«Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie», sagt Martin Goldenberger, Leiter SBV Agriexpert. Aber im Falle der von Agroscope publizierten Studie zur Methodik des landwirtschaftlichen Ertragswertniveaus kommt ihm das Fürchten. Die Basis der aktuellen Schätzungsanleitung ist das Wertniveau 2014, dieses gilt seit der Inkraftsetzung der Schätzungsanleitung 2018. Damals, vor sieben Jahren, ergaben die Analysen der Agroscope einem Anstieg der landwirtschaftlichen Ertragswerte um zwischen 10 und 20 Prozent.
Objektive Bewertung erhalten
Laut Auswertungen der Zahlen der Buchhaltungen, die das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) erhob, stieg das Wertniveau von Talbetrieben seit 2019 aber um 42 Prozent an. Nun könnte dieses Wertniveau noch erheblich stärker steigen. Agroscope hat im Auftrag des BLW einen wissenschaftlichen Grundlagenbericht zum landwirtschaftlichen Ertragswertniveau publiziert.
Aufgrund eines methodischen Wechsels von der jetzigen Berechnungsweise zu der von Agroscope vergeschlagenen Unternehmensbewertungsmethode würden die Ertragswerte in der Talzone um 14 Prozent steigen, in der Hügelzone um 24 Prozent, während sie im Berggebiet um 8 Prozent sinken würden (siehe Box).
«Die Erhöhung der Ertragswerte aufgrund des Wertniveaus würde mit der angekündigten Veränderung der Bewertung der Betriebsleiterwohnung zu einem massiven Anstieg derÜbernahmewerte führen», sagt Martin Goldenberger. Auch müsse die Einführung einer Unternehmensbewertungsmethoden so ausgestaltetet sein, dass die Werte standardisiert seien und nicht durch den Schätzer oder Betriebsleiter beeinflusst werden können. Nur so könne die seit Jahrzehnten angewendete und bewährte objektive Bewertung erhalten bleiben.
Auch Inventarwerte steigen
Neben dem Ertragswert für das Gewerbe muss der Nachfolger das Inventar zum Nutzwert übernehmen. «Die Inventarwerte sind in den vergangenen Jahren erheblich angestiegen, beispielsweise durch die Robotortechnik im Stall und die ausgefeiltere Mechanisierung auf dem Feld», ergänzt Martin Goldenberger. Gar nicht zu sprechen davon, dass durch die höheren Ertragswerte, die auch den Boden betreffen werden, auch die Pachtzinsen für landwirtschaftliche Grundstücke steigen würden. Zum grössten Teil muss eine Hofübernahme über Fremdkapital finanziert werden. Aber je mehr Fremdmittel eingesetzt werden und je grösser die Verschuldung ist, desto geringer wird der Spielraum für Veränderungen.
Familienbetriebe erhalten
«Dadurch wird auf weite Sicht der Erhalt der bäuerlichen Familienbetriebe gefährdet», sagt Martin Goldenberger und verweist auf den Artikel 1 des Bundesgesetzes über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB):
- Förderung des bäuerlichen Grundeigentums
- Erhaltung der Familienbetriebe als Grundlage einer leistungsfähigen, auf eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung ausgerichtete Landwirtschaft
- Stärkung der Stellung von Selbstbewirtschaftenden
- Bekämpfung der Spekulation mit dem Boden
- Verhinderung von Überschuldung und übersetzten Preisen für landwirtschaftlichen Boden
«Der Übernahmepreis muss so ausgestaltet werden, dass die Betriebe dem Nachfolger eine Existenzgrundlage und Überlebenschance bieten», beharrt Goldenberger. Man könne bei einer Hofübergabe nicht alles aus dem Betrieb herauspressen, um den zukünftigen Miterben sowie den Ehegatten (im Falle einer Scheidung) mehr Anteile zuzuhalten. Aber nicht nur die von Agroscope vorgestellte Unternehmensbewertungsmethode bereitet ihm Sorgen. Durch die «Hintertürchen» würden die Bauernfamilien von allen Seiten in die Zange genommen.
So wehrte sich der Schweizer Bauernverband in seiner Stellungnahme zur Revision des BGBB gegen den neu vorgeschlagenen Artikel 18 Abs. 4. Dabei geht es um den Übernahmepreis, der erhöht werden kann, wenn der Hofabtreter zehn Jahre vor dem Übergabezeitpunkt erhebliche Investitionen getätigt hat. Dabei hatte das Bundesgericht die Abschreibungsdauer von zehn Jahren gutgeheissen.
Prinzip infrage gestellt
Neu will der Bundesrat, die Frist von zehn Jahren für erhebliche Investitionen vor der Hofübergabe zwar stehen lassen, aber er schlägt eine Unterscheidung nach Investitionsobjekt vor. Der Wert der Nettoinvestitionen (nach Abzug des Ertragswertes) soll neu wie folgt festgelegt werden:
- zehn Jahre für feste Einrichtungen (z.B. Melkroboter)
- 20 Jahre für Gebäude (Stall, Wohnhaus)
- und 25 Jahre für Grundstücke.
Dadurch erhöht sich der Übernahmewert für die jüngere Generation zusätzlich. «Dieser Passus stellt das zentrale Prinzip des bäuerlichen Bodenrechts, die Übertragung des Betriebs zum Ertragswert, in Frage», sagt Martin Goldenberger.
Die Botschaft zur BGBB-Teilrevision will der Bundesrat spätestens auf Ende 2025 vorlegen, die nachfolgend im eidgenössischen Parlament behandelt wird. Man darf gespannt sein, wie sich in der Ratsdebatte die bäuerlichen Parlamentarier für den Erhalt der bäuerlichen Familienbetriebe einsetzen werden.
Marktmiete und Eigenmietwert
Ein weiteres Hintertürchen, das die Bauernfamilien belasten werde, sei, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung im Zuge der Abstimmung über die Abschaffung des Eigenmietswertes auch die Betriebsleiterwohnung neu bewerten will. Bei den Geschäftsliegenschaften, zu denen die Landwirtschaftsbetriebe gehören, bleibt der Eigenmietwert zwar erhalten. Das Betriebsleiterhaus wird heute dabei zu einem landwirtschaftlichen Mietwert besteuert, welcher etwa einem Drittel einer Marktmiete entspricht.
Das soll sich ändern, sodass das Betriebsleiterhaus neu mit einer Marktmiete bewertet werden soll. «Das ist sozusagen beschlossene Sache, schlägt doch das BLW dieses Vorgehen auch in der publizierten Agroscope-Studie vor und erhält zudem den Zuspruch durch die eidgenössische Steuerverwaltung», sagt Martin Goldenberger.
Nachgefragt: «Eine Aktualisierung und Überprüfung der Methode ist nötig»
Warum braucht es nach Ansicht des BLW eine neue Methode zur Festlegung des Wertniveaus landwirtschaftlicher Ertragswert?
Martin Würsch: Es geht um eine wissenschaftliche Grundlage für die Bestimmung des Niveaus des landwirtschaftlichen Ertragswertes über Regionen und Betriebstypen. Somit betrifft es nicht die geltende Schätzungsanleitung und auch nicht die Schätzung des landwirtschaftlichen Ertragswertes für ein landwirtschaftliches Gewerbe.[IMG 2]
Es gibt zwei Gründe dafür, warum das BLW diese Studie in Auftrag gegeben hat: Erstens muss das Wertniveau des Ertragswertes laufend nachgeführt werden. Bei einer künftigen Revision der Schätzungsanleitung muss auf das Wertniveau als Grundlagen abgestützt werden können.
Zweitens und letztlich entscheidend ist, dass die in der aktuellen Schätzungsanleitung verwendete Methodik im Wesentlichen immer noch auf einer Dissertation aus dem Jahr 1979 abstützt. Eine Aktualisierung und Überprüfung der Methode ist deshalb nötig. Seither haben sich neben der wissenschaftlichen Basis auch die Buchführung und die Möglichkeiten der Auswertungen weiterentwickelt.
Wieso zieht man statt des landwirtschaftlichen Mietwertes die Marktmiete für die Betriebsleiterwohnung heran, um das Wertniveau Ertragswert zu berechnen?
Wie bereits oben erwähnt geht es um eine wissenschaftliche Arbeit und Methodik. Die Wohnung der Betriebsleiterin oder des Betriebsleiters wird nicht vermietet und die Kosten werden durch den Betrieb getragen. Deshalb muss die Wissenschaft Vergleichswerte für die Miete heranziehen. Als Vergleichswert wurden Mieterlöse anderer Wohnungen auf den Betrieben herangezogen. Der landwirtschaftliche Mietwert kann also nicht als Basis gelten, da er nach der alten Methode der bestehenden Schätzungsanleitung festgelegt wird.
Mit der in der Agroscope-Studie publizierten Unternehmensbewertungsmethode steigt das Wertniveau in Tal- und Hügelbetrieben an. Befürchten Sie nicht, dass junge Landwirt(innen) sich bei der Hofübergabe massiv verschulden müssen, um den Kaufpreis in Zukunft stemmen zu können?
Es geht einzig um eine wissenschaftliche Grundlage für eine Methode zur Bestimmung des Ertragswertniveaus. Die Studie und die damit publizierte wissenschaftliche Methode erhöhen den landwirtschaftlichen Ertragswert für die Hofübergabe nicht. Massgebend bleibt die aktuelle Schätzungsanleitung. Für eine künftige Revision der eidg. Schätzungsanleitung ist diese fundierte, wissenschaftliche Basis als Orientierung wichtig. Erst mit Inkraftsetzung einer neuen Schätzungsanleitung können Aussagen über die Entwicklung auf die konkrete Hofübergabe gemacht werden. Die Arbeiten dazu haben noch nicht begonnen.Interview Daniela Clemenz
Mittelfluss statt Substanzwert
Die jetzige Schätzungsanleitung bewertet ein Gewerbe nach sogenannten objektiven Kriterien, wobei der Ertragswert stark abgestützt auf den Substanzwert ermittelt wird. Das heisst unabhängig von Erfolg oder Nichterfolg des Betriebsleiters – und auch ohne die Buchhaltungsergebnisse des konkreten Betriebs zu berücksichtigen.
In der Agroscope-Studie zum landwirtschaftlichen Ertragswertniveau geht es um eine stärkere Orientierung an Unternehmensbewertungsmethoden. Basis für die Bewertung ist das Potenzial, künftig Erträge zu erwirtschaften. Dafür wird der Mittelfluss Landwirtschaft vor Abzug von Schuldzinsen herangezogen, bereinigt um die Rücklagen für betriebliche Investitionen (durch Abschreibungen approximiert) und Ausgaben für die Familienarbeitskräfte. In der Mittelflussrechnung werden die Beträge des Betriebs erfasst, bei welchen das Geld real ausgegeben oder eingenommen wird. Der Einfluss von steuerlichen Optimierungen der Erfolgsrechnungsrechnung ist dadurch begrenzt. Resultat der Mittelflussrechnung ist der Cashflow.
Für das Wohnhaus schlägt Agroscope vor, die eingesparte Marktmiete zur Bewertung heranzuziehen – und nicht mehr den landwirtschaftlichen Mietwert. Dadurch steigt der Wertanteil der Betriebsleiterwohnung am Gesamtbetrieb. Die Berechnungen von Agroscope beruhen auf Mittelwerten von 2017–2022 und Daten der Zentralen Auswertung von Buchhaltungsdaten. Insgesamt steigt mit der vorgeschlagenen betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethode das gesamte Ertragswertniveau in der Talregion um 14 %, in der Hügelregion um 24 % und sinkt in der Bergregion um 8 % im Vergleich zur aktuellen Methode.
Allerdings handelt es sich laut Martin Würsch vom Bundesamt für Landwirtschaft um rein wissenschaftliche Ergebnisse. Politische Überlegungen, wie hoch der Wertanteil der Betriebsleiterwohnung am Gesamtwert sein darf, wurden in der Studie z. B. nicht berücksichtigt. «Diese werden bei Überarbeitung der Schätzungsanleitung sicherlich noch eine Rolle spielen», so Würsch.
Hier geht es zur Studie
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