Es ist einer der umstrittensten Vorschläge im Massnahmenplan Sauberes Wasser (MSW) des Bundesrats: Die 10-Prozent-Toleranzgrenze in der Suisse-Bilanz soll abgeschafft werden, um so einen Schritt im Absenkpfad Nährstoffe zu machen. Dieser sieht vor, dass die Landwirtschaft bis 2030 den Stickstoff- und Phosphorausstoss um 20 Prozent zu senken hat. Der MSW befindet sich derzeit in Vernehmlassung.
Gut 2 Prozent Absenkung
Die geplante Abschaffung der 10-Prozent-Toleranz würde gemäss den Berechnungen des Bundes gut 2 Prozent zur Nährstoffabsenkung beitragen. Doch in der Praxis hält man wenig von diesem Schritt, wie SBV-Präsident Markus Ritter auf Anfrage betont. «Die Suisse-Bilanz ist ungenau», sagt er auf Anfrage, «sie beruht auf vielen theoretischen und überholten Annahmen». Darum sei es notwendig, eine Toleranz von 10 Prozent zu haben. Bevor über eine Abschaffung dieses Spielraums gesprochen werden könne, muss die Suisse-Bilanz unter Einbezug der Praxis an die effektiven Bedingungen angepasst werden».
Wenn die Suisse-Bilanz genauer ausgestaltet und die Realität korrekt abgebildet werde, erhalte die Toleranzgrenze eine andere Bedeutung, sagt Markus Ritter. Gleichzeitig müsse man sich auch bewusst sein, «dass die Nährstoffversorgung der Kulturpflanzen von vielen, zum Teil nicht beeinflussbaren Faktoren abhängt und somit nie eine exakte Wissenschaft sein wird».
Den Absenkungseffekt hält Ritter im Übrigen für bescheiden: «Mit der Streichung der Toleranzgrenze reduzieren wir 2 Prozent Überschüsse. Das ist ziemlich ineffizient, wenn man ihre aktuelle Bedeutung in der landwirtschaftlichen Praxis anschaut.»
Motion will Toleranz erhalten
Der Missmut über die Abschaffungspläne hat auch in einer Motion mit dem Titel «Anpassung der Suisse-Bilanz und deren Grundlagen an die effektiven Verhältnisse» (21.3004) Niederschlag gefunden, welche der Ständerat bereits gutgeheissen hat. Mit dieser wird sich in der Herbstsession nun auch der Nationalrat befassen.
Die Motion verlangt eine Beibehaltung der Toleranz-Grenze. In der Suisse-Bilanz und deren Grundlagen müssten unter anderem der Standort, das Ertragspotenzial der Kulturen und der Futterverzehr besser berücksichtigt und an die Realität in der Praxis angepasst werden, heisst es im Text des Postulats.
Die Begründung wird noch etwas konkreter: Deutlich längere Vegetationsperioden, grundsätzlich gute bis sehr gute klimatische Bedingungen und grosse Fortschritte in der Sortenzucht führten dazu, dass das Ertragspotenzial im Acker- und Futterbau in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Diese Entwicklung werde auch in den nächsten Jahren anhalten, so die Autoren. «In der Suisse-Bilanz und deren Grundlagen werden diese Veränderungen zu wenig berücksichtigt», fahren sie fort, «gerade im Futterbau und insbesondere bei Mais ergibt sich eine zunehmende Lücke zwischen Praxis und Vorgaben». Es sei darum nötig, dass die Grundlagen zur Düngung generell auf Praxisbetrieben überprüft werden. Mit anderen Worten: Die Suisse-Bilanz reagiere zu langsam auf den landwirtschaftlichen Fortschritt.
Was tut der Nationalrat?
Man müsse im Weiteren, so die Motionäre, Möglichkeiten zur Abgrenzung von Lagerveränderungen prüfen. «Wenn nicht jedes Jahr die exakt gleiche Fläche einer Kultur für die Futterproduktion für die Tiere zur Verfügung steht, zum Beispiel beim Mais, kann dies zu erheblichen Verwerfungen in der Suisse-Bilanz führen, da die angebaute Kultur und deren Ertrag in jedem Fall im Produktionsjahr als verbraucht gilt», schreiben sie.
Der Bundesrat hatte wenig Musikgehör, was diese Argumentation angeht. In seiner ablehnenden Stellungnahme schrieb er, dass die 10-Prozent-Toleranzgrenze vor rund 20 Jahren aufgrund Unsicherheiten in der Berechnungsmethode eingeführt wurde. «In der Zwischenzeit konnte diese Berechnungsmethode kontinuierlich verfeinert werden, weshalb eine Toleranz nicht mehr gerechtfertigt ist», so die Regierung. Die Toleranzgrenze ermögliche heute intensiv produzierenden Betrieben einen Nährstoffeinsatz, der den Bedarf der Pflanzen übersteige. «Damit werden über die Zeit Nährstoffüberschüsse generiert.»
Es wird nun interessant sein zu sehen, wie der Nationalrat mit dieser Frage umgeht. Zuletzt hatte er mit der Durchsetzung des Schleppschlauch-Obligatoriums dem Ständerat die Stirne geboten.