Die Kälberhaltung steht vor grossen Herausforderungen. Eine deutsche Wissenschaftlerin nennt die Milchkuhkälber Prinzessinnen. Vermutlich hat sie recht. Denn diese Kälber sind die Milchproduzentinnen von morgen. Alles, was in ihrer Jugendphase schiefgeht, nehmen sie mit in die produktive Phase. Durchfallerkrankungen und Lungenprobleme stehen dabei an erster Stelle. Aber auch alter Irrglauben, wie den Kälbern die Milch rationieren zu müssen, schmälert ihr zukünftiges Leistungsvermögen. Tierärzte sehen es richtig, in der Kälberhaltung besteht grosses Verbesserungspotenzial. Nicht nur die routinemässige Verabreichung von Antibiotika muss sich verändern, sondern auch die Haltungsformen, das Fütterungsmangement, die Betreuung und die Beobachtung.

Kälber werden zum Politikum

Wir stehen vor den geburtenreichen Monaten. Wer von sich behaupten kann, dass er oder sie keine Verluste im Kälberstall in Kauf nimmt, spielt in der obersten Liga. Und da ist es zeitaufwenig. Ein Kalb, das nicht trinkt, braucht sofortige Hilfestellung, will man verhindern, dass es innert weniger Stunden ernsthaft erkrankt.

Setzt man sich mit der Gesunderhaltung der Aufzuchtkälber intensiv auseinander und passt an, was möglich ist, befindet man sich aber noch lange nicht am Ziel. Denn die Anspruchsgruppen sind nicht nur im Iglu untergebracht. Kälber werden zum Politikum. Was heisst das?

Unabhängig des Wissens, wo das Optimum des durchschnittlichen Kuhalters liegt, geht man in der Schweiz davon aus, dass die Milchkühe zu früh auf der Schlachtbank landen. Man liegt dabei – wie bei vielem – zwar noch höher als die Kollegen im Ausland, aber eben immer noch zu tief. Junge Kühe zu schlachten ist weder ökologisch noch ökonomisch – das wissen auch ihre Halter, die Bauernfamilien. Kaum ein Milchproduzent würde ein Kalb aufziehen, in der Hoffnung, es als «Dreistrich» frühzeitig aus dem Bestand zu entfernen. Das gibt es aber einfach.

Ansprüche von verschiedensten Seiten

Mit Zahlungen soll nun der Anreiz geschaffen werden, dass das Durchschnittsalter ansteigt. Ab 2024 werden sie fliessen. Weiter kommen ab 2023 Zahlungen für die Weidehaltung hinzu. Will man diese Gelder für Milchkühe auslösen, müssen sämtliche Rindviehkategorien RAUS erfüllen – auch Kälber. Dabei wird die Haltung in (Einzel-)Iglus anerkannt. Diese Iglus müssen aber auf befestigtem Boden stehen, denn sie müssen zwingend in die Jauchegrube entwässern. So fordert es der Gewässerschutz. Er bleibt aber nicht der einzige Schutz. Tierschutz, Umweltschutz, Landschaftsschutz, Heimatschutz; die Liste geht weiter.

Kälberiglus unter Palmen?

Die Ansprüche nehmen zu. Zum einen sind es jene des weitgehend unbeteiligten Konsumenten, der seine eigenen Bedürfnisse auf die der Tiere überträgt; zum andern sind es aber auch fachlich fundierte Kreise, die Forderungen stellen. Am Beispiel der Kälberhaltung zeigt sich, wie widersprüchlich sie sein können. Ein Kalb sollte nicht alleine sein. Bekannt ist aber, wird es in Gruppen gehalten, steigt die Gefahr von ansteckenden Infektionskrankheiten (Kindergarteneffekt). Mit steigendem Infektionsrisiko nimmt die verabreichte Antibiotikamenge zu. Das Einzel-Iglu schützt das Kalb vor diesem möglichen Dominoeffekt. Die Temperatur-Regelung in diesen Hütten ist aber schwierig. Im Winter ist es zu kalt – im Sommer zu heiss.

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen rät zur Beschattung – nach Möglichkeit mit Bäumen. Gleichzeitig fordert das Bundesamt für Umwelt den Schutz der Gewässer. Iglus gehören auf Jauchegruben. Nur, welche Bäume wachsen hier? Da könnten Sonnenschirme helfen, heisst es. Betriebsleiter mit 120 Milchkühen dürften spätestens hier nur ungläubig den Kopf schütteln. Das Bundesamt für Landwirtschaft predigt seit Jahren den Strukturwandel und dieser ist in Gang. Betriebe mit 120 Kühen sind zwar noch nicht die Norm, spielen aber doch eindeutig die Musik von morgen.

Zielkonflikte führen zu Leidtragenden

Die Zeiger stehen derzeit auf zu wenig und nicht auf zu viel Milch. Demnach dürften alle Beteiligten ein Interesse daran haben, dass nicht nur die Anzahl Kühe, sondern auch die Aufzuchtkälber nicht noch weiter rückläufig ist. Der Rat, Iglus mit einer Topfpalme oder einem Landi-Sonnenschirm zu beschatten, ist vor diesem Hintergrund lächerlich. Auch wenn die durchschnittliche Zwischenkalbezeit eher zunehmen dürfte, weniger Kälber werden auf den Betrieben kaum geboren. Und die Branchenlösung, die 21 Tage auf dem Geburtsbetrieb fordert, macht die Anzahl Kälber auf den Höfen nicht geringer.

Die Gesunderhaltung der Kälber hat oberste Priorität. Sie auf die Jauchegrube an die pralle Sonne zu verbannen und dabei etwas von Gewässerschutz zu predigen, war ein unkluger Entscheid. Eine der Jahreszeit entsprechende mögliche Umplatzierung der Iglus hätte all diese Forderung zur Gesunderhaltung der Kälber erfüllt. Bodenproben an stark frequentierten Standorten hätten als mögliche Kontrolle dienen können.

An diesem Exempel wird sichtbar, dass diese Zielkonflikte zu Leidtragenden führen. In diesem Fall sind es die Kälber und mit ihnen ihre Halter(innen). Das Schlimme am Ganzen ist, es ist nur eines von vielen Beispielen, das uns aktuell und wohl künftig noch vermehrt beschäftigt.