Der Schutzwald in der Schweiz ist überaltert und steht zu dicht. Es brauche unbedingt mehr Nutzung und eine rasche Verjüngung der Bestände, auch zur Anpassung an den Klimawandel. Die zu hohen Wildbestände würden aber wegen den vielen Verbisschäden die Verjüngung behindern. So das Fazit einer Fachveranstaltung an der internationalen Forstmesse in Luzern. Unter Leitung der Berner Fachhochschule (Hafl) wurden die aktuelle Situation der Schutzwälder und mögliche Lösungsansätze diskutiert.
Schutzwälder sind billiger als Verbauungen
Bernhard Pauli von der Hafl wies einleitend auf die wichtigen Funktionen der Schutzwälder hin. Die seien billiger als bauliche Massnahmen zum Schutz vor Naturgefahren. Dazu erläuterte Luuk Dorren Beispiele, wie das Kosten-Nutzen Verhältnis aussieht, wenn in Schutzwälder oder technische Verbauungen investiert wird, um Rutschungen zu verhindern. Der Schutzwald schneide meist viel besser ab.
Christine Moos, ebenfalls Dozentin an der Hafl, ging auf waldbauliche Konzepte zur Klimaanpassung im Schutzwald ein. Extremereignisse würden zunehmen, und auch in den Schutzwäldern werde es trockener und wärmer, wie Zahlen der letzten Jahrzehnte zeigen. Das führe in den Bergen zu mehr Wachstum und einer steigenden Waldgrenze, im Tal hingegen zu weniger Wachstum und mehr Mortalität in den Wäldern. Und in den Bergen verändere sich der Waldbestand, was negative Auswirkungen auf die Schutzwirkung haben könne.
Es gelte somit, die Resilienz von Schutzwäldern zu fördern, durch eine bessere Baumartenvielfalt. «Es braucht mehr Licht in den Wäldern für mehr zukunftsfähige Bäume.» Verjüngung sei der Schlüsselfaktor für die Klimaanpassung, allerdings werde die behindert wegen dem hohen Verbissdruck durch das Wild, meinte Moos.
Zu viele Hirsche
Klare Worte fand zu dieser Problematik der Betriebsleiter des Forstreviers Trimmis im Churer Rheintal, Corsin Jenal. Von der betreuten Waldfläche von 2000 ha seien 80 Prozent Schutzwald, die Hauptrisiken seien Murgänge wegen den vielen Wildbächen. Er listete Herausforderungen, wo die Problemlösung funktioniere. So die gute Zusammenarbeit für bessere Erschliessungen, eine gute Lehrlingsausbildung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen oder die öffentliche Unterstützung mit Beiträgen, um kostendeckende Holzschläge zu ermöglichen und für waldbauliche Massnahmen nach den Bedürfnissen der Wälder.
«Die Jagd soll dem Wald dienen, nicht dem Selbstzweck.»
Corsin Jena, Betriebsleiter Forstrevier Trimmis GR
Die Herausforderung, welche nur global gelöst werden könnten, sei hingegen der Klimawandel. Nur schon eine Temperaturerhöhung um vier Grad erhöhe die Waldgrenze um 600 m. Noch keine Problemlösung ersichtlich sei hingegen für die nötige Anpassung der Wälder an den Klimawandel durch artenreiche, standortgerechte und zukunftsfähige Verjüngung. «Die Schalenwildbestände sind nicht den waldbaulichen Zielen angepasst», betonte Jenal. In seinem Revier sei auf 60 Prozent der Waldfläche eine Verjüngung nötig, in 80 Prozent der Flächen sei aber der Wildeinfluss zu gross. Es gebe zwar unterschiedliche Erhebungsmethoden, das Bild sei aber einheitlich: «Der Wildeinfluss verhindert weitestgehend die artenreiche Verjüngung.»
Nicht nur Baumverbiss
Die Waldgesetzgebung schreibe zwar eine Regelung des Wildbestandes vor, zur Erhaltung des Waldes und für die natürliche Verjüngung, es fehle aber am Vollzug. Zudem fehle es oft am Erkennen von Zusammenhängen, denn der Wildeinfluss sei viel grösser als nur der Verbiss an Bäumen. So nannte Jenal das Beispiel von Weidenröschen als Lebensraum von Schlupfwespen, welche die Schmetterlinge der Kiefern- und Eichenfrassgesellschaften regulieren. Der Verlust des Weideröschens durch Wildverbiss sei somit ein Waldschutzproblem. Es brauche somit eine verstärkte und zielgerichtete Regulierung der Wildbestände, für den Wald. «Die Jagd soll dem Wald dienen, und nicht dem Selbstzweck», meinte Jenal.
Die Jäger sind übervertreten
In der Podiumdiskussion bestätigte der Urner Kantonsförster Roland Wüthrich, dass es viele alte dunkle Wälder gebe und die Zeit dränge für eine verstärkte Verjüngung. Allerdings gebe es sehr unterschiedliche Schutzwälder mit unterschiedlichen Bedürfnissen dafür. Christoph Niederberger von Wald Schweiz forderte ebenfalls eine stärkere Nutzung und Waldbewirtschaftung, dazu brauche es auch bessere Erschliessungen. Allerdings müssten die Waldeigentümer auch im Schutzwald ihre Kosten decken können. Bund und Kantone müssten ihre Jagplanungen besser umsetzen, das sei ein wichtiger Hebel. Corsin Jenal meinte dazu, dass die Jäger eben in vielen Gremien übervertreten seien und dass sich mit Jagd-Themen eben besser Politik machen lasse als mit Anliegen der Forstwirtschaft.
Mehr Nutzung ermöglichen
Remo Abächerli vom gleichnamigen Obwaldner Forstunternehmen wies auf die vielen Einschränkungen und Auflagen für die Holznutzung gerade auch in Schutzwäldern hin. Fazit der Runde: Erwartet werden mehr Verständnis für das Ökosystem Wald, bessere Holzerlöse und bessere Erschliessungen, stärkere Regulierung der zu hohen Wildbestände, besonders bei den Hirschen, und mehr gemeinsam getragene Lösungen. Derzeit habe die Schweiz im internationalen Vergleich noch ein gutes Schutzwaldmanagement, den hohen Stand gelte es aufrecht zu erhalten.