BLW-Direktor Christian Hofer und Milchproduzent Jörg Büchi schauen aus ganz verschiedenen Blickwinkeln auf die Agrarpolitik. Wir haben sie kürzlich zu einem Streitgespräch eingeladen.

Herr Hofer, die Zahl der Betriebe ist gemäss Agrarbericht erstmals unter 50 000 gesunken. Wenn der Strukturwandel so weiterläuft, gibt es in 100 Jahren keine Landwirtschaft mehr. Sehen wir das falsch?

Christian Hofer (CH): Auf der einen Seite sehen Sie das richtig. Die Veränderungen auf den Betrieben hat ganz klar mit dem Strukturwandel zu tun. Diese Veränderung ist gewissermassen ein natürlicher Prozess. Auf der anderen Seite sehen Sie es falsch. Die Landwirtschaft ist systemrelevant und wird in 100 Jahren wichtiger sein denn je. Der Strukturwandel hat sich in den letzten Jahren eher abgeflacht und man muss diesen etwas relativieren. Der technische Fortschritt hilft schon, mit weniger Händen viel Essen zu produzieren, aber den Menschen wird es immer brauchen. Der Bund verfolgt keine Strukturpolitik, sondern er schafft lediglich Rahmenbedingungen, dass sich diese erfolgreichen Strukturen weiterentwickeln können.

Sie sprechen die effiziente Landwirtschaft an. Gibt es denn noch Platz für die Berglandwirtschaft? Oder müssen wir in den höheren Lagen von einer Vergandung ausgehen?

CH: Wie gesagt, die Handarbeit wird es immer brauchen. Gerade in der Berglandwirtschaft braucht es Kopf und Hand. Und gerade die Berglandwirtschaft ist ein gutes Beispiel für die Multifunktionalität. Nahrungsmittelproduktion auf der einen Seite, Landschaftspflege auf der anderen. Zudem ist die Erhaltung der Biodiversität auch in der Verfassung festgeschrieben, daran müssen wir uns halten.

«Den Menschen wird es nach wie vor brauchen.»

Christian Hofer über die fortschreitende Digitalisierung in der Landwirtschaft.

Jörg Büchi, erkennen Sie sich als Milchbauer in dieser Multifunktionaliät?

Jörg Büchi (JB): Ja, auf jeden Fall. Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich bin mit meinem Betrieb auf Direktzahlungen (DZ) angewiesen. Somit muss ich mitmachen bei dieser Multifunktionaliät, um überhaupt direktzahlungenberechtigt zu sein; gezwungenermassen.

Also fühlen Sie sich in das System reingedrängt?

JB: Jein. Viele Bauern sagen, Stein- oder Asthaufen hat man schon immer gemacht, weil man damit irgendwo hinmusste, heute meldet man sie an und kriegt Geld dafür. Dafür ist heute der Produzentenpreis schlechter. Man macht bei diesen Programmen mit, um den schlechten Produzentenpreis quer zu subventionieren. Meiner Meinung nach sollte jedoch die Arbeit, um Nahrung zu produzieren, genug abwerfen. Und die Steinhaufen sollten honoriert werden und nicht als Kompensation des schlechten Produzentenpreises dienen. So ist es nämlich nicht mehr interessant, Nahrungsmittel zu produzieren.

«Ich will als Landwirt Essen produzieren, nicht Hotellerie betreiben.»

Jörg Büchi über Wirtschaftlichkeit und Zweck der Landwirtschaft.

Haben Sie eine Vorstellung, wie Sie diese Situation umgestalten könnten?

JB: Ich habe viele Ideen. Allerdings ist nichts umsetzbar, ohne jemandem auf die Füsse zu stehen. Respekt, Herr Hofer, für diese Gratwanderung. Ich würde mich an das Buch «Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel» von Matthias Binswanger anlehnen. Das DZ-System würde ich wahrscheinlich abschaffen und einen rigorosen Grenzschutz einführen. Der Import müsste immer noch gewährleistet sein, das ist unumgänglich. Der tiefe Selbstversorgungsgrad zeigt dies eindeutig. Aber alles Importierte müsste nach den gleichen Standards produziert sein, wie im Inland. Die Kontrolle wäre Sache des Bundes, die Kosten würde der Importeur übernehmen. So bliebe die freie Marktwirtschaft unangetastet. Zudem könnte man den grossen Margen des Detailhandels entgegenwirken, was meiner Meinung nach eine grosse Schwäche unseres Systems ist.

Was sind die grössten Schwächen des aktuellen Systems?

JB: Wir haben zwar eine top produzierende Landwirtschaft, welche viele Leistungen für den Erhalt von DZ erbringen. Die Detailhändler schöpfen dann aber die ganzen DZ durch die schlechten Produzentenpreise ab. Das ist sehr demotivierend für den Landwirt. Würde das System keine DZ kennen, müsste der Detailhandel dem Produzenten bessere Preise zahlen.

Herr Hofer, was meinen Sie zu diesen Vorschlägen?

CH: Vor den 1990er-Jahren war es ungefähr so, wie es Herr Büchi gerade vorgeschlagen hat. Man hatte keine DZ, man hat die Preise künstlich hochgehalten, die Branche war stark planwirtschaftlich organisiert. Es gab Abnahmeverpflichtungen, das System führte teilweise zu Überproduktion und war somit nicht marktgerecht. Damals hat sich gezeigt, dass dieser Weg für die Landwirtschaft in eine schlechte Richtung geführt hat. Die Preise waren zwar gut, aber das Angebot hat der Nachfrage teils nicht entsprochen. Dazu kamen die damit verbundenen negativen Einflüsse auf die Umwelt. Damals hat man entschieden, mehr den Markt spielen und den Konsumenten und die Unternehmer entscheiden zu lassen. In der Folge sind die Preise teilweise gesunken und sie waren auch nicht mehr administriert. Dafür hat man begonnen, Leistungen, für die es keinen Markt gibt, mit Direktzahlungen abzugelten. Das war nötig. Die Hecken sind teils verschwunden, die Hochstämmer gerodet worden. Man hat realisiert, dass es öffentliche Gelder braucht, um diese Elemente durch die Landwirtschaft zu erhalten. Auch, um dem Verfassungsartikel gerecht zu werden, zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Durch diese Massnahmen hat sich das Image der Landwirtschaft stark verbessert. Ich kann mir nicht vorstellen, die Grenzzäune wieder hochzufahren und stark zu regulieren. Das würde die Innovationen und das Unternehmertum abklemmen.

«Die Kuh wird auch 2050 ein wichtiger Pfeiler der Ernährung sein.»

Christian Hofer über die Zukunft des wichtigsten Nutztiers.

JB: Ich sehe die Nachteile der Subventionspolitik auch. Ich habe nicht von festgelegten Produzentenpreisen gesprochen. Die Liberalisierung würde nach wie vor stattfinden. Der Druck von aussen ist herausfordernd. Wenn ein Stück Schweizer Fleisch mit einem argentinischen konkurrieren muss, wird es schwierig. Unter diesen Bedingungen sind wir Landwirte eben noch auf Direktzahlungen angewiesen. Gäbe es einen sauberen Grenzschutz, sähe das anders aus.

CH: Ich bin generell auch der Meinung, dass Landwirt(innen) durch die Produktion von Nahrungsmittel existieren können sollten. Eine zu starke Regulierung funktioniert eben auch nicht. Aber gerade beim Fleisch geniesst die Schweizer Landwirtschaft ja einen erhöhten Grenzschutz. Es ist nicht so, dass argentinisches Fleisch einfach so auf den Markt geworfen wird.

JB: Ja, da stimme ich Ihnen zu. Es braucht eine innovative Landwirtschaft, aber in welche Richtung soll sie sich entwickeln? Das ist für mich die Frage.

Wie soll der Durchschnitts-betrieb 2050 aussehen?

JB: Wenn es so weitergeht, wird es noch drei Typen von Betrieben geben:

- Nahrungsmittelproduktion im grossen Stil
- Betriebe zur Erhaltung der Biodiversität, Paralandwirtschaft
- Tourismus-Landwirtschaft im Berggebiet

Was ist die Vision des BLW?

CH: Ich glaube nicht, dass es einfach Durchschnittsbetriebe geben wird. Die Landwirtschaft wird vielfältiger sein und werden. Neue Produktionsformen wird es immer geben, Stichwort Aquakultur, Energiewirte. Nichtsdestotrotz werden die Wiederkäuer auf der grossen Grünfläche tierische Nahrungsmittel produzieren. Ich bin offenbar positiver eingestellt als Herr Büchi. Junge Leute wie Sie, mit vielen Ideen, sollten diese unter den vorherrschenden Begebenheiten umsetzen können.

Wie hoch muss der Selbstversorgungsgrad (SVG) noch sein?

CH: Ich denke den SVG werden wir auf diesem Niveau halten können, er hat sich über die letzten Jahre recht stabil entwickelt. Wichtiger als der SVG wird die Ernährungssicherheit sein. Es ist an der Zeit, die Konsumentenschaft in die Verantwortung miteinzubeziehen. Ich denke der Warenkorb wird sich allerdings in Zukunft anders zusammenstellen.

Das heisst mit weniger Fleisch und Milch darin?

CH: Nein, ich denke der Wiederkäuer wird auch 2050 ein wichtiger Pfeiler der Ernährungssicherheit sein. Auf den ackerfähigen Flächen soll es aber vermehrt Platz haben für Kulturen für die direkte menschliche Ernährung.

JB: Einverstanden, wenn sich die Ernährungsgewohnheit ändern, ist es nicht am Bauern, Widerstand zu leisten. Wir produzieren das, was verlangt wird.

«Die Bauern haben den Mehraufwand, nicht der Detailhandel.»

Jörg Büchi über die hohen Margen bei Labelprodukten.

Wäre denn Soja für die Tofuproduktion oder Hafer als Rohstoff für Milchalternativen für Sie ein konkretes Thema Jörg Büchi?

JB: Letztes Jahr habe ich erstmals versucht, Kichererbsen anzubauen, wetterbedingt leider nicht erfolgreich. Für meine kleine Menge Speisehafer habe ich bisher keinen Abnehmer gefunden. Sie sehen also Herr Hofer, ich bin durchaus auch ein bisschen innovativ (lacht). Aber oftmals ist die Wertschöpfungskette noch gar nicht so weit, wie die Bauern.

CH: Ja, das habe ich versucht zu betonen. Für Leute wie Sie mit vielen Ideen braucht es förderliche Rahmenbedingungen.

Jörg Büchi, glauben Sie an die Zukunft der Milchwirtschaft oder zählt nur noch Innovation?

JB: Ich sehe viele innovative Bauern. Aber es kann nicht jeder Biogasanlagen bauen und «Schlafen im Stroh» machen, sonst produzieren wir eines Tages gar keine Nahrungsmittel mehr. Die Nahrungsproduktion darf ein wirtschaftlicher Zweig eines Betriebes bleiben. Die Ideen sind teils schon toll, aber nur mit Bauernhof-Glacé und speziellen Käsen werden wir nicht satt. Ich erachte die Kuh und allgemein Nutztiere auch als wichtig, schliesslich brauchen Pflanzen guten und günstigen Dünger. Neue Betriebszweige sind gut und recht, aber das ist nicht so einfach, wie es von aussen aussieht. Ein Fisch ist beispielsweise nicht als Nutztier anerkannt.

CH: Die ausserlandwirtschaftlichen Tätigkeiten sind tatsächlich ein Spiessrutenlauf. Das bäuerliche Bodenrecht macht Boden und Gebäude zur landwirtschaftlichen Nutzung erschwinglich. Wenn man ausserlandwirtschaftliche Tätigkeiten in der Landwirtschaftszone zulässt, kann es zu Wettbewerbsverzerrungen kommen. Dort ist Vorsicht geboten.

JB: Ja genau das ist das Problem. Es kann nicht sein, dass Innovationen gefordert werden, der Staat dann aber sagt «Das ist ja keine Landwirtschaft mehr». Mit der Nahrungsproduktion sollte man genug Geld verdienen können. Ich habe Landwirt gelernt, um Nahrungsmittel zu produzieren, nicht um den 200sten Hotelleriebetrieb auf einem Hof zu eröffnen.

Nochmals zum Detailhandel: Der Bund subventioniert Spezialprogramme in der Tierhaltung, so dass der Detailhandel Labelprodukte zu billig einkaufen kann. Was ist ein Lösungsansatz?

CH: Hier stellt sich die übergeordnete Frage: Welche Rolle hat der Staat in dieser Angelegenheit? Er kann alles dem Markt überlassen. Die Branchen können im Sinne der Selbstverantwortung über Vereinbarungen nachhaltige Produktionsformen fördern. Der Staat kann etwa mit der Marktbeobachtung oder mit Deklarationsvorschriften für mehr Transparenz sorgen. Er kann mit finanziellen Anreizen nachhaltige Produktionsformen unterstützen, was er heute mit Direktzahlungen macht. Er kann die Kostenwahrheit ins Zentrum setzen, für unökologisch produzierte Produkte eine Abgabe einführen oder er kann gewisse Produktionsformen verbieten. Bisher waren vor allem die Wege über Transparenz und finanzielle Anreize politisch mehrheitsfähig, dies kann sich aber in Zukunft ändern. Unsere Aufgabe ist es, verschiedenen Lösungswege aufzeigen. Entscheiden muss die Politik.

JB: Ich habe mich kürzlich vertieft mit Konsumenten auseinandergesetzt. Sie würden gerne ökologisch produzierte Produkte beziehen und geben auch viel Geld dafür aus. Der Landwirt jammert, weil er zu wenig verdient, und der Konsument fragt sich, warum der Bauer jammert, da er schliesslich dumm und dämlich Geld ausgibt und sich offenbar trotzdem nichts ändert. Scheinbar sind nicht nur die Landwirte mit der Situation unzufrieden.

Wie möchten Sie diesem Dilemma begegnen?

JB: Eine Idee wäre die Einführung einer Mehrwertsteuer für die ökologische Qualität eines Produkts. Je unökologischer, desto höher der Steuersatz. So könnte der Detailhandel nicht so viel Margen abschöpfen resp. er müsste transparenter sein bezüglich der Kostenwahrheit. Ich verstehe die Konsumenten schon, wenn sie das Gefühl haben, sie finanzieren die Landwirtschaft durch ihre Steuern und wenn sie sich bewusst ernähren wollen, zahlen sich auch noch einen horrenden Preis im Laden. Diese Situation enttäuscht den Produzenten und den Konsumenten.

Was meinen Sie dazu, Herr Hofer?

CH: Ob die Margen im Detailhandel generell zu hoch sind, kann ich nicht beurteilen. Margen sind an und für sich nichts Schlechtes, da der Detailhandel damit beispielsweise die Löhne ihrer Angestellten bezahlt. Wichtig aus Sicht der Produzenten ist eine hohe Markttransparenz, damit bei den Preisverhandlungen alle über die gleichen Informationen verfügen.

JB: Ja klar, aber der Detailhandel hat keine Zusatzarbeit im Verkauf eines Labelprodukts, der Produzent hat den Mehraufwand, da fragt man sich schon, wer jetzt die Marge bekommen sollte.

Und noch zum Bio-Absatz-Boom während dem Lockdown: Ich denke nicht, dass sich plötzlich alle Leute ökologisch ernähren wollten, sondern man hat einfach mehr eingekauft hat, statt im Restaurant oder der Mensa zu essen. Das heisst, im Laden ist es den Leuten wichtig, woher das Produkt stammt und wie es produziert wurde, im Restaurant ist es Nebensache. Das ist ein riesiges ungenutztes Potenzial.

Aus der Praxis hört man oft den Vorwurf: «In den Ämtern sitzen zu wenige Praktiker(innen)» ist diese Aussage gerecht-fertigt, oder was entgegnen Sie dieser Wahrnehmung?

CH: Das stimmt so sicher nicht. Wir beziehen stets Leute aus der Praxis in Prozesse mit ein. Auch die Kantone werden involviert, welche die Massnahmen umsetzen. Schlussendlich ist es der Bundesrat, welcher Entscheidungen erlässt, deshalb holen wir vorgängig möglichst diverse Akteure ins Boot. Zudem wage ich zu behaupten, dass auch in der Landwirtschaft die Meinungen teils stark auseinander gehen.

Stimmen Sie dem zu Herr Büchi?

JB: Das ist unbestritten. Zwei Anwälte, drei Meinungen, das kann man auf die Landwirtschaft übertragen. Mit dem Strukturwandel wird es vielleicht schon weniger Meinungen geben, wenn es weniger Landwirte gibt…

CH: … aber die Vielfalt wird grösser.

JB: Ja, das könnte die Meinungsvielfalt auch beeinflussen (beide lachen).

Agrarpolitik-Serie, Teil 6:
Braucht es in der Agrarpolitik den grossen Wurf oder nur den richtigen Kompromiss?In einer Serie gehen wir der Frage nach und sprechen mit Praktikern, Politikerinnen und Personen aus der Verwaltung über ihre Ideen für die Zukunft. 
Hier finden Sie die alle Beiträge zur Agrarpolitik-Serie. 

Bisher erschienen (im Jahr 2021):
«Fünf Eisen im Feuer» (BauernZeitung vom 30. Juli, Nr. 30),
«Es hat zu wenig Praktiker auf den Ämtern» (BauernZeitung vom 13. August, Nr. 32),
«Mit den Offroader über den Stadt-Land-Graben» (BauernZeitung vom 3. September, Nr. 35),
«Direktzahlungen machen erpressbar» (BauernZeitung vom 1. Oktober, Nr. 40),
«Wir trauern nicht um den Milchpreis» (BauernZeitung vom 29. Oktober, Nr. 43).

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Schnell gelesen
Milchbauer und Agronom Jörg Büchi aus Elgg im Kanton Zürich hat sich Ende Dezember mit dem Christian Hofer, dem Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft unterhalten. Themen waren die Wirtschaftlichkeit und die Aufgaben der Landwirtschaft in einem veränderten Umfeld. Diskutiert wurden auch der Selbstversorgungsgrad, die Frage wer die positiven externen Effekte finanzieren soll und wie die hohen Margen der Labelprodukte zu rechtfertigen sind. Zurück zum System der 90er-Jahre wollen beide Agronomen nicht. Aber ob die Direktzahlungen abgeschafft und der Produzentenpreis erhöht werden sollen, darüber waren sie sich uneinig.