheerende Auswirkungen auf Ökosysteme haben können?», fragt Uniterre in einer Mitteilung.
Auf der Zielgeraden
Der kürzlich erschienene Jahresbericht zur Umsetzung des Aktionsplans Pflanzenschutzmittel (PSM) fasst den Zielkonflikt in Grafiken. Auf der einen Seite sinken die Risiken im Zusammenhang mit dem Einsatz von PSM – wie angestrebt – stetig, und die meisten entsprechenden Ziele sind erreicht oder auf gutem Weg. Doch während die Risiken abnehmen, steigt die Anzahl «Lückenindikationen». Demnach gibt es immer mehr Kulturen bzw. Schaderreger, bei denen es an Schutzmöglichkeiten fehlt. Der SBV zählt über 100 solcher Lücken, dazu gehört auch der Stängelrüssler im Raps. Parallel wächst die Anzahl Notfallzulassungen.
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Der SBV hat im letzten Herbst auf Einladung es Bundes an einer Tagung zusammen mit anderen Verbänden seine Sicht der Dinge dargestellt. Die Neuzulassungen könnten in Zahl und Wirkung nicht mit den Zulassungs-Rückzügen mithalten, so David Brugger, Leiter Pflanzenbau beim SBV. Die Folge seien Produktionsausfälle und ein Verunmöglichen des Resistenzmanagements. Die vier Pyrethroide Cypermethrin, Deltamethrin, Etofenprox und Lambda-Cyhalothrin befinden sich gemäss Jahresbericht zum Aktionsplan derzeit in Überprüfung. Es war Deltamethrin, das Anfang Februar für die eingangs erwähnten empörten Schlagzeilen sorgte. Der Wirkstoff ist im ÖLN nur mit kantonaler Sonderbewilligung zugelassen, z. B. zur Bekämpfung des Rapsstängelrüsslers.
Aktionsplan für den Schutz
Der SBV fordert eine neue Pflanzenschutzpolitik mit einem «Aktionsplan Schutz der Kulturen» inklusive einer Überwachung mit passendem Indikator. Denn eine systematische Datenauswertung und Interpretation im Pflanzenbau fehle heute weitgehend. Und ohne Statistik mangle es auch an Argumenten. Was vorhanden ist, sind Zahlen zum finanziellen Wert und der Menge pflanzlicher Produkte aus der Schweiz. Beides sei rückläufig, so David Brugger. Die Zulassung sei zu deblockieren, «die Wirtschaftlichkeit im Pflanzenbau muss steigen.»
Im Aktionsplan Pflanzenschutz sind zur Behebung der Lückenindikationen Notfallzulassungen als kurzfristige und Forschungsmassnahmen als langfristige Lösungsansätze vorgesehen. Für 12 Wirkstoffe mit hohem Abschwemmungsrisiko ist die Überprüfung der Zulassung noch ausstehend, unter anderem Folpet. Dieser Kontaktwirkstoff wurde erst in diesem Jahr im Getreide gegen Septoria und Ramularia bewilligt. Die Zahlen zur Überprüfung im Rahmen des Aktionsplans PSM sind aber mit Vorsicht zu geniessen, denn Zulassungsüberprüfungen können jederzeit initiiert werden.
Ein Grund für eine solche Überprüfung sind Grenzwertüberschreitungen: Wenn Wirkstoffe oder deren Abbauprodukte entweder «wiederholt und verbreitet» in Konzentrationen von über 0,1 µg/l in Gewässern mit Trinkwassernutzung gemessen werden, oder wenn sie einen spezifischen ökotoxikologischen Grenzwert überschreiten. Je nach Wirkstoff liegen diese Grenzwerte massiv unter oder deutlich über der allgemeinen Schwelle von 0,1 µg/l. Es ist zu erwarten, dass ein spezifischer ökotoxikologischer Grenzwert für Deltamethrin – gegen den sich der SBV laut Medienberichten gewehrt hat – darunter liegen würde. Für Cypermethrin, ebenfalls ein Pyrethroid, beträgt er gemittelt über zwei Wochen 0,00003 µg/l.
Hierbei zeigt der Jahresbericht zum Aktionsplan allerdings eine weitere Schwierigkeit: Sobald Daten zu einem Metaboliten vorhanden sind, tauchen sie auch in der Grafik zum Anteil damit verunreinigter Messstellen auf. Möglicherweise waren gewisse PSM-Metaboliten bereits früher vorhanden (vielleicht sogar in grösseren Konzentrationen), werden aber erst jetzt gemessen oder überhaupt dank technischem Fortschritt nachweisbar. Zudem verweilen mache Stoffe lange im Grundwasser.
Die Definitionsfrage
Sobald ein Nachweis erbracht ist, kommt die rechtliche Definition von «wiederholt und verbreitet» ins Spiel. Ein Grenzwert (der generelle oder ein wirkstoffspezifischer) gilt in Gewässern mit Trinkwassernutzung dann als wiederholt und verbreitet überschritten, wenn
- er innerhalb eines Jahres in mindestens drei Kantonen;
- mindestens in fünf Prozent aller untersuchten Gewässer überschritten wird;
- und beides mindestens in zwei von fünf aufeinanderfolgenden Jahren der Fall ist.
Bei Oberflächengewässern wird die Grenzerwertüberschreitung bei sonst gleichlautenden Kriterien in maximal 10 Prozent der untersuchten Gewässer toleriert. Ansonsten folgt eine Überprüfung der Zulassung, an deren Ende neue Auflagen bei der Anwendung des jeweiligen Wirkstoffs oder auch ein Verbot stehen können.
Das sei kaum risikobasiert, von kleiner wissenschaftlicher Relevanz und unklar definiert, kritisiert Nationalrat Leo Müller (Mitte, LU). «Zusammen mit dem äusserst vorsorglichen Gewässermonitoring führt diese Definition dazu, dass viele ökologische PSM in Kürze ihre Zulassungen verlieren werden», warnt er. Die Festlegung einer maximal tolerierbaren Anzahl Kantone mit Überschreitung habe mit dem Risiko für ein Gewässer nichts zu tun.
Vier statt zwei Jahre
Stattdessen schlägt Müller vor, im Fall von Oberflächengewässern diesen Absatz ersatzlos zu streichen. Ausserdem fordert er, die Grenzwertüberschreitung müsse in 20 Prozent der untersuchten Gewässer (aktuell 10 Prozent) und in mindestens vier von fünf Jahren (heute zwei) vorliegen, um zu einer Überprüfung der Zulassung zu führen. Auf die Regeln zum Schutz von Gewässern mit Trinkwassernutzung geht er nicht ein.
Die Motion von Leo Müller ist einer der doch wenigen Vorstösse, die der Bundesrat zur Annahme empfiehlt. Er hält fest, dass der Gewässerschutz mit verschiedenen Massnahmen gestärkt werde und nennt etwa die Aufrüstung von Kläranlagen oder die Ausscheidung von Zuströmbereichen, aber auch die Einführung neuer spezifischer Grenzwerte für schädliche Stoffe. «Gleichzeitig möchte der Bundesrat die inländische Nahrungsmittelproduktion stärken», heisst es weiter. Man habe festgestellt, dass durch Wirkstoffverbote Lücken im Schutz der Kulturen entstanden seien. «Dies führt zu einem Rückgang der inländischen Produktion und schwächt die Versorgungssicherheit», stimmt der Bundesrat in den Tenor des SBV ein. Vor diesem Hintergrund seien Massnahmen notwendig. «Dazu zählt die von der Motion geforderte Anpassung der Gewässerschutzverordnung.» Mit dieser positiven Stellungnahme des Bundesrates geht der Vorstoss ins Parlament. Wann die Beratungen abgeschlossen sind und die geänderte Verordnung in Kraft treten könnte, ist unklar.
