Für einmal hat die Landwirtschaft mit ihrer Klage über ungenügende Milchpreise Gehör gefunden im Parlament. Nach dem Nationalrat verabschiedete in der Frühlingssession auch der Ständerat eine Motion des Waadtländer SVP-Nationalrats Jacques Nicolet, die Druck auf die Milchverarbeiter macht: Der Bundesrat soll festlegen, dass die Verkäsungszulage nur noch für Milch ausgerichtet wird, die nach Richtpreisen bezahlt wird.
In der Käserei-Branche sorgt das für Verunsicherung. «Das ist völlig systemfremd», sagt Fromarte-Präsident Hans Aschwanden. «Man kann in einem liberalisierten Markt nicht plötzlich staatlich festgelegte Mindestpreise machen», kritisiert er. Und: «Nicht alle Käsereien können am Markt Preise holen, mit denen sie A-Milch-Preise zahlen können.»
Weniger Flexibilität am Markt
Die Milchpreise machten 70 bis 80 Prozent der Kosten einer Käserei aus, gibt Aschwanden zu bedenken. Er befürchtet deshalb, dass die Verarbeiter künftig weniger Flexibilität haben, um auf die Entwicklungen am Markt zu reagieren.
Die Folge wäre eine Erhöhung der Käsepreise – und wenn der Markt dies nicht akzeptierte, eine Reduktion der Produktion. «Die Leidtragenden sind am Ende nicht die Verarbeiter, sondern die Milchproduzenten, die weniger Milch verkaufen», sagt Aschwanden. Im Ausland würde die Verkaufsmenge weiter zurückgehen, prognostiziert er.
Mehr Überwachung und Kontrollen
Mit dieser Befürchtung steht er nicht alleine da. In der Parlamentsdebatte hatte Landwirtschaftsminister Guy Parmelin vor einer Annahme der Motion gewarnt. Sie werde «die Produzenten treffen, und zwar ziemlich hart, wenn die Milchpreise tief sind», sagte er. Die Umsetzung mache nämlich ein neues Überwachungssystem nötig. Sollte in diesem festgestellt werden, dass der Landwirt nicht den Richtpreis ausbezahlt erhalte, müsste die Verkäsungszulage unter Umständen sogar rückerstattet werden. Um die Umsetzung sicherzustellen, seien ausserdem zusätzliche Kontrollen in den Käsereien nötig, um die Richtigkeit der Daten zu überprüfen, so die Einschätzung des Bundesrats.
Jacques Nicolet hat die Kritik im Text seines Vorstosses bereits 2021 vorweggenommen: «Zugegebenermassen schränkt der Preis für das A-Segment die Wettbewerbsfähigkeit von Käse aus Molkereimilch bei der Ausfuhr ein», heisst es da. Nötig sei der Schritt aber trotzdem, denn: «Es ist unhaltbar, dass der europäische Durchschnittspreis der einzige Mindestpreis für verkäste Milch darstellen soll.»
Der Bundesrat wies in seiner Stellungnahme auf den Zweck der Verkäsungszulage hin: Diese sei eben dazu da, den Rohstoff Milch für Verarbeiter billiger zu machen, damit sie im offenen Käsemarkt wettbewerbsfähig seien.
Der Zuger Mitte-Ständerat und Präsident der Branchenorganisation Milch (BOM) Peter Hegglin ist skeptisch. Wenn die Motion in der vorgeschlagenen Version umgesetzt werde, bekäme die Verwaltung weitgehende Kompetenzen, um in den Markt einzugreifen, sagt er.
Milchproduzenten setzen auf vertiefte Diskussionen
«Die Frage ist, was die Milchproduzenten wollen», sagt Hans Aschwanden: «Den Betrieb auslasten oder weniger Milch verkaufen, dafür zu einem besseren Preis?» Vonseiten der Schweizer Milchproduzenten (SMP) gibt es derzeit keine Stellungnahme zur Motion.
Es brauche nun «vertiefte Diskussionen mit unseren Branchenpartnern und dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW)», teilt Sprecherin Nora Jungo mit und verweist auf das Statement von Präsident Boris Beuret an der letzten Delegiertenversammlung in Bern: «Wir werden uns für die Umsetzung mit und bei der Milch-Branche und dem BLW konstruktiv, aber auch zielorientiert einbringen.»
Allgemeinverbindlichkeit als Alternative
Peter Hegglin glaubt nicht, dass die Motion in der vorgeschlagenen Version tatsächlich umgesetzt wird. « Ich kann mir aber eine Allgemeinverbindlichkeit für Mindestpreise für verkäste Milch vorstellen», sagt er. «Die Umsetzung könnte man der BOM übertragen.»
Eine solche Lösung bringt auch Hans Aschwanden ins Spiel. Er räumt ein, dass das heutige System teilweise Fehlanreize biete. So komme es vor, dass relativ günstige Milch verkäst und Proteine ins Ausland exportiert würden, was einer versteckten Subvention mit Steuergeldern gleichkomme. Das Problem wäre aber mit weniger drastischen Eingriffen zu lösen, findet Aschwanden. Sinnvoller wäre seiner Meinung nach, wenn der LTO+-Richtpreis der BOM für allgemeinverbindlich erklärt würde. «Damit hätten wir das Problem im Griff», ist er überzeugt. Mit der Motion werde aber mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Im Ausland ein teures Premium-Produkt
Dass die Käserei-Branche dem Vorstoss kritisch gegenübersteht, hat auch damit zu tun, dass ihre Situation jetzt schon schwierig genug ist. Wegen der hohen Inflationsrate im Euroraum und des Erstarkens des Frankens stockt der Export. «Wir sind preislich zu teuer geworden», sagt Markus Leuenberger. Er leitet den Genossenschaftsbetrieb «Chäsi Arni» im Emmental. Hier wird Emmentaler-AOC-Tradition produziert, der in die ganze Welt exportiert wird.
«Wenn die Leute verunsichert sind, leisten sie sich weniger», sagt er. Gespart werde dann bei Qualitätsprodukten. «Schweizer Käse ist im Ausland wie eine gute Flasche Wein, ein Premium-Produkt.» Wer den Gürtel enger schnallen müsse, spare zuerst dort. Diese Entwicklung bringe das ganze Wirtschaftspaket, mit dem die Milchwirtschaft den Freihandel abfedern wollte, unter Druck.
Sich dem veränderten Konsum anpassen
Auch der Generationenwechsel habe Auswirkungen auf die Branchenstruktur. Der Bezug zwischen lokalen Produzenten und Käsereien gehe zusehends verloren, konstatiert Leuenberger. Und beim Nachwuchs gebe es bei den Jungen eher zu wenig als zu viel Interessenten. Den Optimismus lässt sich Leuenberger nicht nehmen. «Wir werden immer unsere Nische haben», sagt er. Die Branche müsse aber die veränderten Konsummuster rechtzeitig erkennen und sich entsprechend anpassen.
