Dass derzeit in der Schweiz gegen Blauzunge geimpft werden kann, ist einer rechtlichen Notlösung zu verdanken: Da kein zugelassener Impfstoff verfügbar war, erliess das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) eine Allgemeinverfügung. Künftig soll eine Änderung des Tierseuchengesetzes dem BLV ermöglichen, nicht zugelassene immunologische Tierarzneimittel (TAM) befristet zu bewilligen.
In der EU analog
Dies unter der Voraussetzung, dass kein gleichwertiges, zugelassenes Produkt verfügbar ist und unter strengen Anforderungen an Qualität, Sicherheit, Herstellung und Vertrieb der Arzneimittel. Weiter reden das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic und gegebenenfalls das Bundesamt für Umwelt mit. Laut BLV ist eine analoge Regelung in der EU bereits erfolgreich in Kraft.
Das Bundesamt ist überzeugt, dank dieser Gesetzesänderung insbesondere in Notsituationen die Tierseuchen-Prävention zu stärken, Tierleid zu verhindern und die wirtschaftliche Existenz von Tierhaltenden zu schützen.
Die Vernehmlassung zu dieser Vorlage wurde – «angesichts des dringenden Handlungsbedarfs» – verkürzt durchgeführt. «Der seit August 2024 andauernde Ausbruch der Blauzungenkrankheit hat die Notwendigkeit raschen Handelns aufgezeigt», findet auch der Schweizer Bauernverband (SBV). Allerdings kritisiert er die Lösung des BLV als zu kompliziert und zu aufwändig. Damit werde man der zeitlichen Dringlichkeit in keiner Weise gerecht. Der Schweizer Viehhändler Verband (SVV) schliesst sich dieser Kritik an und ergänzt, es gehe auch um die Vermeidung von «Nachwehen» eines Seuchengeschehens. Im Fall der Blauzungenkrankheit seinen derlei Spätfolgen noch heute bei Tierwohl, Tiergesundheit und im Marktgeschehen erheblich spürbar. «Wir erlauben uns die Frage, ob die vereinfachte Bewilligungspflicht für immunologische TAM ausreichend ist, oder ob sie in Notsituationen nicht offener für alle allenfalls notwendigen TAM zu formulieren ist», schreibt SVV-Geschäftsführer Peter Bosshard.
System ist der Grund
Weder SBV noch SVV sind überdies damit einverstanden, dass seitens Behörden der übliche Zulassungsprozess für TAM als normalerweise ausreichend dargestellt werde. «Dieses System ist ein wesentlicher Grund für den seit einigen Jahren vorhandenen Mangel an Heilmitteln – nicht nur TAM», so der SBV. Das Problem sei, dass das Zulassungsverfahren auf einer nicht (mehr) zutreffenden Annahme beruhe: Die Industrie sei angesichts der kleinen Nutztierpopulation in der Schweiz nicht bestrebt, die Märkte jederzeit zu beliefern und zu versorgen.
Tatsächlich stuft das Bundesamt für Wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) die Lage bei den Heilmitteln aktuell weiterhin als kritisch ein, v. a. bei gewissen Antibiotika. Der Markt werde bei verschiedenen Produkten mit Waren aus den Pflichtlagern versorgt.
TAM ausgeschlossen
Das BWL fokussiert allerdings auf die Humanmedizin, auch bei der im Juli lancierten neuen «Heilmittelplattform». Dank einer besseren Überwachung der Märkte und Versorgungslage sollen damit drohende Engpässe frühzeitig erkannt werden.
Solche Mangellagen nehmen auch in der Tiermedizin stetig zu, stellt die Gesellschaft Schweizer Tierärzte (GST) fest und erinnert etwa an fehlende Calcium-Infusionen im vergangenen Jahr. Dennoch habe das BWL die Tierarzneimittel nicht in die neue Heilmittelplattform aufgenommen – «Obwohl die GST diesbezüglich mehrmals an das BWL appelliert hat und obwohl die Empfehlung der Eidgenössischen Finanzkontrolle anders lautete», bemängelt die GST. Ohne eine zentrale Meldestelle für TAM müsse heute jede einzelne Tierarztpraxis die Informationen zu Lieferengpässen und möglichen Alternativen selbst suchen – laut GST ein zeit- und personalintensives Unterfangen. «Zeit und Personal fehlen den Praxen letztlich für die Tierhaltenden und die Betreuung der Tiere.»
Die vorgeschlagene Änderung des Tierseuchengesetzes geht die Gesetzeslücke für Impfstoffe in Notlagen an. Nach dem Ende der Vernehmlassung laufen die Arbeiten an der definitiven Fassung.
Die Versorgung mit und übliche Zulassung von TAM bleibt aber eine Baustelle. Die GST fordert, dass auch TAM in die neue Heilmittelplattform aufgenommen werden. «Für das Tierwohl ist es essenziell, dass Tiere jederzeit ausreichend medizinisch versorgt werden können», so der Appell der Tierärzteschaft.