Roland Norer, Professor für Recht des ländlichen Raums an der Universität Luzern, ist derzeit ein gefragter Mann. Anfang Jahr ist sein Buch «Wolfsmanagement im Alpenraum – Rechtsfragen zwischen Artenschutz und Weidehaltung» erschienen. Darin analysiert er, wie der gesetzliche vorgeschriebene Schutz des Wolfes alpenweit umgesetzt wird, welche Probleme sich dabei ergeben und wo es noch rechtlichen Spielraum gäbe. Derzeit befindet er sich auf einer Lesereise durch den deutschsprachigen Alpenraum, am 12. Juni macht er in Altdorf Halt. Im Interview spricht Roland Norer über vorgefasste Meinungen, politische Winkelzüge und die Notwendigkeit, die Diskussion um den Schutz des Wolfes zu versachlichen. [IMG 2]

Was ist gemeint mit Weideschutzzonen?

Roland Norer: Darüber wurde viel berichtet, aber sie sind nur ein Teil eines Gesamtpakets. Ich habe versucht, in meinem Buch aufzuzeigen, wie im Alpenraum mit dem Wolf umgegangen werden kann, in den Schweizer Bergkantonen, Österreich, Bayern, Baden-Württemberg, Südtirol, Slowenien, Italien und Frankreich. Überall wird klar – es braucht eine Regulierung.

Aber diese ist rechtlich heikel wegen der Berner Konvention ...

Ja, es heisst immer: Wegen der Berner Konvention oder des EU-Naturschutzrechts haben wir kaum Spielraum. Ich wollte aufzeigen, welche Spielräume es tatsächlich gibt, angefangen mit den bekannten Massnahmen wie Einzelentnahmen und Bestandesregulierung bis zu weiteren Möglichkeiten. Die Zonierung wäre da ein möglicher Punkt.[IMG 6]

Wäre die denn vereinbar mit der Berner Konvention?

Die internationale Naturschutzorganisation IUCN empfiehlt die Zonierung als Instrument im Artenschutz. In Finnland bezieht man sich darauf, wenn es darum geht, die Rentierwirtschaft der indigenen Bevölkerung Lapplands vor Grossraubtieren zu schützen. Deshalb habe ich mich gefragt, ob das nicht auch andernorts eine Lösung wäre. Eine Art Raumplanung für Wölfe.

Sie haben das mit Jagdbanngebieten verglichen, «nur umgekehrt».

Die Jagdbanngebiete sind einfach ein Beispiel dafür, dass man bei anderen Fragen bereits mit Zonierungen arbeitet – der Vergleich war eine Antwort auf das Argument, dass man Tieren nicht vorschreiben könne, wo sie sich aufhalten können. In Österreich betreibt man aber schon seit Jahrzehnten die sogenannte wildökologische Raumplanung. Jagdbanngebiete und Wildruhezonen sind ja nichts anderes. Die Tiere sind intelligent. Sie merken, wo der Jagddruck gross ist, und meiden diese Gebiete.

Sie fordern also wolfsfreie Zonen?

Das ist bei Wolfsgegnern so angekommen. Aber das wäre tatsächlich rechtswidrig. Was ich vorschlage, ist eine Interessenabwägung, die je nach Gebiet anders ausfallen kann. Das gibt die Berner Konvention durchaus her. Erhaltung der Alpwirtschaft und damit der Biodiversität und des Schutzes vor Naturgefahren sind durchaus auch bedeutende Interessen.

Wo Alpwirtschaft betrieben wird, wäre der Wolf demnach unerwünscht?

Man kann nicht alle Alpen in der Schweiz über einen Kamm scheren. Riesige Alpwirtschaftsbetriebe mit 3000 Stück Vieh, wie man sie im Wallis findet, sind etwas anderes. Aber es gibt Gebiete, die besonders vulnerabel sind, wo die Topografie keinen Herdenschutz erlaubt oder wo der Aufwand dafür unverhältnismässig wäre. Einige Kantone haben ja bereits nichtschützbare Alpen ausgewiesen, das wäre ein guter Ausgangspunkt.

Wie soll denn der Wolf von den nichtschützbaren Alpen ferngehalten werden?

Die Frage ist, welche Regelung man an diese Gebiete knüpft. Ob die Alp schützbar ist oder nicht, wäre nur ein erster Aspekt. Wesentlich für die Interessenabwägung ist die Frage, wie ernst die Folgen der Schäden durch Wolfsrisse sind. Auf kleinen und verletzlichen Alpen haben sie schneller ernste Folgen, etwa die Aufgabe der Alp. Eine Möglichkeit wäre, die Schadschwelle, ab der ein Tier entnommen werden darf, in solchen Gebieten tiefer anzusetzen. Dann könnte man schneller reagieren. Eine andere Möglichkeit wäre, in der Nähe solcher Alpen keine Rudelbildung zuzulassen, in dem man Vergrämungsmassnahmen einsetzt. Es wäre wie gesagt kein wolfsfreier Raum. Wenn die Wölfe nur durchziehen und die Risse unter der Schadschwelle bleiben, passiert ihnen nichts.

Vonseiten der Wolfsgegner wird mittlerweile auch der «Verteidigungsschuss» gefordert. Wie ist da die rechtliche Lage?

Die Franzosen machen das, aber nur in gewissen Gebieten mit sehr hohen Wolfszahlen. Diesen Verteidigungsschuss kann aber nicht jedermann ausführen. Grundsätzlich haben wir in der Schweiz dafür keine Rechtsgrundlage. Im gesamten deutschsprachigen Alpenraum ist zur Verteidigung nur Vergrämung erlaubt, also Schreien, Lärmen oder Lichtsignale. Der Verteidigungsschuss könnte sinnvoll sein, wenn der Schütze das Jagdpatent hat und der Abschuss unmittelbar während des Angriffs stattfindet – das hätte auch eine vergrämende Wirkung auf die überlebenden Wölfe. Rechtlich gesehen geht es aber nicht, jedem Hirten ein Gewehr zu geben. Allenfalls könnte man dafür eine Bewilligung nach einem entsprechende Kurs erteilen, dafür müsste aber erst eine rechtliche Grundlage geschaffen werden – mit strengen Auf-lagen.

Die Herde selbst zu verteidigen, ist also gar nicht erlaubt?

Juristisch könnte man allenfalls mit Notstand in Verbindung mit Verteidigung des Eigentums argumentieren oder die polizeiliche Sicherheitsklausel ins Feld führen, die Massnahmen zur Abwendung unmittelbar drohender Gefahr erlaubt. Das wäre aber eher gewagt. Es war einmal ein Pilotprojekt in die Richtung angedacht mit dem Verweis auf Frankreich, aber wie gesagt, ist dort der Verteidigungsschuss sehr differenziert geregelt und nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

In Norwegen wurde eine grossflächige Lösung gewählt: Die Schafweiden in den Bergen und das Rentiergebiet im Norden bleiben wolfsfrei, im Osten wird eine kleine Population toleriert. Weshalb geht das in Norwegen und nicht in der Schweiz?

Die Situation in Norwegen ist aufgrund der Verpflichtung, die samische Rentierzucht zu schützen, etwas anders. Schweden verfolgt eine ähnliche Politik und hat deshalb seit 2010 ein EU-Vertragsverletzungsverfahren am Hals. Allerdings wird dieses aus politischen Gründen nicht weiterverfolgt. Norwegen untersteht nicht dem EU-Naturschutzrecht, sondern nur der Berner Konvention mit ihrem ständigen Ausschuss. Dessen Entscheide sind rechtlich nicht bindend. Die Folgen sind also eher politischer Natur.

Wie schaffen es die Schweden, dem Verfahren zu entgehen?

Die Schweden machen gleichzeitig sehr viel für den Artenschutz. Sie haben zum Beispiel das beste Wolfsmonitoring Europas. Frankreich geht teilweise einen ähnlichen Weg. Sie wenden sehr hohe Mittel für den Schutz der Grossraubtiere auf und können so glaubhaft machen, dass sie den Wolf schützen – und kommen dafür im Gegenzug mit teilweise sehr weitgehenden Massnahmen durch.

Könnte sich die Schweiz nicht auf diese Weise mehr Spielraum verschaffen?

Das sind letztlich politische Fragen. Der Bundesrat sollte die Berner Konvention seit Jahren kündigen, aber macht es nicht aus Imagegründen. Jetzt hat ein Kurswechsel stattgefunden. Die Bestandesregulierung mit einer Reduzierung auf im Extremfall nur noch zwölf Rudel geht viel weiter als alles, was ich in meinem Buch vorschlage. So braucht es vielleicht auch gar keine Zonierung mehr.

Auch in der EU gibt es Bestrebungen, den Schutzstatus des Wolfes zu senken. Kommt das der Schweiz entgegen?

Die Schweiz hat diesen Antrag bei der Berner Konvention gestellt, er wurde abgelehnt. Ein Jahr später stellte die Europäische Kommission denselben Antrag. Daran sieht man, wie politisch das Ganze ist. Derzeit wird sich aber keine Mehrheit dafür finden – entscheiden werden letztlich die EU-Umweltminister, und diese werden in vielen EU-Ländern von den Grünen gestellt. Das Stossende ist, dass Länder, die gar keine Wölfe haben, dagegen sind – und sogar Länder, die selbst einen Vorbehalt gemacht haben und deswegen Wölfe jagen dürfen, zum Beispiel Estland. Eine Änderung der Berner Konvention würde uns helfen, aber eine schnelle Lösung wird es nicht geben.

Die Schweiz könnte die Berner Konvention kündigen und wieder beitreten – diesmal mit einem Vorbehalt zum Wolf.

Der Bundesrat wird nicht kündigen. Und ob es so einfach ist, schnell wieder beizutreten, ist eine andere Frage.

Also bleibt es beim Flickenteppich: Polen darf jagen, die Schweiz nicht, Frankreich und Skandinavien gehen einen Sonderweg, ohne dafür belangt zu werden?

Tatsächlich geniesst der Wolf je nach EU-Land nicht denselben Schutzstatus. Eine Absenkung des Schutzstatus würde da zu einer Vereinheitlichung führen; dieses Argument hat die Schweiz auch vorgebracht. Eigentlich ist innerhalb der EU die Diskriminierung von Mitgliedsländern verboten. In Kürze sollte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) dazu äussern; mich würde aber nicht überraschen, wenn er die Frage nicht entscheiden würde.

Welche Rolle spielt der EuGH? Im Falle Rumäniens entschied er, dass der Wolf selbst dann nicht geschossen werden darf, wenn er sich innerhalb von Siedlungen aufhält.

Der EuGH hat tatsächlich festgestellt, dass der Schutz im gesamten Verbreitungsgebiet gilt. Das heisst, Wölfe sind immer geschützt, egal, wo sie sich aufhalten. Aber es gibt in der ganzen Gesetzgebung viele unbestimmte Rechtsbegriffe. Die einzelnen Länder haben Spielraum, den sie offensiver wahrnehmen könnten. In Österreich etwa konnte man jetzt zwei Jahre lang entnehmen. Vielleicht erfahren wir in einigen Jahren, dass der EuGH dies nicht billigt. Aber die Massnahme konnte eine gewisse Zeit durchgeführt werden. Die EU-Staaten sollten sich vor der EU-Kommission und dem EuGH nicht zu sehr fürchten.

Ist der Einfluss der Richter zu gross?

Ich gehe davon aus, dass ein Richter mit dem Thema meist noch nicht viel zu tun hatte und sich vor dem Entscheid informiert. Viele scheuen sich davor, dass sie EU-Umweltrecht verletzen könnten. Das hat einen starken Drohfaktor. Mit meinem Buch versuche ich aufzuzeigen, welche Spielräume es gibt. Ich hoffe, dass es auch vom Bundesverwaltungsgericht (BVGer) herangezogen wird, wenn es über die Beschwerden gegen die Rudelabschüsse in Graubünden und im Wallis entscheidet. Es gibt auch in der Justiz einen Lernprozess. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind keineswegs so fest in Stein gemeisselt, wie manchmal glauben gemacht wird. Ob es in der Schweiz für den Arterhalt 12 oder 20 Rudel braucht, ist auch unter Fachleuten nicht unumstritten.

Weshalb ist das Thema so stark politisch und emotional aufgeladen?

Die Beziehung zwischen Wolf und Mensch war immer schon besonders. Und Naturschutzorganisationen konzentrieren sich auf Arten, mit denen sie Spendengelder generieren können. Das sind Tiere mit Fell, nicht Insekten. Der Druck dieser Organisationen hat starke Auswirkungen auf die Entscheide der Behörden.

Gerät das Land beim Thema Wolf ins Hintertreffen?

Es war jahrelang nur in der Alpenregion wirklich ein Thema. Für den Rest der Bevölkerung war das alles weit weg, was auch das Resultat der Abstimmung zur Jagdgesetzrevision 2020 erklärt. Es gibt da ein gewisses Unwissen, man meint, die Tierhalter müssten einfach nur ein paar Zäune aufstellen. Jetzt begegnet die Bevölkerung in den Ferien Plakaten mit der Aufschrift «Vorsicht Wolf» und ist beim Wandern und Mountainbiken mit Herdenschutzhunden und Zäunen konfrontiert. Mittlerweile taucht das Raubtier auch im Mittelland auf und wird zum Thema, wenn der Kindergarten in den Wald geht. Da nimmt das Verständnis für die Bergbevölkerung wieder zu. Vielleicht sieht alles ganz anders aus, wenn die ersten Wölfe vor den Toren der Städte gesichtet werden.

Die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung lebt mittlerweile in verstädterten Gebieten. Kann der ländliche Raum vor Fremdbestimmung geschützt werden?

Ein vergleichbares Beispiel war die Zweitwohnungs-Initiative. Wenn ich in der Stadt lebe, beschäftige ich mich verständlicherweise nicht wirklich mit den Folgen solcher Abstimmungen. Aber ob man die Berggebiete schützen kann wie eine nationale Minderheit, bezweifle ich. Ein Beispiel wären etwa die Friesen in Deutschland, die als nationale Minderheit in geschützten Gewässern fischen dürfen, oder eben die Samen im Norden Skandinaviens, deren Rentierwirtschaft strikt geschützt wird, weil sie als indigene Bevölkerung gelten. Tatsächlich könnte der Eintrag der Alpwirtschaft in das Unesco-Inventar der immateriellen Kulturgüter hier einen Ansatzpunkt liefern. Es braucht aber vor allem objektive Aufklärung. Es geistern viel Halbwahrheiten und Mythen durch die Medien. Vertieft man sich in die Literatur, ist man überrascht, über was sich die Wildtierbiologen tatsächlich einig sind – und über was nicht, So heisst es etwa, Wolfspräsenz führe zu einem geringeren Wildverbiss im Wald. Studien sagen da etwas ganz anderes. Wenn man sich dann anschaut, welche vorgefassten Meinungen in den Medien zirkulieren, sieht man, dass es an Information fehlt. Entweder der Wolf ist ungefährlich und die Probleme sind menschengemacht oder er ist eine Bestie und gehört ausgerottet. Es gibt wenig Zwischentöne.

Welchen Wert hat die Diskussion darüber, ob es sich bei den hiesigen Wölfen um Hybriden handelt?

Theoretisch ist es eine interessante Frage. Das IUCN empfiehlt ein hartes Vorgehen gegen Hybriden als Teil des Artenschutzes – eine schützenswerte Art könnte ja auch durch zu starkes Einkreuzen verschwinden. Die Frage ist aber, ab wann es genau kein Wolf mehr ist.


Europäischer Gerichtshof: Wolf auch in der  Stadt geschützt

Der Schutz von Grossraubtieren gilt auch innerhalb des Siedlungsgebietes. Diesen Grundsatzentscheid hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 11. Juni 2020 getroffen. Im konkreten Fall ging es um einen Wolf, der 2016 von Mitarbeitern einer Tierschutzvereinigung in einem rumänischen Dorf eingefangen und abtransportiert wurde. Dem Tier gelang dabei die Flucht, die Tierschützer mussten sich wegen des Einfangens und des unsachgemässen Transportes vor Gericht verantworten. Dies warf die Frage auf, ob Raubtiere auch dann noch unter die Schutzbestimmung fallen, wenn sie ihren natürlichen Lebensraum verlassen und im Siedlungsgebiet auftauchen.[IMG 3]

Im Dorf vom Bär getötet

In den Bergregionen der Slowakei und Rumäniens kommt es immer wieder zu solchen Vorfällen. Nach offiziellen Angaben gab es in der Slowakei im letzten Jahr zwölf Angriffe auf Menschen, in den ersten drei Monaten dieses Jahres bereits neun. Im benachbarten Rumänien starben in den letzten 20 Jahren 26 Menschen durch Raubtiere, 300 wurden schwer verletzt. Zuletzt attackierte ein Braunbär im März in einem Dorf im Norden der Slowakei fünf Personen, eine 31-jährige Frau kam dabei ums Leben.

Die für ihre EU-kritische Haltung bekannte Regierung des inzwischen bei einem Attentat schwer verletzten Ministerpräsidenten Robert Fico kündigte daraufhin an, den Abschuss von Raubtieren in einem Radius von 500 Metern um die Siedlungen erlauben zu wollen. Die Opposition und westliche Beobachter warfen ihm daraufhin vor, den Vorfall für eine nationalistische und pro-russische Agenda auszuschlachten.

Stadt als «natürlicher Lebensraum»

In seinem Entscheid von 2020 hatte der EuGH argumentiert, dass der Ausdruck «natürliches Verbreitungs­gebiet» in Bezug auf geschützte Tier­arten wie den Wolf den gesamten Raum umfasse, in dem sich die Tierart «im Rahmen ihres natürlichen Verhaltens» ausbreite. Daraus folge, dass der Schutz «keine Abgrenzungen oder Grenzen» kenne. Ein wild lebendes Exemplar einer geschützten Art, das Siedlungsgebiete aufsuche oder sich von Ressourcen ernähre, die der Mensch erzeuge, gelte deshalb nicht als ein Tier, das sein natürliches Verbreitungsgebiet verlassen habe, heisst es dazu in einer Mitteilung. Darin wird aber auch festgehalten, dass es Sache der einzelnen EU-Staaten sei, auf nationaler Ebene Bestimmungen «zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen oder in der Tierhaltung» zu erlassen. Zulässig seien solche Massnahmen auch «aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses». Dazu zählt der EuGH neben der öffentlichen Sicherheit auch Gründe «sozialer oder wirtschaftlicher Art». 


EU-Kommission beantragt Lockerung der Schutzbestimmungen

Der internationale Schutzstatus des Wolfs im Rahmen der Berner Konven­tion soll von «streng geschützt» auf «geschützt» herabgestuft werden. Dies hat die Europäische Kommission – im Prinzip die «Regierung» der EU – im Dezember letzten Jahres beantragt. Zuvor hatte sich bereits das EU-Parlament für einen solchen Schritt ausgesprochen. «Die Dichte der Wolfsrudel in einigen europäischen Regionen ist inzwischen zu einer echten Gefahr geworden, insbesondere für die Nutztierhaltung», liess EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dazu verlauten. Von der Leyen hatte 2022 selbst ein Pony bei einem Wolfsangriff verloren. Es gehe nun darum, «nicht nur die biologische Vielfalt, sondern auch die Lebensgrundlage unserer Landbevölkerung zu schützen», so von der Leyen.[IMG 4]

Die EU-Kommission stützt sich bei ihrem Antrag auf eine Datenanalyse zum Wolf. Demnach leben im EU-Gebiet derzeit rund 20 000 Wölfe – «meist mit wachsenden Populationen und expandierenden Streifgebieten». Dies stelle aus naturschützerischer Sicht einen Erhaltungserfolg dar und rechtfertige die Anpassung des Schutzstatus. «Das gibt allen Vertragsparteien des Berner Überein-kommens grössere Spielräume beim Wolfsmanagement und behält zugleich das übergeordnete rechtliche Ziel bei, einen günstigen Erhaltungs-zustand für die Art zu erreichen und aufrechtzuerhalten», so die Mitteilung der Kommission.

Da in der EU aber weder das Parlament noch die Kommission das letzte Wort haben, ist das Anliegen derzeit nicht viel mehr als ein Vorschlag. Der Entscheid liegt jetzt bei den EU-Mitgliedstaaten. Nehmen sie den Vorschlag an, wird er von der EU dem ständigen Ausschuss der Berner Konvention mit ihren insgesamt 50 Mitgliedstaaten vorgelegt. Ändert diese den Schutzstatus, kann die EU-Kommission die Anpassung der EU-«Habitat-Richtlinie» vorschlagen, mit der sie die Umsetzung der Konvention garantiert.


Nationalrat will wolfsfreie Zonen

Die Idee einer «Raumplanung für Wölfe» ist mittlerweile auch im Parlament angekommen. Im April nahm der Nationalrat eine Motion aus der Mitte-Fraktion an, die den Kantonen erlauben will, «wolfsfreie Zonen» zu definieren. In diesen Gebieten sollen Eingriffe zur Regulierung bewilligt werden können, wenn «zumutbare Schutzmassnahmen» nicht möglich sind. Viele Herden könnten mit ver-hältnismässigen Massnahmen nicht geschützt werden, lautete die Be-gründung dafür. Es gehe darum, Wölfe dort schiessen zu können, wo sie Konflikte mit menschlichen Aktivitäten verursachen würden, und sie an Orten zu schützen, wo sie keine Gefahr darstellen würden, begründete Benjamin Roduit (Mitte, VS) die Motion.[IMG 5]

Umweltminister Albert Rösti beantragte ein Nein zu der Motion, die der heutige Tessiner Mitte-Ständerat Fabio Regazzi eingereicht hatte. Proaktive Regulierungen seien heute möglich und weiterhin geplant. Wolfsfreie Zonen seien hingegen kaum möglich, weil Wölfe weit wandern und grösste Räume beanspruchen würden, so Rösti. Die revidierte Jagdverordnung, die präventive Abschüsse von Wölfen während fünf Monaten des Jahres erlaubt, soll am 1. Februar 2025 in Kraft treten. 

Präventiv geschossen werden konnten Wölfe bereits im vergangenen Winter. Angenommen wurde im Nationalrat auch eine zweite Mo­tion, die ebenfalls auf Regazzi zurückgeht. Sie verlangt schnellere genetische Analysen der Kadaver der von Wölfen gerissenen Tiere sowie raschere Verfahren für Abschussbewilligungen von Problemwölfen. Ausgebaut und vereinfacht werden sollen zudem die Unterstützung für den Herdenschutz und Schadenersatzzahlungen an von Rissen betroffene Tierhalter. Die Motionen gehen an den Ständerat. wap/sda