Vor ziemlich genau einem Jahr hat Franziska Herren, die mit der Trinkwasser-Initiative für viele zum Feindbild geworden ist, ihre Ernährungs-Initiative eingereicht. Mit ganzem Namen heisst sie «Volksinitiative für eine sichere Ernährung – durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser».

«Hohe Übereinstimmung»

Damit sind die Anliegen des Vorstosses klar. Der Bundesrat teilt einen grossen Teil davon: «Die Ziele der Ernährungs-Initiative und diejenigen des Bundesrats weisen bezüglich der inhaltlichen Stossrichtung eine hohe Übereinstimmung auf», heisst es in der bundesrätlichen Botschaft. Trotzdem lautet die Empfehlung ans Parlament, die Ernährungs-Initiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen.

Der Bundesrat anerkennt demnach zwar die Ziele des Initiativkomitees, hält die geforderten Fristen aber für nicht umsetzbar. «Die Erhöhung des Netto-Selbstversorgungsgrads von heute rund 47 % auf 70 % würde grosse Umstellungen in der Produktion und im Konsum erfordern», präzisiert er in seiner Botschaft. Mit seinem Zukunftsbild sieht der Bundesrat selbst vor, dass der Selbstversorgungsgrad bis 2050 nicht unter 50 % fallen soll. Für die ideale künftige Ernährung der Schweizer Bevölkerung stützt er sich auf die Lebensmittelpyramide ab, die maximal 2–3 Mal pro Woche Fleisch auf dem Teller empfiehlt. Das ist deutlich weniger, als was ein Durchschnittsschweizer heute statistisch konsumiert.

Um aber die geforderten Ziele der Ernährungs-Initiative in der vorgegebenen Frist von 10 Jahren zu erreichen, brauche es eine starke Reduktion von Fleisch-Produktion und -Konsum bei gleichzeitigem deutlichem Ausbau der pflanzlichen Produktion zur menschlichen Ernährung. «Hierfür wären tiefgreifende staatliche Massnahmen nötig», schreibt der Bundesrat.

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Breite Nein-Allianz

Mit diesen Ausführungen schlägt der Bundesrat in dieselbe Kerbe wie die Allianz gegen die Ernährungs-Initiative, die den Vorstoss mittlerweile von der Vegi- zur Vegan-Initiative umgetauft hat. «Im Zentrum des Begehrens steht ein massiver Eingriff in den Teller und das Essverhalten», heisst es in einer Mitteilung der Allianz zur Veröffentlichung der bundesrätlichen Botschaft. Nur mit einem «Vegan-Zwang» für die Schweizer Bevölkerung liesse sich der geforderte Selbstversorgungsgrad erreichen.

Analyse Der Weg zum Ziel führt nun mal über den Teller Wednesday, 20. August 2025 Der Nein-Allianz haben sich neben zahlreichen Verbänden aus der tierischen Produktion und dem Schweizer Bauernverband (SBV) auch der Detailhandel (Swiss Retail Federation) sowie die Getreide-, Obst- und Saatgut-Produzenten, Lohnunternehmer, Landtechnik Schweiz, die Lebensmittelindustrie, Gastronomie und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) angeschlossen. Franziska Herrens zweite Initiative gefährde eine ausgewogene Ernährung und bringe den Schweizer Lebensmittelmarkt aus dem Gleichgewicht, so die Argumentation. Weiter werden der hohe Anteil Grasland in der Schweiz, steigende Lebensmittelpreise, die Notwendigkeit von Hofdüngern für den Pflanzenbau und «unsinnige Auflagen für Saat- und Pflanzgut» ins Feld geführt.

Investitionen nicht amortisierbar

Der Bundesrat seinerseits warnt, durch die kurze Umsetzungsfrist für die Ernährungs-Initiative könnten Investitionen in Ställe oder auch in den vor- und nachgelagerten Sektoren nicht mehr amortisiert werden. Zudem würden neue Investitionen fällig, um Produktions- und Verarbeitungskapazitäten zu schaffen.

Um das abzufedern, sieht die Initiative in diesem Bereich die finanzielle Unterstützung des Bundes vor. Entwickeln sich Konsum und Produktion nicht parallel vermehrt in eine pflanzliche Richtung, drohten ausserdem mehr Importe und damit eine Verlagerung negativer Umweltwirkungen ins Ausland, argumentieren Bundesrat und Nein-Allianz.

«Erreichbare Ziele»

Soweit scheinen sich Bundesrat und Initiativ-Gegner ziemlich einig zu sein. Eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik in die von der Ernährungs-Initiative verlangte Richtung sei indes bereits geplant, heisst es in der Botschaft weiter. Dies im Rahmen der AP 30 +. Darin gehe es etwa um eine Stärkung der Ernährungssicherheit und die Reduktion des ökologischen Fussabdrucks der Land- und Ernährungswirtschaft. Man werde «erreichbare Ziele und einen realistischen Zeitrahmen» festlegen.

«Der Bundesrat wird Massnahmen zur Stärkung der Wertschöpfung der Land- und Ernährungswirtschaft sowie zur administrativen Entlastung der Landwirtschaftsbetriebe vorschlagen», ergänzt der Bundesrat. Diese Aspekte aus den Plänen zur AP 30 + kommen in der Ernährungs-Initiative nicht vor. Sie verlangt aber ausdrücklich im Initiativtext, die nötigen Anpassungen der landwirtschaftlichen Produktion seien sozialverträglich auszugestalten und müssten – wie erwähnt – vom Bund finanziell unterstützt werden.

Was die Massnahmen angeht, fordere die Ernährungs-Initiative in erster Linie neue oder angepasste Förderungsmassnahmen und eine Umlagerung der bestehenden Subventionen, fasst der Bundesrat zusammen.

Zu hohe Nährstoffverluste

Ein weiterer Punkt ist die Förderung natürlichen und samenfesten Saatguts. Damit soll die Abhängigkeit der landwirtschaftlichen Produktion von Importware sinken, da samenfeste Sorten sich im Gegensatz zu Hybridsorten für den Nachbau eignen. «Natürliches, samenfestes Saatgut wird vom Bund bereits gefördert», hält der Bundesrat dazu fest. Dies über entsprechende Zuchtprogramme. «Heute decken samenfeste Agroscope-Weizensorten rund 80 % des Schweizer Marktbedarfs.»

Zur Sicherstellung sauberen Trinkwassers will die Ernährungs-Initiative den Bund dazu verpflichten, für die Einhaltung der Umweltziele Landwirtschaft zu sorgen. Er dürfe nicht mehr zulassen, dass die darin festgelegten Höchstwerte für Stickstoff und Phosphor überschritten werden. «Bei den Nährstoffverlusten konnten zwar Fortschritte erzielt werden», kommentiert der Bundesrat, «sie sind aber nach wie vor zu hoch.» Um hier Verbesserungen zu erzielen, verweist man in der Botschaft auf die Beschlüsse zu den Absenkpfaden. Damit seien im Durchschnitt der Jahre 2020–2022 gegenüber 2014–2016 die landwirtschaftlichen Stickstoffverluste bereits um 7,6 % (7300 t N) reduziert worden. Bis 2030 sollen es 15 % sein.

Was den Erhalt der Produktionsgrundlagen – namentlich des Kulturlandes, der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit angeht – so zählt der Bundesrat alle bisher in diesem Bereich gefällten Beschlüsse und bestehenden Vorgaben auf. Er macht klar, dass er diese Anliegen der Ernährungs-Initiative für ausreichend berücksichtigt hält.

«Die neuen Verfassungsbestimmungen bringen keinen klaren Mehrwert, weil die Weiterentwicklung der Agrarpolitik in die gewünschte Richtung bereits geplant und ohne neue Verfassungsgrundlage möglich ist», so das Fazit aus Bundesbern.

«Beides eine Chance»

Das Nein-Komitee begrüsst die Botschaft des Bundesrats. Pro-Natura-Agrarpolitikexperte Marcel Liner tut seine Meinung in einem Kommentar an die Medien kund: «Sowohl die Ernährungs-Initiative als auch die sich in Ausarbeitung befindende AP 30 + sind eine Chance für den dringend nötigen agrarpolitischen Wandel.» Das heutige System stecke voller Widersprüche und finanzieller Fehlanreize, die es anzugehen gelte.

Was würden 70 Prozent SVG bedeuten?

Der Selbstversorgungsgrad (SVG) ist ein kalorienbasiertes Mass und daher wenig aussagekräftig für die tatsächliche Ernährungssicherheit. Um den SVG in der Schweiz auf 70 % zu erhöhen, müsste gemäss einer Studie der Fleischkonsum in der Nahrungsration um 70 % sinken.

Die Hälfte weniger Tiere
Für die Tierbestände würde es eine Halbierung bedeuten, v.a. bei Schweinen und Mastgeflügel. Zugleich wäre der Ackerbau massiv auszudehnen, z. B. 70 ​​​​​​​% mehr Brotgetreide.

Der Bundesrat hat sich in seinem Zukunftsbild des Schweizer Ernährungssystems dem Motto «Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit von der Produktion bis zum Konsum» verschrieben.

Für Fruchtfolge und Biodiversität
Er sieht vor, ackerbaulich nutzbare Böden prioritär für Kulturen zur direkten menschlichen Ernährung einzusetzen. Alternative Nutzungen soll es geben, «wenn dies im Rahmen der Fruchtfolge oder die Förderung der Biodiversität erforderlich ist».