Das Raumkonzept Schweiz ist rund 90 Seiten stark und zeigt gemäss Einleitungstext, «wie unser Land im Jahr 2050 aussehen könnte». Es handelt sich um eine Aktualisierung der letzten Version von 2012. Das gemeinsame Werk einer Trägerschaft aus Städten, Gemeinden, Kantonen und Bund fällt beim Schweizer Bauernverband (SBV) krachend durch: In seiner derzeitigen Form lehnt er das Raumkonzept ab und fordert eine vollständige Überarbeitung.
«Mehrfach problematisch»
«Der Entwurf des Raumkonzepts Schweiz berücksichtigt die Bedürfnisse des ländlichen Raums und der Landwirtschaft nicht ausreichend», schreibt der SBV in seiner Stellungnahme. Er bringt seine Kritik im Rahmen des Konsultationsverfahrens zum Ausdruck, bei dem sich interessierte Kreise äussern können und das Mitte April geendet hat.
«Das Schweizer Raumkonzept ist aus raumplanerischer und agrarpolitischer Sicht in mehreren Punkten problematisch», erklärt Marion Zufferey, Mitarbeiterin Raumplanung und Berglandwirtschaft beim SBV. Die landwirtschaftliche Tätigkeit werde im Landwirtschaftsgebiet hinter Freizeit und Erholung zurückgestuft und der Eindruck vermittelt, der ländliche Raum solle in erster Linie als Naherholungsgebiet erhalten bleiben. Diese Prioritätensetzung hält Zufferey für problematisch: «Sie lässt vermuten, dass der ländliche Raum in erster Linie den Bedürfnissen nach Lebensqualität und Freizeit dienen soll – zulasten der Nahrungsmittelproduktion und der grundlegenden Funktionen der Landwirtschaft.»
Darüber hinaus spiegle das Konzept eine urbane Sichtweise auf die Raumentwicklung wider, «mit dem Ziel, wirtschaftliche Aktivitäten in den urbanen Zentren zu fördern», so Zufferey. Dies, obwohl auch die Landwirtschaft und ländliche Regionen ein wirtschaftliches Entwicklungspotenzial besitzen würden, das zu unterstützen wäre.
Ein neuer Schwerpunkt
Beim Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) kann man die Kritik des SBV, ländliche Räume würden auf ihre ökologische und Erholungsfunktion reduziert, nicht nachvollziehen. Auf Anfrage teilt das ARE mit, die Landwirtschaft werde nicht nur im Kapitel «offene Landschaften» erwähnt, sondern auch im Wirtschaftsteil unter «Wachstum».
«Zusammenhängende Kulturland- und Waldflächen weiterentwickeln, die Fruchtbarkeit der landwirtschaftlichen Böden erhalten und damit einen wesentlichen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten», zitiert das ARE einen Handlungsansatz aus dem Raumkonzept. Die Sicht des Bundesamts ist eine gänzlich andere als jene des SBV: Das Kulturland und die Anliegen der Land- und Forstwirtschaft und somit der Produzent(innen) würden an zahlreichen Stellen des Konsultationsentwurfs behandelt. «Die offenen Landschaften, welche die ländlichen Räume und Berggebiete besonders stark prägen, bilden geradezu einen Schwerpunkt der räumlichen Entwicklung der kommenden Jahrzehnte.»
Im neuen Raumkonzept heisst es, bisher habe der Fokus der räumlichen Planung in den letzten Jahrzehnten auf Infrastrukturbauten und Siedlungsgebieten sowie auf der Abstimmung zwischen Siedlung und Verkehr gelegen. «Der Klimawandel und der Biodiversitätsverlust erweitern diesen Fokus.» Offene Landschaften und bepflanzte oder unversiegelte Flächen in Siedlungsräumen seien der neue Schwerpunkt der Raumentwicklung. Diese «naturnah gestalteten und miteinander vernetzten Flächen» sollen eine blau-grüne Infrastruktur bilden.
«Es besteht die Gefahr neuer Auflagen.»
Marion Zufferey, SBV, warnt trotz Unverbindlichkeit vor den Folgen des Raumkonzepts.
Interessen abwägen
Im Weiteren wird im neuen Raumkonzept festgehalten, zusammenhängende Landwirtschaftsgebiet seien eine elementare Grundlage für die Lebensmittelproduktion, die Attraktivität der ländlichen Räume, die Lebensqualität und die Pflege der traditionellen Kultur. «Wir wollen die Basis gewährleisten für einen wesentlichen Beitrag der hiesigen Landwirtschaft zur Versorgung mit Lebensmitteln, indem wir die Fläche, die Qualität und die Fruchtbarkeit der landwirtschaftlichen Böden langfristig erhalten.» Verschiedene Interessen – z. B. Produktion versus Erholung und Bewegung – seien abzuwägen und das Verständnis der Gruppen füreinander zu stärken.
Der SBV begrüsst zwar den Willen, ein Gleichgewicht zwischen Raumschutz und Raumnutzung zu gewährleisten. «Wir erwarten aber, dass dieser Wille im Konzept stärker zum Ausdruck kommt», so die Stellungnahme. Es geht dem Verband insbesondere darum, zonenkonforme, landwirtschaftliche Bauten in der Landwirtschaftszone unbürokratisch und rasch an die sich ändernden Herausforderungen anpassen zu können. Generell würden bei den Überlegungen zur Entwicklung des ländlichen Raums Naturschutzinteressen dominieren und ökonomische Überlegungen fehlen. «Der sorgsame Umgang mit Boden und Ressourcen wird im Konzept zwar angesprochen, Lösungsvorschläge fehlen jedoch», kritisiert der SBV. Auf der anderen Seite fallen aus Sicht des Verbands die Handlungsgrundsätze zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und der ökologischen Funktion des Kulturlands allzu detailliert aus: «Die Zuständigkeit dafür liegt eindeutig bei der Agrarpolitik.»
Absicht zur Koordination
Dass das Raumkonzept über raumplanerische Belange hinausgeht, entspreche dem Sinn eines räumlichen Leitbildes, hält das ARE dagegen. Das Raumkonzept solle helfen, die unterschiedlichen Politikbereiche mit Einfluss auf die räumliche Entwicklung unter einen Hut zu bringen. «Es zeigt die Absicht der Behörden und Fachleute von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden, sich für eine koordinierte räumliche Entwicklung zu engagieren.» Eine gesamtheitliche, koordinierte und zukunftsorientierte Raumentwicklung ist auch im Sinne des SBV, wie er in seiner Stellungnahme klarstellt. Der Stellenwert der Ernährungssicherheit werde im vorliegenden Konzept aber deutlich unterschätzt.
Laut dem ARE sind rund 170 Stellungnahmen in der öffentlichen Konsultation zum neuen Raumkonzept zusammengekommen. «Wir sind derzeit daran, diese zum Teil sehr umfangreichen Dokumente auszuwerten», so das Bundesamt. Man strebe an, den Entwurf um konsensfähige und konstruktive Aspekte zu ergänzen und schliesslich ein zukunftsfähiges Raumkonzept vorzulegen. «Es ist den Trägerorganisationen ein Anliegen, eine breit akzeptierte Basis für die räumliche Entwicklung der kommenden Jahrzehnte zu legen», versichert das ARE. Momentan bestehe aber nicht die Absicht, den «bereits gut konsolidierten Entwurf» – wie vom SBV gefordert – einer vollständigen Überarbeitung zu unterziehen. Es ist vorgesehen, dass die politischen Organe der Trägerorganisationen – namentlich Bundesrat, Konferenz der Kantonsregierungen (KDK), Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz (BPUK), der Städte- und Gemeindeverband – jeweils einzeln das Raumkonzept bis 2026 verabschieden.
Unverbindlich, aber ...
Das Raumkonzept Schweiz gilt als unverbindlicher Orientierungsrahmen und Entscheidungshilfe. «Es stellt weder eine Bundespolitik noch ein behördenverbindliches Planungsinstrument dar», bekräftigt das ARE. Das Raumkonzept könne keine Fördermassnahmen einzelner Politikbereiche vorwegnehmen, zumal es eine gemeinsame Absichtserklärung dreier staatlicher Ebenen mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben sei.
«Es stimmt, dass das Raumkonzept Schweiz nicht verbindlich ist», sagt Marion Zufferey vom Schweizer Bauernverband (SBV). Dennoch könnten auch solche «nicht verbindlichen» Rahmenbedingungen mitunter konkrete Erwartungen wecken. «Selbst wenn es sich um einen Orientierungsrahmen handelt, besteht die Gefahr, dass der Landwirtschaft neue Auflagen gemacht werden, um sich an die Prioritäten im Raumkonzept anzupassen», warnt Zufferey. Zudem fehle dem aktuellen Konzept die Kohärenz mit bestehenden gesetzlichen Grundlagen. Dies insbesondere mit der Bundesverfassung (kantonale Souveränität, Richtplanung, Versorgungssicherheit, dezentralisierte Besiedelung), dem Landwirtschaftsgesetz und verschiedenen Regionalpolitiken. «Diese Punkte sind besonders besorgniserregend, da dieses Konzept künftig als Entscheidungsgrundlage für die Raumplanung dienen soll», schliesst Zufferey.
Nicht einbezogen?
Angesichts der Kritik von Seiten SBV stellt sich die Frage, inwiefern die Landwirtschaft in die Aktualisierung des Raumkonzeptes einbezogen worden ist. «An den Workshops haben Expert(innen) mit der Perspektive Landwirtschaft teilgenommen», versichert das ARE. Beteiligt gewesen seien das Amt für Landwirtschaft des Kantons Obwalden, die Regierungskonferenz der Gebirgskantone, Bundesamt für Landwirtschaft sowie FiBL und HAFL. «An der Synthesekonferenz haben die Junglandwirte dem Publikum in einem eigenen Workshop ihre Anliegen für die Zukunft dargelegt.» Mit dem Gemeindeverband sei auch eine starke Stimme des ländlichen Raums in der Trägerschaft vertreten. Generell sei man stets bemüht gewesen, Wissen breit abzuholen. Zum Schluss habe das Konsultationsverfahren allen interessierten Kreise die Möglichkeit geboten, sich zu äussern.