Ein Hauptkritikpunkt der Gegner der Biodiversitäts-Initiative (BDI) ist das Anliegen der Initianten, 30 Prozent der Landesfläche unter Schutz zu stellen. Urs Leugger, Geschäftsführer von Pro Natura, nimmt dazu im Interview Stellung und erklärt, weshalb die BDI auch Ortsbilder und Landschaften schützen will.
Das Nein-Komitee warnt davor, die Initianten wollten 30 Prozent der Landesfläche schützen. Sie beziehen sich dabei auf eine Mitteilung von Pro Natura.
Urs Leugger: Die Biodiversitäts-Initiative enthält kein Flächenziel. Ihr Ziel ist es, die Biodiversität und damit auch die Produktionsgrundlage der Landwirtschaft für die Zukunft zu erhalten. Dafür braucht es mehr Fläche und mehr finanzielle Mittel; deren Umfang müssen aber Bund und Kantone definieren. Pro Natura hatte in der Medienmitteilung auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgezeigt, was es brauchen würde, um das internationale Ziel der UNO-Biodiversitäts-Konvention zu erreichen, zu dem sich die Schweiz bekannt hat.
Kann die BDI ihre Ziele erreichen, ohne konkrete Zahlen zu nennen?
Es geht primär darum, dem Schutz und der Förderung der Biodiversität und damit unseren Lebensgrundlagen mehr Gewicht zu verleihen, indem wir dieses Anliegen auf die Ebene der Bundesverfassung heben. Bund und Kantone müssen die Frage beantworten, wie viel Fläche es braucht. Dabei spielt auch die Qualität der Flächen eine wichtige Rolle. Daher haben wir eine offene Formulierung des Initiativtextes gewählt. Dass bisher nicht einmal der Unterhalt der Schutzgebiete von nationaler Bedeutung gesichert ist, zeigt den klaren Handlungsbedarf.
Sie argumentieren mit dem «Erhalt unserer Lebensgrundlagen». Was ist mit der Versorgung mit Lebensmitteln?
Auch der Bundesrat sagt, dass die Biodiversität die zentrale Voraussetzung für die Produktion von Lebensmitteln sei. Wir brauchen die biologische Vielfalt z. B. für gesunde Böden, sauberes Wasser, ausreichende Bestäubung und zur natürlichen Schädlingsregulation. Wenn es darum geht, den Selbstversorgungsgrad zu erhöhen, sind die Lebensmittelverschwendung und die Futtermittelproduktion die grössten Hebel, die wir in der Schweiz haben – diese sind jedoch nicht Gegenstand der BDI.
Ist – wie die Gegner sagen – der Schutz von Ortsbildern und Baukultur Teil der BDI, um via Parteirecht einfache Einsprachen gegen Bauten, etwa zur Produktion erneuerbarer Energien, erheben zu können?
Nein. Die BDI ist eine Ergänzung zum bestehenden Artikel 78 in der Bundesverfassung, wo Natur- und Heimatschutz gemeinsam geregelt werden. Daher rührt die Verbindung von Biodiversität, Landschaft und Baukultur in der Initiative. Die Initiative möchte die wertvollsten Landschaften und die schönsten Orte der Schweiz erhalten. Diese sind auch für den Schweizer Tourismus von zentraler Bedeutung. Eine vorausschauende Berücksichtigung der Schutzobjekte bei Bauprojekten ist wichtig.
Wie definieren Sie «erhebliche Eingriffe» in Schutzgebiete, für die es laut BDI ein «überwiegendes Interesse» bräuchte?
Das wären etwa Bauprojekte ausserhalb der Bauzone, z. B. für die Produktion erneuerbarer Energie oder Infrastruktur für den Tourismus. Würde man beispielsweise am Rheinfall ein Kraftwerk bauen wollen, das dem Wasserfall einen Grossteil des Wassers entzieht, wäre das ein erheblicher Eingriff.
Wären auch Stallneu- oder Umbauten von dieser neuen Regelung betroffen?
Nein, solche Projekte sind im Raumplanungsgesetz geregelt und die BDI macht den Kantonen keine Vorgaben.
Was wäre ein Beispiel für ein «überwiegendes Interesse» als Rechtfertigung für einen erheblichen Eingriff in ein Schutzgebiet?
Das sind in erster Linie Anlagen zur Produktion erneuerbarer Energie.
Die BDI verlangt auch, dass die Natur generell geschont werden soll. Wie könnte das konkret in der Praxis aussehen?
Auch ausserhalb der Schutzgebiete gilt es, den Einfluss menschlicher Aktivitäten auf Biodiversität und unsere natürlichen Ressourcen zu berücksichtigen. Die Landwirtschaft, aber auch die Gestaltung der Siedlungsräume oder die Waldnutzung sollten deshalb im Bewusstsein für den Rückgang der Biodiversität ausgerichtet werden.
Das heisst, Landwirte machen sich bisher zu wenig Gedanken zum Schutz der Biodiversität?
Nein, wir adressieren mit der BDI Bund und Kantone, die aktiv werden sollen. In der Umsetzung sind alle Sektoren gleichermassen gefordert, sich für eine hohe Qualität und eine gute Vernetzung natürlicher Lebensräume einzusetzen. In unserem stark genutzten Land geht es darum, Schutz und Nutzung zu kombinieren, um unsere Lebensgrundlagen für kommende Generationen zu erhalten.

