Leicht verschwitzt erwacht die Politik aus dem Sommerschlaf. Einige sind schon länger wach und machen bereits hyperaktiv Wahlkampf. Am 22. Oktober sind wir an die Urne gerufen, um das eidgenössische Parlament neu zu bestellen. Mehrere 1000 Personen fühlen sich berufen, darunter auch einige Hundert Bäuerinnen, Landwirte und landwirtschaftsaffine Kandidat(innen).
Agrarische Laien mit grossem Einfluss
Der Moment für eine kurze Legislaturbilanz ist nicht schlecht. Es wurden Zehntausende Seiten Papier bedruckt, studiert und dem Papierkorb übergeben. Man versandte Medienmitteilungen, was das Zeug hält, debattierte teilweise bis tief in die Nachtstunden, bekämpfte sich in den Sozialen Medien, hielt Reden oder ging gar demonstrieren.
Interessanterweise haben aber im Landwirtschafts-Gesetzbuch nicht die fleissigen Parlamentarier(innen) aller Parteifarben die tiefsten Spuren hinterlassen. Vielmehr waren es zwei Initiativen von mehrheitlich agrarischen Laien. Die Trinkwasser- und die Pestizidverbots-Initiative blieben 2021 an der Urne zwar chancenlos. Schon lange vor der Abstimmung hatte aber das Parlament aus Angst vor einem Ja eine Parlamentarische Initiative lanciert, die heute deutlich grössere Herausforderungen an die Landwirtschaft stellt als das AP22+-Päckli mit seinen eher kosmetischen Änderungen.
Dem Initiativ-Drachen wachsen immer neue Köpfe
Kein Wunder deshalb, dass sich heute manch ein Landwirtschaftslobbyist hintersinnt, damals derart weitreichende Konzessionen bei der Reduktion von Nährstoffen und Pflanzenschutz-Einsatz angestossen und akzeptiert zu haben. Mässig erfolgreich versucht man nun, mit parlamentarischen Vorstössen zu korrigieren. Nicht umsonst fordern Bauernverbandsvertreter seit diesem einschneidenden Erlebnis einen radikaleren Umgang mit Initiativen. Durchwinken ohne Gegenvorschlag lautet die neue Devise.
Das ist nachvollziehbar, ob die Taktik allerdings von Erfolg gekrönt sein wird, ist unsicher. Kaum ist nämlich dem Initiativ-Drachen ein Kopf abgeschlagen, wachsen ihm schon neue nach. Daran wird sich kaum so schnell etwas ändern. Nachdem 2022 die Massentierhaltungs-Initiative bachab geschickt werden konnte, beschäftigt aktuell der Umgang mit den Biodiversitäts- und Landschaftsschutz-Initiativen. Und hinter der nächsten Biegung auf dem agarpolitischen Weg wartet genüsslich Franziska Herren, um mit der sogenannten Vegi-Initiative die Tierproduktion auf anderem Weg zu reduzieren.
Pflanzenbau an der immer kürzer werdenden Leine
Unterstützung findet sie zumindest indirekt auch bei den Behörden, die unter dem starken Druck von städtisch geprägten Entwicklungsträumen stehen. Weg vom Fleisch, hin zum Pflanzenbau lautet der Plan. Derselbe Pflanzenbau wird aber nicht nur in den Königsdisziplinen Obst und Gemüse an die immer kürzere Leine genommen. Der Pflanzenschutz steht unter starkem politischem Druck. Wirkstoffe werden im Monatsrhythmus vom Markt genommen, während die Zulassung von neuen Substanzen häufig für den St. Nimmerleinstag geplant ist. Dazu kommt, dass die klimatischen Bedingungen immer anspruchsvoller werden, um den Selbstversorgungsgrad bei schrumpfendem Kulturlandbestand mindestens zu halten.
Was also tun mit dem Wahlzettel? Es empfiehlt sich – da liegt der Bauernverband vollkommen richtig –, bäuerlich zu wählen. Dabei macht es durchaus Sinn, neben bürgerlichen auch lösungsorientierte linksgrüne Spezialist(innen) zu berücksichtigen. Die Diskussion ist derzeit stark geprägt von Leuten mit wenig Ahnung und viel Meinung, wie es eine Kollegin kürzlich träf ausdrückte. Das ist zwar manchmal nervig, aber zum Glück dürfen in der direkten Demokratie alle mitreden.
Ganze Breite des Publikums einbinden
Die Erweiterung der Agrar- auf eine Ernährungspolitik haben sich die bäuerlichen Parlamentarier(innen) politisch erkämpft, damit die Landwirtschaft nicht ständig allein als Prügelknabe dasteht. Das ist gut, im Gegenzug muss man aber auch die ganze Breite des Publikums einbinden, bis tief in die Städte. Genau dort ist es wichtig, zu zeigen, dass die landwirtschaftliche Politik nicht nur bürgerliche Bündnispolitik, sondern ein breit abgestützter Konsens eines starken Primärsektors ist.
Mit diesen Zeilen, liebe Leserinnen und Leser, verabschiede ich mich von Ihnen. Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, für Sie tätig zu sein. Ich danke Ihnen für die zahlreichen Informationen, Rückmeldungen und schönen Begegnungen. Für die sehr herausfordernde Zukunft wünsche ich Ihnen Gesundheit sowie Glück im Stall, auf dem Feld und im Haus!
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