Es ist ein grauer Morgen am Grauholz bei Bern. Die Brücke, auf der wir mit Christophe Eggenschwiler, dem Geschäftsführer von IP-Suisse, stehen, bietet einen Blick auf die darunter verlaufende Autobahn. Autos und Lastwagen schieben sich im zähfliessenden Verkehr vorwärts, das Geräusch der Motoren vermischt sich mit der feuchten Herbstluft. «Die Erweiterung der Autobahn ist ein heikles Thema», sagt Eggenschwiler nachdenklich, während er den Verkehr beobachtet. «Es betrifft uns nicht nur im Heute, sondern auch die Mobilität der kommenden Generationen.»
Zeit zum (Nach)denken
Christophe Eggenschwiler glaubt, dass der Ausbau der Autobahn eine Lösung für die zunehmende Stauproblematik sein könnte, macht jedoch ein grosses Aber. Es sei unbestreitbar, dass der Verkehr in den letzten Jahren massiv zugenommen habe und dass viele Menschen sich gezwungen sähen, alternative Routen zu suchen, um Staus zu entgehen. «Staus haben einen Vorteil», bemerkt er mit einem Lächeln, «man hat Zeit, nachzudenken.» Und tatsächlich, sagt er, habe er oft über die vielen Ursachen des wachsenden Verkehrs nachgedacht: Der steigende Wohlstand ermögliche mehr Autos pro Haushalt, die zunehmenden Transporte zwischen West und Ost sowie Nord und Süd in Europa spielten eine Rolle, und auch die rasante Entwicklung des Onlinehandels trage zur Zunahme bei.
«Wir werden als Gesellschaft nie gezwungen, andere Lösungenzu suchen.»
Christophe Eggenschwiler, CEO IP-Suisse, zum Autobahnausbau.
Über Mobilitätsplan abstimmen
Trotzdem bleibt er unsicher. Er sieht zwar die Notwendigkeit, aber fragt sich, was in den kommenden Jahrzehnten geschehen wird. «Vor dreissig Jahren war der Verkehr halb so gross wie heute. Was wird in fünfzehn bis zwanzig Jahren sein?» Ob die Staus sich nicht einfach nur an andere Orte verlagern würden, sei eine offene Frage, die auch der Autobahnausbau nicht beantworten könne. Eggenschwiler meint, er würde viel lieber für einen allgemeinen Mobilitätsplan abstimmen, der nicht nur den Strassenverkehr, sondern auch andere Transportmittel, insbesondere die Bahn, miteinbeziehen. «Ein solcher Plan könnte uns nachhaltigere Lösungen bieten», fügt er hinzu.
Der Verlust von gut 8 Hektaren Landwirtschaftsfläche durch den Ausbau erscheint dem IP-Suisse-Geschäftsführer zunächst nicht dramatisch. Doch er gibt zu bedenken, dass diese Fläche nur der Anfang sei. «Bereits beschlossene, aber noch nicht realisierte Erweiterungen gehen angesichts dieser Zahl vergessen. Und: Es wird auch nicht bei dieser Erweiterung bleiben,» sagt er bestimmt. «Wir werden immer wieder mit solchen Projekten konfrontiert. Wenn wir den kurzfristigen Bedürfnissen des Strassenverkehrs immer nachgeben, dann werden wir als Gesellschaft auch nie gezwungen, nach anderen Lösungen zu suchen. Wir verbreitern einfach und sagen, alles andere sei zu teuer», ergänzt er. Niemand könne garantieren, dass diese Entwicklung gestoppt werde. Für Eggenschwiler ist dies ein Grund mehr, Mobilität in ihrer Gesamtheit zu betrachten, anstatt sie nur auf den Ausbau von Strassen zu reduzieren.
Unzureichende Massnahmen
Bei den vorgeschlagenen Kompensationsmassnahmen, wie Aufforstungen oder der Aufwertung von Industriebrachen, zeigt sich Christophe Eggenschwiler im Gespräch ebenfalls skeptisch. Diese Massnahmen seien zwar sinnvoll, doch er bezweifelt, dass sie ausreichen werden, um die Biodiversität langfristig zu schützen. «Wenn wir in 20 Jahren die Scheibenwischer im Sommer wieder häufiger laufen lassen müssen, um Insekten von der Windschutzscheibe zu wischen, dann wissen wir, dass es funktioniert hat», sagt er mit einem humorvollen Seitenblick. Doch im Ernst: Für ihn steht fest, dass die Biodiversitätsproblematik weit über die Frage des Autobahnausbaus hinausgehe. Der zunehmende Verkehr werde den Effekt der Kompensationsmassnahmen wohl eher minimieren. «Die aktuellen Massnahmen zur Förderung der Biodiversität, vor allem in der Landwirtschaft, dürfen auf keinen Fall geschwächt werden», betont er. Und: IP-Suisse setze sich entschieden für den Erhalt dieser Massnahmen ein.
IP-Suisse, erklärt Christophe Eggenschwiler, habe keine offizielle Parole in dieser Frage, da sich die Organisation in erster Linie auf die Vermarktung von Nachhaltigkeit und den Schutz der Ressourcen für zukünftige Generationen konzentriere. Dennoch gibt er zu, dass der Verlust von fruchtbarem Boden jedes Mal ein Problem darstelle. «Der Erhalt dieser Flächen ist ein zentraler Bestandteil unserer Aufgabe», sagt er nachdrücklich. In diesem Sinne würde IP-Suisse auch keinen klaren Standpunkt zugunsten des Ausbaus einnehmen.
Dass die Bauern geschlossen hinter dem Autobahnausbau stehen würden, wie der aktuelle Eindruck aus den Medien vermittele, kann Eggenschwiler nicht bestätigen. «Ich glaube sogar das Gegenteil. Dieses Bild ist bestenfalls politisch motiviert. Und nur weil die Landwirtschaftskammer des Schweizer Bauernverbands sich für einen Ausbau ausspricht, heisst das nicht, dass die Bauern da draussen hinter diesem Entscheid stehen», schlussfolgert er. Meinungsumfragen würden gar zeigen, dass die Bauern vermehrt dagegen einstünden, und nicht etwa nur jene, die direkt betroffen seien.
Immer Grosses gewagt
Der IP-Suisse-Geschäftsführer schaut einen Moment dem Verkehr auf der Autobahn zu, dann sagt er: «Wie ich schon sagte, ein globaler Mobilitätsplan wäre die bessere Lösung.» Der Ausbau der Autobahn allein dürfe keine kurzfristige Lösung sein, sondern müsse Teil einer grösseren Strategie werden. Neben der Schiene sieht er auch Projekte wie Swissmetro als mögliche Zukunftsvisionen, die nicht nur innovativ, sondern auch nachhaltig wären. «Die Schweiz hat immer Grosses gewagt,» erinnert er sich. «Denken wir nur an den Gotthardtunnel vor über hundert Jahren.» Auch in der heutigen Zeit könne man mutig sein und alternative Ideen wie Telearbeit weiterentwickeln, um den Verkehr zu reduzieren. Es sei höchste Zeit, über den Strassenbau hinausdenken und innovative Lösungen in den Fokus zu rücken. Nicht zuletzt, um den Kulturland- und Artenverlust zu minimieren und die Verantwortung dafür nicht einseitig den Bauernfamilien zu überlassen.
