Vielleicht ist sie auch einfach untergegangen. Jedenfalls lagen zur heutigen Debatte im Nationalrat keine Anträge vor, die eine Annahme der Genfer Standesinitiative «Nein zum Abbau von weiteren 3,5 Prozent Landwirtschaftsfläche» gefordert hätten. Entsprechend dauerte die Behandlung des Vorstosses keine Minute – die Grosse Kammer gibt der Standesinitiative wie bereits ihre vorberatende Kommission und der Ständerat keine Folge. Sie ist damit vom Tisch.
«Andere Ausgangslage»
Die Vorberatende Kommission des Nationalrats hat sich im Januar 2024 mit dem Genfer Vorstoss befasst und ihn zur Ablehnung empfohlen. Dies mit der Begründung, die Ausgangslage habe sich seit dessen Einreichung – im Sommer 2022 – grundlegend geändert. Die Initiative hätte im Interesse der Nahrungsmittelproduktion ein dringliches Massnahmenpaket gefordert, insbesondere sei auf die Ausscheidung von 3,5 Prozent des Ackerlands als Biodiversitätsförderflächen (Acker-BFF) zu verzichten. Die Kommission hält in ihrem Bericht fest, dass das Parlament in der Wintersession 2023 die Verschiebung und Anpassung der Pflicht zu 3,5 Prozent Acker-BFF beschlossen habe (Annahme der Motion von Ständerätin Esther Friedli). Ausserdem würden Acker-BFF die Resilienz der Produktion verbessern und zum langfristigen Erhalt der Selbstversorgung beitragen. «Die Kommission ist der Meinung, angesichts der neuen Gegebenheiten sei die Standesinitiative überholt, die notwendigen Aufträge seien bereits erteilt.» Man wolle keinen grundlegenden Richtungswechsel.
Zuvor das Gegenteil beschlossen
So weit, so nachvollziehbar. Allerdings hat der Nationalrat vor knapp einer Woche der Motion Grin zugestimmt, die ebenso im Jahr 2022 eingereicht worden ist und ebenfalls fordert, dass die 3,5 Prozent Acker-BFF nie zur Pflicht werden. Im Gegensatz zur Genfer Standesinitiative ist in dieser Sache allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn es steht die Debatte im Ständerat aus.
Da die Grosse Kammer sich bereits für die Abschaffung der 3,5 Prozent Acker-BFF ausgesprochen haben, könnte man sich auf den Standpunkt stellen, den Vorstoss aus Genf brauche es schliesslich gar nicht mehr. Den neuerlichen Entscheid in Sachen Acker-BFF nutzen aber Pro Natura und BirdLife Schweiz, um ihre Standpunkte darzulegen.
Verständnis für schwindendes Vertrauen
Der Nationalrat habe sich scheinbar daran erinnert, dass Acker-BFF wissenschaftlich erwiesenermassen notwendig wären, kommentiert Pro-Natura-Landwirtschaftsexperte und Agronom Marcel Liner. Der «Fehlentscheid» von letzter Woche – die Annahme der Motion Grin – sei heute korrigiert worden. «Das Ganze ist Realsatire und wäre komisch, würde es nicht auf dem Rücken von Landwirt(innen) und der Natur ausgefochten», kritisiert Liner. Er könne nachvollziehen, dass die Bauern politikmüde seien und ihr Vertrauen in Bundesbern schwinde. Auch Liner verweist auf den Vorstoss von Esther Friedli, in dessen Auftrag sich der Bundesrat im Moment mit einer Anpassung der auf 2025 verschobenen Acker-BFF-Pflicht befasst. «Die 3,5 Prozent Acker-BFF sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten», betont der Agronom.
Ins selbe Horn stösst BirdLife. Eigentlich bräuchte es sogar 5 Prozent BFF auf Ackerland, sind sich die beiden Umweltverbände einig. «Die 3,5 Prozent Acker-BFF sind ein Kompromiss, dem wir zugunsten einer mehrheitsfähigen Lösung mitgetragen haben», stellt Jonas Schälle klar, der bei BirdLife Projektleiter Landwirtschaft ist. Viele Bäuer(innen) hätten sich im Übrigen bereits auf die neue Pflicht eingestellt und entsprechend vorbereitet. «Dass nun die 3,5 Prozent ganz auf dem Spiel stehen, ist unverständlich und verstösst gegen treu und Glauben», wiederholt Schälle ein oft gehörtes Argument, das auch der Bundesrat mehrfach vorgebracht hat.
Teil des Gesamtpakets
Die Hoffnungen von Pro Natura und BirdLife Schweiz ruhen nun auf dem Ständerat, der sich mit der Motion Grin befassen wird. Man setzte sich zusammen mit den progressiven Kräften der Land- und Ernährungswirtschaft dafür ein, dass das Parlament sein Versprechen für einen besseren Schutz der Artenvielfalt hält, so BirdLife. Die Naturschutzorganisation erinnert daran, dass die 3,5 Prozent schliesslich Teil der Absenkpfade und damit des inoffiziellen Gegenvorschlags zu den Pflanzenschutz-Initiativen waren.

