Ein Gespenst geht um im Vorfeld der Bundesratswahlen: das Gespenst der «Bauernlobby». Gleich drei der vier grosse Deutschschweizer Medienhäuser widmeten ihr in den vergangenen Tagen grosse Artikel mit eindrücklichen Schlagzeilen. «Die unheimliche Macht der Bauern», titelte die «NZZ am Sonntag». «Kaum eine Lobby hat in der Schweiz so viel Macht wie jene der Bäuerinnen und Bauern», erfuhr die Leserschaft von CH Media. Die Bauern – in derselben Liga wie der Finanzplatz, die Pharma, die Energieversorger?
Es hängt eben alles von der Definition ab. Wer gilt als Lobby, wer spricht von Lobby? Gebraucht wird das Wort gerne auf der linken Seite des politischen Spektrums. Als «Lobby» gilt hier, wer aus wirtschaftlichen Interessen Einfluss auf die Politik nimmt, etwa indem er politische Allianzen mit anderen Interessengruppen sucht oder medial Druck auf Gegner ausübt.
Lobbying oder Engagement?
Nun könnte man einwenden, dass es auch auf der linken Seite Organisationen gibt, die dieses Spiel ganz gut beherrschen. Sie gelten aber nicht als Lobby. Setzen sich Inhaber von Solarfirmen oder Geschäftsführer von Windenergie-Firmen für «grünen Strom» ein, ist das kein Lobbying, sondern ökologisches Engagement.
Bisweilen sind die Fronten unklar. Ging es um neue gentechnische Verfahren oder Medikamente, wurde oft von den Machenschaften einer «Pharmalobby» gemunkelt – um die es aber im Zuge der Impfkampagne gegen Covid-19 plötzlich ganz still wurde. Ähnliches liess sich nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine in Bezug auf die «Rüstungslobby» beobachten.
Versucht eine Branche, ihre ganz konkreten wirtschaftlichen Interessen in der Politik durchzubringen, ist das zunächst einmal ehrlich. Niemand muss eine geheime Agenda fürchten, wenn Müller hohe und Bäcker tiefe Mehlpreise fordern. Sie folgen ihrem Interesse, und das macht sie für alle anderen berechenbar. Kommt dazu: Wer dem Eigeninteresse folgt, tut gut daran, zu seinem Wort zu stehen. Ganz einfach, weil sein Ruf als zuverlässiger Partner sein politisches Kapital ist.
Bei persönlichen Interessen wird es heikel
Viel heikler wird es da, wo sich hohe Ideale mit ganz persönlichen Interessen verbinden. Für jene, die für eine gute Sache kämpfen, kann ein Kompromiss nie mehr sein als ein Mittel zum Zweck, ein taktischer Zwischenhalt auf dem Weg zu einem Ziel, bei dem es eigentlich keine Kompromisse geben darf. Geht es doch meist um Menschenleben, Gerechtigkeit oder gar das Überleben des Planeten überhaupt. Man darf sich fragen: Welche Mittel heiligte ein solcher Zweck denn nicht?
Das kann sehr gelegen kommen, wenn der eigene Lebensentwurf ganz im Einklang mit den politischen Werten gestaltet wurde. Engagement, Beruf und Politik vermischen sich. Wie bei den aktuellen Bundesratskandidaten der SP. Beat Jans etwa führte sein Kampf für die Umwelt in eine Umweltberatungsfirma, in die Geschäftsleitung einer grossen Naturschutzorganisation, an die Spitze einer grossen Umweltmesse, in den Verwaltungsrat eines im Bereich nachhaltige Energie innovativen grossen Stromproduzenten. Jans, der Lobbyist?
Oder Jon Pult, beruflich nach eigenen Angaben «Strategie- und Kommunikationsberater», Verwaltungsrat der Firma, die den Zuschlag für die Kampagne für die Trinkwasser-Initiative erhielt, und der seine Zutrittsberechtigungen an zwei Personen vergeben hat, die bei PR- und Consulting-Büros tätig sind. Eines davon nimmt «Mandate rund um Umwelt, Politik und Nachhaltigkeit» entgegen. Das andere wirbt auf seiner Homepage für «strategische Politikanalysen, Lobbying-Dienste, Beratung zur Einflussnahme, Monitoring, Netzwerkbeziehungen und Vermittlung, Kommunikation und Events». Pult, der Lobbyist?
Wie aus einer Netflix-Serie
Lieber schreiben die grossen Medienhäuser also von der Bauernlobby. Und Lobbywatch-Co-Präsident Thomas Angeli schiebt die grossen politischen Verschiebungen, die links-bürgerliche Allianzen in den letzten Legislaturen bewerkstelligten, schlicht auf einen ominösen «gesellschaftlichen Wandel», der da völlig unabhängig von sozio-ökonomischen Interessen und Strategien ins Land zu ziehen scheint wie weiland der Lenz.
Das Bild von der «unheimlichen Macht» einer «Bauernlobby» wirkt da wie einer Netflix-Serie entsprungen – oder dem Konzept eines gut bezahlten PR-Profis.
