Es neigt sich eine geschichtsträchtige Woche dem Ende zu. Am 12. September 1848 wurde nämlich aus der alten Schweizer Eidgenossenschaft ein Bundesstaat – und dieser gilt heute als älteste Demokratie Europas. «175 Jahre Bundesverfassung» feiert die moderne Schweiz also in dieser Woche. Das muss erst einmal einer nachmachen. Und weil man die Kerzen schon ausgepackt und angezündet hat, zieht man gleich weiter und feiert heute, am Freitag, den 15. September, auch noch den Tag der Demokratie. Kein Wunder platziert sich der Bundesstaat Schweiz als älteste Demokratie Europas stolz in der Mitte des Geburtstagstisches.
Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit
Über die ganze Schweiz verteilt fanden diese Woche Anlässe unter dem Motto «Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit» statt. Tatsächlich ist es keine Selbstverständlichkeit, dass sich unser Parlament am Montag zur Herbstsession der 51. Legislatur versammelte, um über die pendenten Geschäfte abzustimmen.
Die Herbstsession läuft
Aktuell läuft eine der vier intensivsten politischen Phasen im Jahr. Wie im Bienenhaus wimmelt es dieser Tage vor und im Bundeshaus von Parlamentarierinnen und Parlamentariern in Schale, Jupe, Faltenhose oder Krawatte. Die Legislative des Landes heisst jetzt noch während zwei Wochen Berichte gut, wählt neue Bundesrichterinnen und -richter, verabschiedet Gesetze und behandelt parlamentarische Vorstösse.
Geschäfte ziehen sich schon eine Weile hin
Aus landwirtschaftlicher Sicht dominieren in der laufenden Herbstsession drei grosse Geschäfte, die sich alle schon eine ganze Weile hinziehen (wir berichteten). Die Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG II) ist 2018 gestartet, die Debatte dazu aber erst vier Jahre später. Die Frist zur Behandlung der Biodiversitäts-Initiative wurde bis März 2024 verlängert, und seit genau einem Jahr diskutiert man den Gegenvorschlag. Mit Jahrgang 2021 ist der Energie-Mantelerlass neueren Datums, dreht dafür aber nicht zum ersten Mal seine Runde durch beide Ratssäle.
Die Schweiz feiert den Tag der Demokratie
Der «perfekte Bikammeralismus», wie die Polit-Profis unser Zweikammersystem gerne nennen, bedingt, dass für einen Beschluss im Parlament eine exakte Übereinstimmung beider Räte vorliegt. Bis es zu einem solchen Beschluss, wie für denjenigen des Energie-Mantelerlasses, kommt, vergehen wegen dem Differenzbereinigungsverfahren zum Teil Jahre. Das soll auch so sein – schliesslich ist das eine der wichtigsten Eigenschaften, die unser Politsystem einzigartig machen und ein Grund dafür sind, warum wir heute am Tag der Demokratie mitfeiern können.
«Ihr könnt doch sicher schneller laufen?»
Beim Durchblättern des amtlichen Bulletins, in dem die Verhandlungen von National- und Ständerat als Wortprotokoll nachgeschlagen werden können und wo man sieht, welches Geschäft wie lange in welcher Kammern verweilte, muss ich an eine persönliche Anekdote aus meiner Ausbildung denken.
Um die Sämaschine abzudrehen, schickte uns unser Lehrmeister in die Werkstatt zur Waage. Wie angeordnet, machten sich mein Arbeitskollege und ich mit dem Saatgut auf den Weg. «Ihr könnt doch sicher auch schneller laufen?», fragte uns dann der Chef, ohne an einer Antwort interessiert zu sein. Dieser Moment prägt mich bis heute. Nicht, weil ich mich vor den Kopf gestossen fühlte, sondern weil ich merkte, dass in der Landwirtschaft wirklich jede Minute zählt – manchmal sogar jede Sekunde. Diese Erwartungshaltung ist einerseits internalisiert, weil man als selbstständige Betriebsleiterin oder als selbstständiger Betriebsleiter interessiert daran ist, möglichst effizient zu arbeiten.
Der Druck kommt von innen und aussen
Aber sie kommt eben auch von aussen – nämlich von dort, wo ein Anliegen über mehrere Jahre auf dem Tisch verstauben kann und es niemanden zu stören scheint. Nichtsdestotrotz legen wir unser vollstes Vertrauen in die Kompetenz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die wir als Stimmvolk und dank unserer Demokratie zum Glück selber wählen können.
Die Mühlen der Demokratie mahlen langsam
Wie man so schön sagt, mahlen die Mühlen der Demokratie langsam. Aber auch wenn mich diese Tatsache als eher ungeduldige und effizienzorientierte Person viermal jährlich während den Sessionen etwas wurmt, würde ich unser System mit keinem anderen tauschen wollen. Kompromisse eingehen, daraus besteht Politik ja schliesslich.
Also, packen Sie die Kerzen aus. Stossen Sie an – die Schweiz feiert den Tag der Demokratie.