Die Totalrevision der landwirtschaftlichen Grundbildung ist kurz vor dem Ziel. Die externe Vernehmlassung bei den Kantonen sowie den interessierten Kreisen ging im Juni zu Ende. «Es gab keine grundlegende Opposition, dafür einige gute Vorschläge, die aufgenommen wurden», urteilte die Organisation der Arbeitswelt (OdA AgriAliForm) in einer Medienmitteilung. «Ich war an vielen Workshops dabei, natürlich wurde zum Teil emotional diskutiert», sagt Fred Grunder, Präsident der Fachkommission Bildung und Beratung beim Berner Bauernverband.
Umsetzen auf das Schuljahr 2026/27
Das Ziel ist, dass die neue Bildungsverordnung ab 1. Oktober 2025 in Kraft tritt. Das sei nach wie vor realistisch, sagt Petra Sieghart, Leiterin des Geschäftsbereichs Agriprof beim Schweizer Bauernverband. Umgesetzt wird auf das Schuljahr 2026/27.
Erstmal die Grundlagen
In den ersten beiden Lehrjahren werden bei den Landwirt/innen EFZ in der Berufsfachschule Grundlagen aus verschiedenen Handlungskompetenzbereichen vermittelt. Diese heissen: Pflegen des Kulturlands, Unterhalten und Nutzen der technischen Infrastruktur, Organisieren und Kommunizieren im Betriebsumfeld, Halten von Nutztieren, Bewirtschaften von Grünland und Raufutterflächen. Im dritten Lehrjahr spezialisiert man sich in einer der Fachrichtungen Ackerbau, biologischer Pflanzenbau, Alp- und Berglandwirtschaft, Geflügel-, Rindvieh- oder Schweinehaltung (siehe Infografik). Der bisherige Beruf «Geflügelfachleute» wird eine Fachrichtung in der Lehre Landwirt/in EFZ.
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Viertes Lehrjahr mit zweiter Fachrichtung
Neu gibt es die Möglichkeit, in einem vierten Lehrjahr eine zweite Fachrichtung zu absolvieren und damit ein zweites EFZ zu erlangen (siehe Kasten). Die Berufsbildungskommissionen seien überzeugt von diesem neuen Bildungsmodell, «mit dem flexibel auf die individuellen Bedürfnisse eingegangen werden kann», sagt Petra Sieghart.
Der Mehrwert der zweiten Fachrichtung müsse von allen Beteiligten – von den Lehrbetrieben, den landwirtschaftlichen Schulen, den Eltern und der Berufsberatung – gut und einheitlich kommuniziert werden. Man müsse klarstellen, «dass eine vierjährige Ausbildung notwendig ist für alle, die einen Mischbetrieb haben oder einen solchen führen wollen».
Der Kanton Bern sei diesem Modell mit Fachrichtungen im 3. und 4. Ausbildungsjahr «kritisch» gegenübergestanden, sagt Fred Grunder rückblickend, aber natürlich unterstütze man es nun.
Was braucht ein Lehrbetrieb?
Jeder Lehrbetrieb benötigt für die Ausbildung in einer Fachrichtung eine Anerkennung, welche durch die im jeweiligen Kanton zuständige Stelle ausgesprochen wird. Die Frage, wann ein Betrieb spezialisiert genug für eine gewisse Fachrichtung ist, hält Fred Grunder «für eine Herausforderung». Die Anforderungen hierzu werden derzeit von der OdA AgriAliForm erarbeitet und «noch vor Weihnachten an die Kantone verschickt», sagt Petra Sieghart. Die Umsetzung liegt dann bei diesen.
«Wir im Kanton Bern haben den Luxus, dass wir viele Lehrbetriebe haben, diese alle zu besuchen und zu kontrollieren, würde ein Riesenaufwand», sagt Fred Grunder. «Bei uns wird es wohl auf eine Selbstdeklaration hinauslaufen, die im Zuge der Lehraufsicht periodisch überprüft wird.»
Der Spezialisierung gerecht werden
«Man hat versucht, mit dem Revisionsprozess der zunehmenden Spezialisierung der Betriebe gerecht zu werden, denn den klassischen Gemischtwarenladen gibt es je länger, desto weniger», hält Grunder fest. «Es ist immer noch möglich, dass man die ersten zwei Lehrjahre auf einem ‹artfremden› Betrieb verbringt und sich dann im dritten Lehrjahr mit der Fachrichtung im eigenen Bereich spezialisiert. Ich hoffe, dass die Jungen das dann machen und jemand Kuhaffines nicht nur auf Milchbetriebe geht.» Er selbst habe auch zwei Lehrjahre auf Schweinebetrieben verbracht, obwohl er wusste, dass er nie Schweine halten würde.
Bioanteil gab zu reden
Viel zu diskutieren gab der Anteil Bio in der Grundbildung. Neu gilt das Credo, dass der biologische Landbau schulisch in allen Fachrichtungen berücksichtigt wird, dazu kommt die Fachrichtung biologischer Pflanzenbau. «ÖLN- und Biobetriebe rücken einander immer näher, etwa beim Herbizidverzicht», sagt Fred Grunder. Bei den Diskussionen über potenzielle Fachrichtungen Bio-Tierhaltung habe man dann gemerkt, dass man bei der Tierhaltung ohnehin schon nahe beieinander sei.
Auch neueren Themen wie dem Klimawandel oder der Digitalisierung in der Landwirtschaft muss die Grundbildung gerecht werden – kein leichtes Unterfangen. «Auf Themen wie Nachhaltigkeit und Biodiversität wird mit der Revision sehr grossen Wert gelegt», urteilt Fred Grunder, auch die Umweltverbände hätten versucht, Einfluss zu nehmen. Es mache keinen Sinn, drei Stunden Biodiversität in den Stundenplan hineinzuschreiben, sondern diese sei ein integraler Bestand, sei es beim Thema Pflanzenschutz oder in der Tierhaltung. «Dieses Thema kann man nicht isoliert unterrichten, das wäre nicht zielführend.»
Lehrpersonen gestalten Unterricht
Natürlich hätten die Lehrpersonen Gestaltungsspielraum: «Im Kanton Graubünden wird eine Lehrperson Tierhaltung bestimmt etwas anders interpretieren als im Kanton Bern.» Von allen Seiten kommen also Ansprüche an den Lehrplan, aber die Lektionenzahl ist beschränkt. Wenn man etwas Neues reinschreibe, müsse man etwas anderes streichen – «und das fällt dann immer schwer», so Grunder. Sein Fazit nach dem ganzen Revisionsprozess: «Wir sind nun gut unterwegs.»
Eltern haben Vorurteile
Generell hält Fred Grunder den Informationsbedarf bei der Berufsberatung sowie bei Eltern ohne landwirtschaftlichen Hintergrund für gross. Leider stelle er manchmal fest, dass diese ein gewisses «Ueli, der Pächter»-Bild hätten: «Sie denken, ein Bauer stungget in den Stiefeln um den Hof und fährt ein bisschen mit dem Traktor durch die Gegend.» Komme man dann an regionalen Lehrstellenbörsen mit ihnen ins Gespräch, würden sie erstaunt feststellen, «da kann man ja sogar einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss machen».
Infos zur Revision der Grundbildung
Warum ein viertes Jahr?
Bildungstechnisch handelt es sich beim vierten Lehrjahr mit der zweiten Fachrichtung um eine auf ein Jahr verkürzte Zweitlehre. Mit diesem Modell könne sehr flexibel auf die unterschiedlichen Bedürfnisse in der Landwirtschaft eingegangen werden, heisst es im Argumentarium von Agriprof.
Für einen spezialisierten Betrieb mit einem Hauptbetriebszweig sei man mit der entsprechenden Fachrichtung besser ausgebildet als bisher. Wer den Betrieb später aber verändern und noch vertieftes Wissen in einem anderen Betriebszweig möchte, sollte auf jeden Fall eine zweite Fachrichtung absolvieren, heisst es, könne dies aber auch später als direkt im Anschluss machen. Die zweite Fachrichtung im vierten Jahr sei ein Lehrjahr mit Lehrvertrag «und damit kostenfrei für die Lernenden.» Der Richtlohn dafür entspricht 60–70 % des Einstiegslohns eines Landwirts EFZ (60–70 % von etwa 4000 Franken = 2400–2800 Franken).
Die zweite Fachrichtung wird als Praxisjahr für die Berufsprüfung anerkannt.