Im unteren Bereich der Reuss, in den damaligen Schadenschwerpunkten Bremgarten und Windisch, ist der Hochwasserschutz (HWS) mit mobilen Elementen weitgehend realisiert. Hingegen besteht zwischen Dietwil und Bremgarten dringender Handlungsbedarf, und hier insbesondere in den beiden Gemeinden Dietwil und Oberrüti: Die rund 100 Jahre alten Reussdämme hätten 2005 den Wassermassen nur knapp standgehalten, erfüllten die Stabilitätsanforderungen nicht mehr und müssten ersetzt werden, heisst es seitens Kanton.

Renaturierungen als Pflicht

HWS-Projekte seien gesetzlich mit Gewässerrenaturierungen gekoppelt, was eine Rückversetzung der Dammlinien auf Kosten von Kulturland bedeute. Davon direkt betroffen sind fünf bis zehn Grundeigentümer. Es würden zirka 10 Hektaren Fruchtfolgeflächen und 5 Hektaren Wald beansprucht. Die Projektverantwortlichen orientierten letzte Woche Behörden- und Interessenvertreter, gleichentags die Grundeigentümer. Laut Projektleiter Silvio Moser verlange das Raumplanungsrecht für solche Vorhaben eine umfassende Interessenabwägung. Im Wesentlichen gelte es, einen Kompromiss zwischen den HWS-Massnahmen, der Revitalisierung des Gewässers und schonendem Umgang mit Kulturland zu finden.Der Perimeter für die Dammneubauten im Raum Dietwil-Oberrüti umfasst rund 5 Kilometer. Für drei Teilabschnitte wurden jeweils mehrere Varianten für einen Dammverlauf ausgearbeitet und von den Beteiligten bewertet. Bei zwei Abschnitten kristallisierte sich je eine favorisierte Variante heraus. Beim dritten Abschnitt gab es keinen Konsens, es bleiben noch Optionen offen. Im Rahmen des Vorprojekts sollen hier die Grundbesitzer intensiv in die Planung einbezogen werden.

Nebst den Dammneubauten und -erhöhungen im südlichen Bereich sieht das HWS-Konzept Rückhalteräume vor, um Spitzen zu brechen. Eingehend geprüft wurde in diesem Zusammenhang der Reussspitz, das Dreieck zwischen den Flüssen Reuss und Lorze. Um die Ebene für diesen Zweck zu nutzen, wären Regulierungsbauten erforderlich. Nun handelt es sich beim Reussspitz um ein Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung. «Gemäss einem Rechtsgutachten sind Bauten hier nicht bewilligungsfähig», erklärte Moser.

Ausleiträume fehlen noch

Ausserdem hätten sich die Kantone Zug und Zürich vehement dagegen gewehrt. Deshalb geht die Suche nach geeigneten Ausleiträumen im nördlichen Bereich weiter. Unter Berücksichtigung aller Verfahrensschritte sei mit einem Baubeginn frühestens ab 2035 zu rechnen. Die Kosten werden auf rund 35 Millionen Franken geschätzt.

«Der Kulturlandverlust ist einschneidend»

Der Bauernverband Aargau (BVA) sei im rund achtjährigen Evaluationsprozess wiederholt konsultiert worden, meinte Geschäftsführer Ralf Bucher. Er bedauert aber, dass im Rahmen des Gesamtkonzepts der Reussspitz als Rückhalteraum bei Hochwasser ausser Betracht fiel. Damit werde die Problematik in den Abschnitt Nord verschoben.
Aus rein rechtlicher Sicht sei der Entscheid nachvollziehbar. Dies betreffe allerdings lediglich das Bauwerk im Moorbereich und nicht die Überflutung des Naturschutzgebiets. Denn es werde bereits heute durch den Rückstau der Lorze immer wieder überschwemmt. Ein Regulierbauwerk könnte solche Überflutungen anzahlmässig sogar reduzieren.
Den Kulturlandverlust von 10 Hektaren bezeichnet Bucher als einschneidend. «Der Kanton Zug erhöht den Damm am bestehenden Ort. Uns fehlt eine plausible Begründung, weshalb dies nicht auch auf Aargauer Seite möglich sein soll», so Bucher. «Hier geht es nicht um Hochwasserschutz, sondern um ein reines Renaturierungsprojekt.»
René Leu aus Oberrüti war als einer der vom HWS-Projekt tangierten Landwirte an der Information der Grundeigentümer anwesend. Das Vorhaben wurde lediglich in den Grundzügen vorgestellt, die konkreten Auswirkungen für die einzelnen Betriebe seien noch nicht bekannt. Die Orientierung habe verständlicherweise keine Begeisterung ausgelöst. «Wie immer bei solchen Projekten gehören die Bauern zu den grössten Verlierern.» Entsprechend sei die Stimmung gewesen, zwar angespannt, aber trotzdem anständig. Zusammen mit dem BVA werde man versuchen, Optimierungen zu erreichen. 

Luzerner Reuss-Projekt

Anfang Dezember genehmigte der Luzerner Kantonsrat den «Massnahmenplan zum Schutz für Naturgefahren und zur Revitalisierung der Gewässer» für die Jahre 2025 bis 2028 einstimmig. Darin enthalten ist auch das Luzerner Reussprojekt mit Gesamtkosten von rund 200 Mio Franken. Darüber wird seit Jahren diskutiert, und es gab Kritik von breiten Kreisen, auch wegen des grossen Kulturlandverlusts. Das Kantonsgericht wies allerdings 2023 und 2024 Beschwerden ab und bezeichnete das Projekt als «angemessen und verhältnismässig». Entlang der 13,2 km langen Projektstrecke von Emmen bis zur Kantonsgrenze könnten künftig von den 64 ha Land noch 29 ha landwirtschaftlich genutzt werden, allerdings extensiv. Aufgrund der Projektkosten ist eine Volksabstimmung nötig, der Baustart ist noch offen.