Am 22. September stimmt die Schweiz über die Biodiversitäts-Initiative ab, die den Schutz der Artenvielfalt in die Verfassung schreiben will. Als Teil der «Allianz gegen die extreme Biodiversitäts-Initiative» setzt sich der Schweizer Bauernverband dagegen ein. Direktor Martin Rufer will die ländliche Schweiz mobilisieren – und fordert dafür mehr Engagement.

Weshalb bekämpft der Bauernverband die Initiative?

Martin Rufer: Das Problem dieser Initiative liegt nicht in der Förderung der Biodiversität, sondern in den Kollateraleffekten. Die Initiative abzulehnen, bedeutet deshalb nicht, gegen Biodiversität zu sein. Die Initiative geht schlicht und einfach zu weit. Einerseits will sie mehr Flächen für die Biodiversität und andererseits diese sehr streng schützen. Die Landwirtschaft könnte grosse Flächen nicht mehr für die Lebensmittelproduktion nutzen. Dazu kommen neue Auflagen, welche das Bauen noch viel schwieriger machen. Die gesetzlichen Grundlagen zum Schutz von Natur und Landschaft sind bereits vorhanden und ein umfassender Aktionsplan ist in Umsetzung. Es tut sich also schon viel, um die biologische Vielfalt zu erhalten. Wird die Initiative angenommen, würde das die nächste Agrarpolitik grundlegend beeinflussen.

Was steht für die Landwirtschaft und andere Sektoren auf dem Spiel?

Es stehen für alle Bauernbetriebe starke Einschränkungen auf grossen Flächen auf dem Spiel. Die 3,5 %-Regel hat bei der bäuerlichen Basis für viel Aufregung gesorgt, doch hier geht es um viel mehr: Die Biodiversitäts-Initiative spielt in einer ganz anderen Liga. Am Schluss würden wir weniger Lebensmittel produzieren und wären noch stärker auf Importe angewiesen. Ein Bericht des Bundesrats zeigt, dass dieser Weg global betrachtet kein Gewinn für die Biodiversität ist. Und es wäre ein Zielkonflikt mit dem Artikel 104a der Bundesverfassung zur Ernährungssicherheit. Aber es geht nicht nur um die Landwirtschaft. Die Einschränkungen würden auch die nachhaltige Stromproduktion oder die Nutzung der Wälder betreffen. Auch hier mit der Folge, dass wir mehr aufs Ausland angewiesen wären. Touristische Infrastrukturen wären auch betroffen, respektive das Bauen generell. Das Bauen neuer Ökonomiegebäude würde noch viel schwieriger und teurer.

Auf ihrer Website erklären die Initianten, dass sie auf die Festlegung konkreter Zahlen verzichten. Sie behaupten jedoch, dass sie das Ziel verfolgen, 30 Prozent der Landesfläche für die Biodiversität zu reservieren.

Das stimmt, der Initiativtext enthält keine konkrete Zahl. Wir dürfen uns aber nichts vormachen: Das Ziel der Initiative ist es, die Flächen für die Biodiversität massiv zu erhöhen. Von den Initianten nennen sowohl Pro Natura als auch BirdLife die Zahl von 30 %, die strikt und in Form von ökologischer Infrastruktur der Biodiversität gewidmet werden soll. Gemäss Pro Natura und BirdLife haben wir aktuell nur 8–10 % ausreichend geschützte Flächen. In der Folge müsste man zusätzlich ein Fünftel unserer Landesfläche unter eine Art Glocke stellen, mit Einschränkungen auf allen Ebenen: für Grundbesitzer, die Landwirtschaft oder auch die Produktion von grüner Energie. Der Lebensmittelproduktion würden rund 145 000 ha Agrarland entzogen.

Laut der Allianz gegen die Bio-diversitäts-Initiative würde die öffentliche Hand bei einer Annahme der Initiative mit jährlichen Mehrausgaben von 375 bis 440 Millionen Franken konfrontiert werden. Woher stammt diese Zahl?

Diese Zahlen sind offiziell und stammen aus der Botschaft des Bundes-rates.

Mehrere Monitorings des Bundes weisen auf einen Verlust der Biodiversität hin. Sind Sie der Meinung, dass die derzeitigen Leistungen der Landwirte für die Biodiversität ausreichend sind?

Der Tiefpunkt bei der Biodiversität war vor rund 20 Jahren. Es gibt seither positive Entwicklungen. Die Landwirtschaft ist bei weitem nicht allein für die Biodiversität zuständig. Grosse Einflussfaktoren sind auch die Überbauung, die Zerstückelung der Lebensräume oder der Klimawandel. Die Landwirtschaft ist jene Branche, die bereits heute viel zur Förderung der Tier- und Pflanzenwelt tut. Das heisst nicht, dass es nicht auch bei uns noch Potenzial gibt, z. B. was die Qualität der bestehenden BFF anbelangt. Wir sollten die Energie in die Qualität und nicht die Quantität investieren. Das Rezept dieser Initiative ist das falsche.

Die Landwirtschaft ist nicht der einzige Bereich, der von dieser Initiative betroffen ist. Erleichtert Ihnen das die Arbeit im Vergleich zu den Kampagnen der Pflanzenschutz-Initiativen und gegen Massentierhaltung?

Die Auswirkungen der Initiative würden die Energiewirtschaft, die Bauwirtschaft oder den Tourismus erheblich betreffen. Das haben auch die anderen betroffenen Kreise verstanden. Sie engagieren sich, aber nicht alle in dem Ausmass, wie wir uns das wünschten. Ohne eine massive Mobilisierung in unseren Kampagnen, um die Initiative abzulehnen, ist die Gefahr gross, dass sie scheitert.

Welche Aktionen werden Sie gemeinsam mit den Vertretern anderer betroffener Kreise im Rahmen der Kampagne durchführen?

Das machen wir bereits seit dem Kampagnenauftakt Mitte Juni mit den betroffenen Branchen. Aber die Mobilisierung muss bei allen, innerhalb wie ausserhalb der Landwirtschaft, noch an Fahrt gewinnen. Die ersten Umfragen weisen eine Zustimmung von 51 % auf, was dem Ja-Lager sicherlich Auftrieb gibt. Die letzten Abstimmungen haben zudem gezeigt, dass die Mobilisierung auf dem Land entscheidend ist. Die ersten Umfragen deuten wegen der BVG-Vorlage auf ein potenziell grosses Engagement in den Städten hin. Wir brauchen also einerseits noch mehr Menschen, die Nein sagen und andererseits müssen diese Menschen auch wirklich an der Abstimmung teilnehmen. Hier müssen alle mithelfen, ihr Umfeld an die Urne zu bringen. Jede und jeder kann, ja muss diesbezüglich aktiv sein. Wir sind alle müde, was die ewigen Abstimmungskämpfe anbelangt. Aber ohne zu kämpfen, gewinnt man nicht.

Was können die Schweizer Landwirte tun, um die Bevölkerung zu ermutigen, am 22. September «Nein» zur Biodiversitäts-Initiative zu stimmen?

Neben dem Material, das man an guten Standorten aufstellen kann, gibt es viele weitere Möglichkeiten. Zum Beispiel kann man auf unserem Testimonialgenerator ein eigenes Testimonial erstellen und dieses im Whatsapp-Status oder in den eigenen sozialen Medien teilen. Dann kann man der Kampagne auch auf Facebook und/oder Instagram folgen und die Inhalte teilen. Man kann einen Leserbrief schreiben. Und dann kann man vor allem bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die Initiative reden und dem eigenen Umfeld die Nebenwirkungen erklären und dazu motivieren, effektiv abzustimmen. Zusammen sind wir erfolgreich!