Don Festino gibt sein Letztes. Der Zuchthengst im Besitz des Schweizer Nationalgestüts in Avenches hat eine schwierige Aufgabe gefasst. Ein Weidenbaum im Wald muss weg. Er befindet sich in misslicher Lage – ein Fachmann weiss, das ist kein Leichtes. «Davon lassen wir besser die Finger», sagt André Stähli beim Betrachten des Baumes. Der erfahrene Holzer ist heute zum letzten Mal im Wald. Stähli ist pensioniert. Nicht erst seit heute – er ist 72 Jahre alt. Zusammen mit dem gleichaltrigen Henri Spychiger hat er über viele Jahre hinweg Kurse für Waldarbeit mit Pferden angeboten. «Schonend» war dabei stets ihr Credo. Und das nicht nur für den Wald, sondern auch für Mensch und Pferd.

3000 Kubikmeter Erfahrung

Henri Spychiger schaut die Weide an: «Wenn einer dieser Hengste hier sein Äussersten gibt, dann schaffen wir sie.» Spychiger ist in der Pferdeszene kein Unbekannter. Der ehemalige Präsident des Freibergerverbands hat viel Zeit als aktiver Landwirt und Lehrmeister im Wald verbracht. 3000 Kubikmeter Holz kann er verbuchen. Nun ist fertig. Das Kurswesen mussten die beiden auf Jahresbeginn einstellen. Der Grund dafür ist das Waldgesetz, das nach fünf Jahren Übergangsfrist am 1. Januar 2022 nun definitiv in Kraft getreten ist. Es sieht eine «Kurspflicht für forstlich ungelernte Personen» vor. Zu diesen forstlich ungelernten Personen gehören auch Spychiger und Stähli, die notabene ihr halbes Leben im Wald verbracht haben. Aber daran gibt es nichts zu rütteln. «Wir sind zu alt, um diesen Kurs zu absolvieren», sagt Spychiger. Damit wird er nicht der Einzige sein. Und dem Wald werde damit ein Bärendienst erwiesen, ist der Holzer sicher. «Der Wald wird Hauptleidtragender sein», sagt er. Mit den zunehmenden Auflagen würden viele das Holzen und die Waldpflege sein lassen. Denn zu verdienen gäbe es im Wald schliesslich einfach nach wie vor zu wenig.

Vorher genau abklären

Wer nicht mehr selber holzen darf oder will und das daher künftig in Auftrag gibt, muss sich vergewissern, dass der oder die Beauftragte die zehn Tage Kurs absolviert hat. Denn kommt es zu einem Unfall, kann die Versicherung des Verunfallten Regress auf die Haftpflichtversicherung des Auftraggebers machen. Dabei handelt es sich um eine Rückforderung, die eine Versicherung stellen kann. «Das ist nun einfach mal ein Begriff, mit dem die Landbevölkerung nicht vertraut ist. Wir haben es zunehmend mit solchen Begrifflichkeit und Aspekten zu tun», weiss der pensionierte Landwirt und spricht vom Amtsschimmel.

Ball ist nun bei den Kantonen

Henri Spychiger und André Stähli haben Erfahrung, die in zehn Tagen nicht zu vermitteln ist. Ihre Erfahrung zählt aber wenig. Das heisst, es kommt ganz darauf an, wo die beiden schliesslich holzen wollen. Denn die Umsetzung der Neuregelung obliegt den Kantonen. Und dort kann es unter Umständen eine allfällige Gleichwertigkeitsanerkennung von praktischer Erfahrung geben. Die Kantone haben hier unterschiedliche Regelungen, manche verlangen die zehn Tage Ausbildung ohne Ausnahmen, andere können Gleichwertigkeiten – also Praxiszeit – anerkennen. Demnach müssten Stähli und Spychiger sich nur beim Kanton direkt erkundigen. Warum aufgeben, wenn es so einfach scheint? «Wir gaben diese Kurse in fünf verschiedenen Kantonen. Die Chance, dass ein Interesse aus anderen Kantonen ebenfalls angemeldet wird, ist gross. Hier ist es so, dort ist es anders, aber nirgends gleich», kritisiert Spychiger «das Theater» und spricht von Zuständen, die dem Wilden Westen gleichkommen.

Auch die Jungen sind betroffen

Holzerkurse Lernende dürfen nun doch nicht nur mit einem «Fuchsschwanz» in den Wald Saturday, 8. January 2022 Aber nicht nur Männer, die den Kurs altershalber nicht mehr absolvieren wollen, sind stark betroffen, auch am anderen Ende der Ausbildungsskala zeichneten sich bisher mühsame Unklarheiten ab. Das hat auch der Schweizer Bauernverband erkannt und Anpassungen gefordert. Die Arbeitsgruppe Arbeitssicherheit für forstlich ungelernte Personen (AGAS), welche die Koordinations- und Informationsaufgaben zur Förderung der Arbeitssicherheit von Personen ohne forstlichen Berufshintergrund wahrnimmt, unterstützt diese Forderung. Sie hat die zugrunde liegende Empfehlung «Arbeitssicherheitskurse in der Holzernte für forstlich ungelernte Personen» in Bezug auf die Ausbildung von Lernenden in der Landwirtschaft angepasst. 

Schädlich für den Wald

Unabhängig davon ist Henri Spychiger sicher, dass diese Gesetzesrevision grössere Kreise zieht, als lange erwartet wurde. Schlecht kommuniziert, chaotisch orientiert und vonseiten Landwirtschaft wohl zu wenig umkämpft sei die ganze Angelegenheit gewesen. Und die negativen Folgen seien bereits sichtbar.

«Der Wald wird Hauptleidtragender sein.»

Henri Spychiger, pensionierter Landwirt aus Le Reusilles BE

Ein allerletztes Mal

[IMG 2] Die schwierige Weide wird zum Fällen angesägt. Der Hengst Don Festino zieht unter seiner ihm vertrauten Führerin Christa Graf an. Nichts passiert. Noch etwas mehr sägen. Don Festino zieht. Wieder nichts. «Wir müssen den Haken ein wenig drehen», sagt Henri Spychiger und überprüft die Übersetzungsrolle mit Blick auf Pferd und Führerin. Don Festino zieht – der Hengst gibt sein Äusserstes. Der Baum liegt am Boden. «Holzen mit Pferden ist mit Emotionen verbunden. Niemand würde je vom Traktor steigen und diesen für seine Arbeit tätscheln gehen – bei Pferden tut man das noch», sagt Henri Spycher und tätschelt ein allerletztes Mal ein Pferd für seine Dienste im Wald.