Am 13. Juni wird sich zeigen, welche Richtung die Landwirtschaft einschlagen wird. Noch nie standen für die Land- und Ernährungswirtschaft derart einschneidende Volksinitiativen auf dem Abstimmungskalender. Für die Schweizer Landwirtschaft wird das Jahr 2021 also alles andere als gemütlich. Es ist alles andere als sicher, dass die beiden Initiativen von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern abgelehnt werden. Denn die grundsätzlichen Anliegen der Initiativen – gesundes Essen und rückstandsfreies Trinkwasser –, sind für die Bevölkerung einfach zu verstehen. Das weiss auch Hans Jörg Rüegsegger, Präsident des Berner Bauernverbands. «Es wird sicher kein einfacher Spaziergang für die Landwirtschaft, die Pflanzenschutz- und die TrinkwasserInitiative bodigen können», sagt Rüegsegger klar und deutlich.
Respekt davor
«Ich will nicht sagen, dass ich vor der Abstimmung Angst habe, aber Respekt und Demut», hält Rüegsegger fest. Nur zu gut kennt er die Auswirkungen für die Landwirtschaft bei deren Annahme. «Bei einem JA gibt es fast keine Schweizer Produktion von Eiern, Schweine- und Pouletfleisch mehr», ist der Berner Bauernpräsident überzeugt. Er befürchtet auch, dass bei einer Annahme der beiden Initiativen mehr Produkte aus dem Ausland importiert würden. «Land- und Ernährungswirtschaft dürften dann gar keine synthetischen Pestizide zur Produktion und Verarbeitung der Lebensmittel mehr verwenden», sagt Rüegsegger. Das sei mit Mehrkosten verbunden, die sich im Ladenpreis widerspiegeln werden. Nicht nur für den Berner Bauernverband, sondern auch für alle Bäuerinnen und Bauern werde es eine grosse Herausforderung, die Konsumentinnen und Konsumenten von den negativen Umweltauswirkungen der beiden Pflanzenschutz-Initiativen überzeugen zu können.
Viel Aufklärungsarbeit
Hans Jörg Rüegsegger stellt fest, dass auch die Tonalität der Initiativ-Befürworter rauer geworden ist. Auf den Sozialen Medien werde die Landwirtschaft oft nur als Umweltverschmutzer und Direktzahlungsbezüger dargestellt. «Einmal mehr müssen wir der Bevölkerung aufzeigen, was die Landwirtschaft jeden Tag, zum Wohle der gesamten Gesellschaft leistet», sagt Rüegsegger. Zur Unterstützung hat der Berner Bauernverband extra dafür einen Faktencheck mit stichfesten Argumenten für die Bäuerinnen und Bauern ausgearbeitet. Dieser Faktencheck biete eine gute Hilfestellung für die Argumentation gegen die beiden Initiativen. Nicht wie in Teilen der Bevölkerung wahrgenommen, nehme die Landwirtschaft schon lange die angesprochenen Themen der Initiativen sehr ernst. «Mit dem Aktionsplan Pflanzenschutzmittel, der Strategie und dem Aktionsplan Biodiversität, der Strategie gegen Antibiotikaresistenzen, der Branchenstrategie für eine nachhaltige Schweizer Futtermittelversorgung liegen nicht nur konkrete Massnahmen, sondern auch verbindliche Ziele und Fristen vor», hält der Berner Bauernpräsident fest.
Nachhaltige Produktion
So gebe es mit der konsequenten Um- und Durchsetzung aller bestehenden Instrumente ausreichend Hebel, um die einheimische Landwirtschaft noch nachhaltiger zu machen und die aktuellen Herausforderungen anzugehen. «Darum ganz klar zweimal Nein zu den beiden extremen Agrar-Initiativen», sagt Rüegsegger. Würde zum Beispiel die Trinkwasser-Initiative angenommen, könnte auch Rüegsegger seine Rinder nicht mehr auf der fremden Alp sömmern lassen, denn die Initiative sieht vor, dass nur noch betriebseigenes Futter den Tieren verfüttert werden darf. Da zurzeit wegen Corona keine Podien und Veranstaltungen stattfinden dürfen, sei es auch für den Berner Bauernverband schwieriger geworden, seine Botschaft an die Frau, beziehungsweise an den Mann zu bringen.
Persönlicher Dialog
«Ganz klar fehlt der persönliche Dialog und der Handschlag», bedauert Rüegsegger. So wolle man sich vermehrt via Internet, Whatsapp oder Facebook Gehör verschaffen. Auch Telefongespräche gehören zum täglichen Austausch. Dass wegen der Pandemie auch die Mitgliederversammlung des Berner Bauernverbands schon zum zweiten Mal ins Wasser falle, bedauert der Präsident sehr. Umso mehr, da dieses Jahr auch die Gesamterneuerungswahl des Vorstands anstehe. «Wir können sie nur schriftlich durchführen», bedauert Rüegsegger. Ab dem 30. März können sich die Mitglieder auf der Website des Berner Bauernverbands einloggen und während einer Woche ihre Stimme schriftlich abgeben.
Viel Arbeit
Obwohl die beiden Pflanzenschutz-Initiativen für den Berner Bauernverband dieses Jahr sicher im Mittelpunkt stehen, gehe auf der Geschäftsstelle in Ostermundigen die Arbeit nicht aus. «Für uns bleiben weiterhin die Bildung, die Raumplanung, sowie Klima und Umwelt wichtige Themen», hält Rüegsegger fest. Erfreulich habe sich auch das Berner Pflanzenschutzprojekt, bei dem 3500 Berner Bauernbetriebe mitmachen, entwickelt. Das Ziel dieses Projekts sei, den Einsatz von Pflanzschutzmitteln effizienter sowie umweltschonender zu gestalten und dabei das Produktionspotenzial ausschöpfen zu können.
«Wie uns oft vorgeworfen wird, schlafen wir auch nicht, denn die Landwirtschaft unternimmt schon heute sehr viel, um den Pflanzschutzmittel- und Antibiotikaeinsatz drastisch zu senken», sagt Rüegsegger. Daher seien auch die zwei extremen Agrar-Initiativen überflüssig und sogar kontraproduktiv für Klima und Umwelt.