Wer hat schon, wer möchte, aber darf nicht? Der Zugang zum aktuell nur auf Englisch vorliegenden Vertragstext mit der EU war bisher ein begehrtes Privileg. Erst am Mittwoch, 14. Mai, beschloss der Bundesrat, allen Mitgliedern der Bundesversammlung Einblick zu gewähren. Die wenigen, die bereits einen Blick in die geheimnisumwitterten Dokumente werfen konnten, dürfen dazu eigentlich gar nicht viel sagen. So der Zuger Nationalrat und SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi, von dem die BauernZeitung wissen wollte, wie er die Auswirkungen des Vertragswerks für die Landwirtschaft einschätzt.
Es sei auch gar nicht möglich gewesen, sich innerhalb von etwas mehr als zwei Stunden in das rund 750 Seiten umfassende Werk einzulesen, berichtet er. «Es ist unglaublich komplex, voller Fussnoten und Querverweise», sagt er. Der Teufel stecke oft im Detail. So auch im Agrarbereich.
Angst vor Druck aus Brüssel
Dort konnte der Bundesrat erreichen, dass das bestehende Agrarabkommen unangetastet bleibt und nicht der dynamischen Rechtsübernahme unterworfen wird. Bei dieser verpflichtet sich die Schweiz, neue Normen und Regulierungen der EU selbstständig zu übernehmen. «Zwar wird das bestehende Agrarabkommen mit der EU nicht dynamisiert», anerkennt Aeschi. Aber: «Die dynamische Rechtsübernahme gilt sehr wohl für den Anhang zur Ernährungssicherheit.»
So könnten EU-Regelungen, etwa zum Einsatz von Pestiziden, auch die Schweizer Landwirtschaftsbetriebe betreffen. Wehren könnten sich die Bauern bei neuen Regeln aus Brüssel nur noch bedingt: Zwar werde das Referendumsrecht nicht direkt ausgehebelt, sagt Aeschi. Allerdings könnte die Schweiz bei einem für die EU negativen Volksentscheid vor ein Schiedsgericht gezogen werden. Und dieses Schiedsgericht – so ein weiterer Winkelzug im Vertragswerk – ist verpflichtet, sich an Rechtsgutachten des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu halten. Damit sei es am Ende doch ein fremdes Gericht, das entscheide, und auf die Abstimmungen könne entsprechend Druck ausgeübt werden. Diesen Mechanismus kritisiert auch der Schwyzer SVP-Nationalrat Marcel Dettling. «Die EU kann klagen, wenn ihr ein Abstimmungsergebnis nicht passt.» Erhalte sie dabei recht, dürfe sie «angemessene Ausgleichsmassnahmen» bestimmen – «was immer das heisst – und zwar in irgendeinem Bereich», so Dettling. Für den Bauernvertreter ist schon jetzt klar: «So kommt die Landwirtschaft unter die Räder.»
Ganz anders die Einschätzung von Christof Dietler von der IG Agrarstandort Schweiz (IGAS): «Die Bilateralen III sind für die Schweizer Landwirtschaft ganz offensichtlich hervorragend verhandelt worden», sagt er und fügt an: «Ich staune, wie das möglich war.» So sei nicht nur erreicht worden, dass das bestehende Agrarabkommen wieder aktualisiert werden könne. Auch der bestehende Grenzschutz bleibe unangetastet. Ebenso verblieben Milchzulagen, Direktzahlungen und Tierwohl in alleiniger Entscheidungskompetenz der Schweiz. Dietler verweist auf das Agrarabkommen, das seit 2002 in Kraft ist und zu dem auch das Veterinärabkommen gehört, das bereits eine harmonisierte Gesetzgebung für die Sicherheit von Lebensmitteln tierischen Ursprungs beinhaltet. Damit seien grenztierärztliche Kontrollen aufgehoben worden. Beim Export von Käse, Bündnerfleisch oder Sperma seien keine Bescheinigung mehr notwendig. Nun komme der pflanzliche Bereich dazu. «Das wird keine Probleme geben, niemand wünscht sich noch einen komplizierten ‹Swiss Finish›», so Dietlers Einschätzung. So brächten die Bilateralen III die von der Landwirtschaft gewünschte Verbesserung bei in der EU zugelassenen Pflanzenschutzmitteln: «Die gewünschten Mittel stehen rascher zur Verfügung», sagt Dietler.[IMG 2]
Zugang zu EU-Datenbanken
Weitere Vorteile sieht er in der vollständigen Integration in die Datensysteme der EU, wie z. B. das Frühwarnsystem für Pflanzenkrankheiten und Schädlinge (Europhyt), das Europäische Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF), das EU-Tierverkehrsdatenbanksystem (Traces) und das Tierseucheninformationssystem (Adis). Weiter erhalte die Schweiz Zugang zur Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).
Keinen Kommentar gibt es bis auf Weiteres vom Schweizer Bauernverband (SBV). «Es ist für uns entscheidend, dass wir die Vorlagen inklusive allen im Moment noch nicht bekannten Details anschauen können, bevor wir uns positionieren», sagt Sprecherin Sandra Helfenstein. So weit sein werde es voraussichtlich im Herbst.
