Die Arbeiten an der künftigen Agrarpolitik laufen – zumeist im Hintergrund. Nach Protesten im letzten Winter und Gesprächen mit Bauern Anfang Jahr hat die BauernZeitung Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) getroffen, um über Fortschritte und Stossrichtungen der AP 30+ zu sprechen.
Die bäuerlichen Delegationen haben vom BLW bis Ende März konkrete Massnahmen verlangt zur Umsetzung ihrer Forderungen. Konnten Sie in dieser Richtung etwas erreichen?
Christian Hofer: Wir haben die verschiedenen Vertreter der Bauernproteste aus der Romandie und der Deutschschweiz empfangen und vor allem die vier Punkte aus der Demonstration vom Dezember – mehr Wertschätzung, mehr Stabilität, weniger Administration und angemessene Preise – diskutiert. Ich empfand die Gespräche als sehr konstruktiv. Wichtige Themen waren auch der Schutz der Kulturen, der derzeit eine Herausforderung ist, und die Unterstützung für die Rolle der Landwirt(innen) als selbstverantwortliche Unternehmer. Wir konnten zeigen, dass wir an diesen Themen arbeiten.
Was sind in dieser Hinsicht Ihre Zeithorizonte?
Bei Änderungen der Rechtsgrundlagen, z.B. der Direktzahlungen, sind die politischen Prozesse einzuhalten. Dabei ist ein schrittweises Vorgehen mit einer Vernehmlassung, die dann auch ausgewertet werden muss, vorgeschrieben. Danach folgt bei Gesetzesanpassungen ein parlamentarischer Prozess oder bei Verordnungsanpassungen ein Bundesratsbeschluss. Was gesetzliche Änderungen angeht, wurde beschlossen, zugunsten von mehr Stabilität vor 2030 keine Anpassungen am Landwirtschaftsgesetz umzusetzen. Auf Verordnungsstufe sollen vorher Anpassungen im Bereich der Vereinfachungen erfolgen. In der kurzen Frist bis Ende März waren daher keine rechtlichen Veränderungen möglich – aber wir haben aufgezeigt, woran wir arbeiten.
Fliessen diese neuerlichen Forderungen demnach auch in die weiteren Arbeiten zur AP 30+ ein?
Aus unserer Sicht stehen mit der Vereinfachung, der Reduktion des administrativen Aufwands und den Rahmenbedingungen für mehr Wertschöpfung in der Land- und Ernährungswirtschaft sehr wichtige Themen im Raum. Die Vorlage zur AP 30+ wird Vorschläge in diesen Bereichen enthalten.
Wo geht es aktuell konkret vorwärts?
Wir arbeiten an diversen Themen. Ich nenne hier zwei. Um den Schutz der Kulturen zu verbessern, wird unter der Leitung des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) die Revision der Pflanzenschutzmittelverordnung vorbereitet. In der zweiten Hälfte dieses Jahres will der Bundesrat diese Revision verabschieden. Auch wird das BLW einen Vorschlag für eine Strategie zum Schutz der Kulturen in die Vernehmlassung bringen. Zur Vereinfachung des Kontrollwesens hat der Deparementschef bereits 2024 einen ersten runder Tisch organisiert. In diesem Jahr ist geplant, dass die Branchen einen Aktionsplan mit konkreten Massnahmen unterzeichnet.
Wie könnte das vereinfachte Kontrollwesen aussehen?
Die Summe der öffentlichen und privatrechtlichen Kontrollen soll markant reduziert werden. Beim ersten runden Tisch waren die privaten und öffentlich-rechtlichen Akteure aufgefordert, ihre Vorstellungen zur Vereinfachung zu beschreiben. Weitere Arbeiten laufen auf Ebene der Kontrollpunkte, die standardisiert werden könnten. Zusätzlich planen wir die Umsetzung von Vereinfachungen mit dem landwirtschaftlichen Verordnungspaket 2026. Parallel dazu prüfen wir zusammen mit der Branche gesetzliche Möglichkeiten in der AP 30+.
Bei der Diskussion um die Vereinfachung darf nicht vergessen werden, dass es bei den Direktzahlungen um fast drei Milliarden Franken öffentlicher Mittel geht, mit denen die Landwirtschaft unterstützt wird. Da hat die Gesellschaft auch ein Anrecht, zu wissen, wie diese Gelder eingesetzt werden und es gehören Kontrollen dazu.
Ein schlankeres Kontrollwesen würde dazu beitragen, die Landwirtschaftsbranche für Junge attraktiver machen. Welche anderen Ansätze gehen in diese Richtung?
Es ist sehr wichtig, motivierte Unternehmer(innen) zu haben, die die Branche voranbringen. Dazu ist die Stärkung der Selbstverantwortung wichtig, weshalb wir prüfen, ergebnisorientierte Beiträge anstelle von solchen mit Handlungsanweisungen einzuführen. Das gibt den Betriebsleitenden mehr unternehmerischen Handlungsspielraum. Gleichzeitig braucht es gute Rahmenbedingungen für die Wertschöpfung, um das Berufsfeld attraktiv zu halten. Wichtig ist auch die Stabilität, damit sich die Bauernfamilien für eine längerfristige Strategie entscheiden können. Es gilt, in der ganzen Wertschöpfungskette zu denken und daher soll auch die Abnehmerseite miteinbezogen werden, um stabile Rahmenbedingungen zu schaffen. Weitere motivierende Punkte für die Jungen sind die Förderung von Innovation und die Digitalisierung, das haben wir in unseren Gesprächen stark gespürt.
Wie kann die Digitalisierung der Branche zu mehr Attraktivität verhelfen?
Der jungen Generation fällt der Umgang mit der Digitalisierung leichter. Die Digitalisierung verspricht Vereinfachung, wenn Daten nur einmal eingegeben werden müssen und für verschiedene Zwecke verwendet werden können. Dabei hat der Datenschutz höchste Priorität und die Landwirt(innen) sollen selbst entscheiden können, wer ihre Daten, wie nutzen darf.
«Man muss alle Generationen im Blick haben.»
Ältere und Jüngere arbeiten oft zusammen und die Agrarpolitik soll ihnen gerecht werden.
Sehen Sie den Generationenwechsel als günstige Gelegenheit, um die Landwirtschaft zu verändern?
Wenn man Veränderungen der Agrarpolitik diskutiert, muss man alle Generationen im Fokus haben. Gerade in der Landwirtschaft arbeiten verschiedene Generationen gemeinsam dafür, uns mit gesunden Lebensmitteln zu versorgen. Allerdings sind Hofübergaben ein gutes Momentum, um Veränderungen anzugehen. Im Rahmen der AP 30+ ist der Generationenwechsel nicht ein expliziter Schwerpunkt.
Ist die landwirtschaftliche Ausbildung ein Thema?
Ja, es geht um die Eintretenskriterien für den Erhalt von Direktzahlungen oder Strukturverbesserungen. Bei der Weiterentwicklung des Direktzahlungssystems wird diskutiert, ob die sogenannte «Schnellbleiche» dafür ausreichend sein soll und ob es in dieser Hinsicht eine Unterscheidung braucht zwischen Berg- und Talgebiet. So könnten Neueinsteiger dereinst andere Voraussetzungen erfüllen müssen, als bestehende Betriebsleitende.
Könnten Betriebsübergaben an neue Kriterien geknüpft werden?
Bisher ist das nicht vorgesehen.
Punkto Markt sollen Zielvereinbarungen mit dem Detailhandel die Wertschöpfung der Betriebe verbessern. Geht das vorwärts?
Wir haben intensive Diskussionen mit dem Detailhandel und der ganzen Branche geführt. Die Zielvereinbarungen sind ein Mittel, damit die ganze Wertschöpfungskette zu bestimmten Themen Abmachungen trifft und so an einem Strick zieht. Bisher sehen wir Offenheit für dieses Instrument. Inhalt und Form sind noch zu konkretisieren. Es ist etwa noch nicht geklärt, ob es verbindliche Vereinbarungen innerhalb der Branche entlang der ganzen Wertschöpfungskette sein sollen. Zudem muss auch geklärt werden, welche Rolle der Bund spielen soll. «Zielvereinbarungen mit dem Detailhandel» ist quasi der Arbeitstitel.
Wie steht der Detailhandel zu Zielvereinbarungen?
Die landwirtschaftlichen Branchenakteure sind sehr interessiert daran, der Detailhandel ist noch etwas zurückhaltender, aber auch offen.
Was könnte dereinst mit Zielvereinbarungen geregelt werden?
Da gibt es viele Möglichkeiten, etwa bezüglich Inlandanteil des Sortiments oder mehr Absatzsicherheit und Mehrwerte für Ökologie und Tierwohl. Die Idee ist, dass Detailhandel und Branche selbst auch mögliche Ansatzpunkte einbringen. Das stellt sicher, dass die Abmachungen von allen getragen werden.
Tiefe Einkommen bereiten den Bauernfamilien Sorgen, auch angesichts der Sparpläne des Bundes. Wie sieht da die Zukunft aus?
Die Finanzen beschliesst das Parlament. Die aktuellen Sparbemühungen entstanden aus einem Ungleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen auf Ebene Bund. Der Bundesrat ist verpflichtet, Massnahmen vorzuschlagen, damit die Schuldenbremse eingehalten wird. Was sich in den Parlamentsdiskussionen rund ums Bundesbudget und den landwirtschaftlichen Zahlungsrahmen 2026-2029 gezeigt hat, ist der starke Rückhalt der Landwirtschaft in den Räten. Was den finanziellen Rahmen angeht, wurde den Bauernfamilien Stabilität zugesichert. Den Zahlungsrahmen hat das Parlament sogar mit mehr Mitteln für Strukturverbesserungen und einer Stärkung der Pflanzenzüchtung beschlossen.
Es droht aber auch noch das Entlastungpaket 2027 mit Sparmassnahmen in der Landwirtschaft.
Diese finanzpolitische Vorlage hat der Bundesrat beraten, sie ist derzeit in Vernehmlassung. Sie betrifft verschiedene Sektoren. In der Landwirtschaft hat der Bundesrat darauf geachtet, keine direkt einkommenswirksamen Massnahmen vorzuschlagen. Es sind etwa keine Kürzungen bei den Grundlagenverbesserungen oder den Direktzahlungen vorgeschlagen.
Wann werden diese Sparmassnahmen konkret?
In der zweiten Jahreshälfte folgt die Botschaft des Bundesrats. Das Parlament debattiert anschliessend das Paket.
Sieht es demnach eher danach aus, dass die bäuerlichen Einkommen stabil bleiben?
70–80 % des landwirtschaftlichen Einkommens werden am Markt erzielt. Ich bin zuversichtlich, dass die Bauernfamilien auch in Zukunft erfolgreich sein werden, denn sie sind innovativ und professionell. Bei Direktzahlungen und Strukturverbesserungen gehe ich von stabilen Beiträgen aus.
Das Entlastungspaket 2027 will ich allerdings nicht beschönigen. Die Land- und Ernährungswirtschaft ist mit gesamthaft rund 250 Millionen Franken betroffen. Zur Hälfte handelt es sich dabei um Budgetkürzungen z. B. bei den Beihilfen Viehwirtschaft. Hier wäre die Fleischbranche gefordert, ihre Eigenverantwortung zur Überschussverwertung wahrzunehmen und in der ganzen Wertschöpfungskette eine Lösung zu finden, sollten diese Beihilfen von Bundesseite wegfallen. Die andere Hälfe sind Mehreinnahmen durch vermehrte Versteigerungen von Zollkontingenten. Hier gibt es kontroverse Sichtweisen, wie sich das auf das Einkommen der Bauernfamilien auswirken wird.
Wie stehen Sie zu der Forderung nach mehr Ökonomie und weniger Ökologie in der Agrarpolitik?
Die landwirtschaftliche Produktion und Produktivität sind für die Zukunft zentrale Themen. Einerseits für die Versorgungssicherheit, aber auch für die Wertschöpfung. Daher braucht es z. B. Rahmenbedingungen, die einen ausreichenden Schutz der Kulturen für gute Erträge erlauben. Da haben wir momentan ein Defizit.
Aber man muss aufpassen, Ökonomie und Ökologie nicht gegeneinander auszuspielen. Mittelfristig müssen beide gemeinsam weiterentwickelt werden. Denn der Erhalt unserer Lebensgrundlagen ist zentral für eine wirtschaftlich lebensfähige künftige Landwirtschaft. Das hält die langfristige Produktivität aufrecht.
«Stärkung der Wertschöpfung ist wichtig.»
Mehr Arbeitsproduktivität soll nicht heissen, einfach mehr zu arbeiten.
Was können Bauernfamilien bei einem Miteinander von Ökologie und Ökonomie gewinnen?
Ich möchte es anhand von Beispielen erörtern. Der Schutz von Böden vor Verdichtung ist wichtig, damit die Äcker langfristig produktiv bleiben. Ein Humusgehalt auf gutem Niveau verbessert den Wasserhaushalt, Artenvielfalt macht das System etwa dank Nützlingen robuster.
Es geht aber auch um Wertschätzung. Die Landwirtschaft hatte in den 1980er- und zu Beginn der 1990er-jahre ein relativ schlechtes Image, unter anderem, weil mit der intensiven Produktion Umweltprobleme entstanden sind. Die Bevölkerung hatte wenig Vertrauen in die Landwirtschaft. Das konnte in den letzten 20–30 Jahren mit einer Stärkung der nachhaltigen Lebensmittelproduktion korrigiert werden. Ich glaube, ökologische Leistungen sind ein wichtiger Aspekt für die hohe Wertschätzung der Landwirtschaft in der Bevölkerung. Das hat man sich mit mehr Tierwohl und ökologischen Bemühungen erarbeitet, was ebenso eine wichtige Grundlage war für die deutliche Ablehnung für diverse Initiativen in den letzten Jahren.
Sie sprechen das Ideal einer «multifunktionalen» Landwirtschaft an.
Ja, es ist schlussendlich auch ein Auftrag in der Verfassung. Ökologie ist aber nicht nur ein «Nice to Have» für die Kommunikation nach aussen, sondern auch nach innen wichtig. Eine nachhaltige Wirtschaftsweise, die die Lebensgrundlagen für die nächste Generation erhält, liegt in der DNA der Landwirtschaft. Die Balance soll in jedem Fall weder in eine reine Extensivierung noch in die pure Intensivierung kippen. Wichtig sind Synergien zwischen Ökonomie und Ökologie.
Für die AP 30+ gibt es ein klares, ökonomisches Ziel: Die Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft soll gegenüber 2020 um 50 % steigen. Wie ist das zu verstehen?
Das Thema Arbeitsproduktivität wurde von bäuerlichen Kreisen in die Diskussionen eingebracht, weil es ein intrinsisches Interesse der Betriebe ist, produktiv und ökonomisch leistungsfähig zu sein. Somit ist dieses Ziel kein Zwang von oben, sondern ein Anliegen der Branche, sich weiterzuentwickeln.
Was bedeutet es, die Arbeitsproduktivität zu steigern?
Es geht klar nicht darum, einfach mehr zu arbeiten. Arbeitsproduktivität misst, wie viel Arbeit eingesetzt wird, um landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Milch oder Sonnenblumen zu produzieren. Zwischen 2000 und 2022 ist dieser Wert hierzulande pro Jahr jeweils um etwa 1,5 % gewachsen. Wenn das so weitergeht, erscheint das Ziel von plus 50 % erreichbar. Viele Betriebe machen sich Überlegungen in diese Richtung, etwa bei der Anschaffung von Maschinen oder der Zusammenarbeit mit Berufskollegen. Letzteres ist auch ein wichtiges Thema, um die Arbeitslast zu senken.
Wie können Politik und Verwaltung zur Steigerung der Arbeitsproduktivität beitragen?
Es sind verschiedene Puzzlestücke. Die Betriebsleitenden selbst haben den grössten Einfluss darauf, wie ihre Betriebe funktionieren. Daher ist es wichtig, ihnen den Zugang zu guter Aus- und Weiterbildung zu verschaffen. Das gibt das Rüstzeug, um Betriebe erfolgreich weiterzuentwickeln. Dazu gehören auch gute Rahmenbedingungen für Investitionen in neue und moderne Infrastrukturen z. B. zur Bewässerung. Ebenso der Zugang zu neuen Technologien, um ressourceneffizient zu arbeiten. Und die Investition in Forschung und Züchtung ist zentral.
Für die AP 30+ ist die Stärkung der Wertschöpfung wichtig. Grenzschutz ist ein Thema oder die Deklaration, um einheimische Produkte besser auszuloben. Wir arbeiten ausserdem an der Transparenz in der Preisbildung. Ein Bericht im Auftrag des Parlaments wird zeigen, welche Rolle die Marktbeobachtung hierbei spielen könnte. Weiter wird geprüft, welche Möglichkeiten die bereits heute anwendbare gesetzliche Allgemeinverbindlichkeit böte. Mit einer Arbeitsgruppe haben wir die Möglichkeiten eines Wertschöpfungspakets innerhalb der AP 30+ besprochen.
Sie arbeiten also auf den Ebenen Betriebsleitende, Unterstützung für mehr Ressourceneffizienz bzw. Erhalt der Produktionsgrundlagen und Markt.
Es ist wichtig, die Landwirt(innen) als Unternehmer anzusehen. Es wäre falsch, in die Politik der 1980er-Jahre zurückzugehen, in der der Staat stärker im Markt aktiv ist. Die Akteure der Wertschöpfungskette sind verantwortlich für Preisverhandlungen und das Austarieren von Angebot und Nachfrage. Dem Bund fehlt dafür die Kompetenz und er könnte nicht schnell genug reagieren. Sonst besteht das Risiko, dass am Markt vorbei produziert wird und Überschüsse entstehen. Dies würde sich wieder negativ auf die Branche auswirken.
Die AP 30+ soll auch einen minimalen Selbstversorgungsgrad (SVG) von 50 % sichern. Ist das genug?
Was Arbeitsproduktivität und Ressourceneffizienz fördert, trägt auch zu einem guten SVG bei. Die für die Produktion hierzulande zur Verfügung stehende Fläche ist in Zukunft stabil bzw. durch die Zersiedelung leicht sinkend, während die Bevölkerung wächst. Da ist es anspruchsvoll, den SVG zu halten. Das Ziel von mindestens 50 % SVG ist politisch breit akzeptiert. Gleichzeitig ist klar, dass es aufgrund der geringen Ackerfläche in der Schweiz auch Lebensmittel-Importe braucht.
Die Diskussion um den SVG hat aber auch eine wirtschaftliche Komponente, die es zu bedenken gilt. Wenn wir 60,70 oder gar 80 % erreichen wollten, würde das eine vorwiegende oder gar ausschliesslich pflanzliche Produktion bedeuten. Es kann sein, dass man damit Wertschöpfung vernichtet. Mehr als 50 % SVG sind gut, aber das dürfte nicht zulasten der Wertschöpfung gehen.
Im Notfall könnten Wiesen und Weiden wieder unter den Pflug genommen werden. Wird ein solches Szenario diskutiert?
Wichtig ist, das Wissen und die Infrastrukturen für eine Anpassung der Produktion im Notfall zu haben. Das bedeutet funktionierende Wertschöpfungsketten – beispielsweise von der Ölsaat auf dem Acker über die Mühle bis zur Verwertung. Man sollte nicht in einem dauerhaften Krisenmodus funktionieren, sondern in dem Wissen handeln, dass im Krisenfall die nötigen Anpassungen möglich sind. Das kann durchaus heissen, mehr Flächen unter den Pflug zu nehmen und direkt für die menschliche Ernährung zu produzieren. Es gibt aber neben Lebensmitteln auch diverse andere Abhängigkeiten, etwa bei Treibstoff, Maschinen oder Pflanzenschutzmitteln. Sollte es zum Ernstfall kommen, würde das Bundesamt für Wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) aktiv, das Produktionsoptimierungen im soeben skizzierten Sinn anordnen kann.
«Das will ich nicht beschönigen.»
Das Entlastungspaket 27 sieht auch Sparmassnahmen in der Landwirtschaft vor.
Eigenverantwortung wird auch von Seiten der Branche grossgeschrieben, man will ernstgenommen werden. Wie beurteilen Sie die bisherigen Bemühungen der Branchen für eine nachhaltigere Produktion?
Die Landwirtschaft anerkennt, dass angesichts der an sie gestellten Erwartungen eine Weiterentwicklung ins Auge zu fassen ist. Die IG Agrarstandort Schweiz (IGAS) und die Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrarsektor (Sals) haben «bottom-up» einen Prozess zur Erarbeitung von Indikatoren und Zielen lanciert. Das geht in die Richtung, die Agrarpolitik zu mehr Ergebnisorientierung und damit mehr Handlungsspielraum zu gestalten. Unsere Gespräche haben gezeigt, dass diese Entwicklung unterstützt wird, sie aber etappenweise erfolgen soll. Entscheidend sind gute Indikatoren und die Möglichkeit, die Ziele überhaupt zu erreichen. In gewissen Bereichen wie etwa dem Tierwohl ist es schwieriger und man muss dort vielleicht eher bei den Haltungsvorschriften bleiben.
Viele gute Ideen entstehen auf den Betrieben selbst. Gibt es Ansätze, dass diese gute bäuerliche Praxis mehr Einzug ins BLW erhält?
Wir arbeiten seit Jahren mit Arbeitsgruppen, wo die Branchen vertreten sind, um die gute landwirtschaftliche Praxis zu berücksichtigen. Betriebe und Forschungsinitiativen können bei uns Förderung beantragen und wir können das Testen neuer Ideen z. B. über Ressourcenprogramme unterstützen. In deren Trägerschaft sind oft Bäuerinnen und Bauern dabei. Von solchen Projekten wollen wir auch lernen und möglichst praxisnahe Lösungen vorschlagen. Es ist sehr wichtig, dass das Wissen der bäuerlichen Praxis in die Weiterentwicklung der Politik einfliesst.
Sie sind also offen für Lösungsvorschläge oder Instrumente aus dem Feld?
Das sind wir. Die Agrarpolitik ist allerdings eine Bundesaufgabe und kann nicht auf alle Einzelfälle eingehen. Was auf einem Betrieb funktioniert, wird es andernorts nicht unbedingt auch tun. Das ist unsere Herausforderung. Wir entwickeln keine Massnahmen im stillen Kämmerchen, sondern beziehen immer Branchen und Praktiker mit ein. Aber am Ende muss man sich auf etwas einigen, das für die Mehrheit der Betriebe passt. Der Wechsel zu mehr Ergebnisorientierung in der AP würde guten Ideen und der Kreativität deutlich mehr Raum lassen, denn der beste Weg zum Ziel kann je nach Region oder Betrieb anders sein. Dafür liegt mehr unternehmerisches Risiko beim Betriebsleitenden, der nicht mehr Direktzahlungen für das Ausführen gewisser Handlungen, sondern das Erreichen eines messbaren Ziels erhält. Damit gewinnen Aus- und Weiterbildung an Bedeutung.
Ein Teil der neuen Zielorientiertheit sind Lenkungsabgaben – oder Ressourceneffizienz-Anreize – die von Landwirtschaftsseite aber heftig kritisiert werden.
Zu Beginn dieser Weiterentwicklung der Agrarpolitik forderte die bäuerliche Seite, das heutige Direktzahlungssystem grundsätzlich zu überdenken und zu vereinfachen. Dieses Anliegen haben wir sehr ernst genommen und verschiedenste Ideen gesammelt; wir prüfen diese. Ressourceneffizienz-Anreize sind bereits in der Vergangenheit verschiedentlich diskutiert worden und werden teilweise in anderen Ländern angewendet. Die Idee steht grundsätzlich im Zusammenhang mit der Vereinfachung des Direktzahlungssystems. Mit Ressourceneffizienz-Anreizen könnte etwa der ÖLN entschlackt und die Anzahl Produktionssystembeiträge reduziert werden. Konkret würde dazu eine Abgabe z.B. auf PSM erhoben und die so eingenommenen Mittel vollumfänglich an die Landwirt(innen) rückerstattet. Die rote Linie war immer, dass es nicht zu einer Extensivierung kommt, sondern die Ressourceneffizienz der Produktion gesteigert wird. Daher der Name «Ressourceneffizienz-Anreize».
Halten Sie daran fest?
Wir befinden uns in einem Prozess der Meinungsbildung. Momentan werden die Vor- und Nachteile dieses Ansatzes analysiert. Auch die beratende Kommission (Beko) hat nicht die sofortige Umsetzung, sondern die weitere Prüfung empfohlen. Danach wird entschieden, ob Ressourceneffizienzanreize weiterverfolgt werden oder nicht.
Sind die Arbeiten an der AP 30+ auf Kurs?
Ja, wir sind auf Kurs: 2024 haben wir vor allem Analysen und Grundlagenarbeit gemacht, die dann auch in der Begleitgruppe diskutiert wurden. 2025 stehen die möglichen Instrumente im Fokus. Das Ziel ist, dass der Bundesrat im ersten Quartal 2026 eine Aussprache zu den Eckpunkten der AP 30+ führt. Danach wird sie im Detail ausgearbeitet. In der zweiten Hälfte 2026 ist die Vernehmlassung geplant.
Für Ende 2025 ist eine Zwischenbilanz zur bisherigen Zielerreichung geplant, um das Ambitionsniveau der künftigen AP anzupassen. Wie gehen Sie dafür vor?
Der Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik, der 2022 vom Bundesrat verabschiedet und vom Parlament bestätigt wurde, ist eine wichtige Basis für unsere Arbeit. Er zeichnet ein Bild der Land- und Ernährungswirtschaft im Zeithorizont 2050. Die langfristige Perspektive läuft unter der Vision «Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit von der Produktion bis zum Konsum.» Anhand der Indikatoren und Ziele in diesem Bericht nehmen wir eine Standortbestimmung vor. Es geht etwa um die Selbstversorgung, Nutzung moderner Technologie, Einkommen oder den ökologischen Fussabdruck. Die AP 30+ soll einen Schritt in diese Richtung darstellen. Wenn die Vernehmlassung zur AP 30+ startet, wird diese Standortbestimmung als Teil der Unterlagen publiziert.
Wie geht es jetzt weiter mit der AP 30+?
Für uns ist es zentral, weiterhin Hand in Hand mit der Branche und den Vertretern der Landwirtschaft zusammenzuarbeiten. Um eine AP zu entwickeln, die die Bedürfnisse unserer Bäuerinnen und Bauern von heute wie auch von morgen und diejenigen der Gesellschaft berücksichtigt. Daher stehen wir in einem sehr engen Austausch und entwickeln diese AP gemeinsam. Am Ende fällen Bundesrat und Parlament die Beschlüsse, aber ein Schlüssel zum Erfolg für unsere Arbeit ist der konstruktive Dialog mit allen Beteiligten.