Der Kanton Bern ist der grösste Agrarkanton der Schweiz. In vielen Landwirtschaftsthemen übernimmt er sozusagen eine Vorreiterrolle ein. Die BauernZeitung hat mit Karin Oesch, Geschäftsführerin des Berner Bauernverbands, gesprochen und wollte wissen, wo der Schuh drückt, wohin die Reise geht und wie sich die Landwirtschaft im Kanton bewegen muss.
Mit welchen aktuellen Themen ist der Berner Bauernverband (BEBV) in diesem Jahr besonders beschäftigt?
Karin Oesch: Für den Berner Bauernverband stehen in diesem Jahr die Abstimmung zur Massentierhaltungs-Initiative, die Umsetzung des Massnahmenplans für sauberes Wasser und die Berner Goldmedaille bei den Swiss Skills im Zentrum. Zudem erneuern wir unsere Website und schaffen einen Login-Bereich für unsere Mitglieder. So können wir den Mehrwert der BEBV-Mitgliedschaft weiter steigern.
Um die Massentierhaltungs-Initiative bekämpfen zu können, hat der Berner Bauernverband extra dafür ein Komitee gegründet. Welche Aufgaben wird das Komitee übernehmen?
Das Berner Komitee bündelt die Kräfte der direkt betroffenen Geflügel- und Schweinebranche sowie auch jener Betriebe, auf welche die Initiative indirekt Auswirkungen haben wird. Das Komitee hat die Aufgabe, auch Produzent(innen) in den Bereichen Gemüse, Wein etc. zu sensibilisieren und ins Boot zu holen. Durch gemeinsame Absprachen und eine geeinte Organisation erreichen wir die Bevölkerung am besten.
Wann wird der BEBV mit der Abstimmungskampagne beginnen und wie sieht diese im Detail aus?
Die Aufklärungskampagne hat schon begonnen. Die bereits eingetroffenen Fahnen und Infoflyer des Schweizerischen Bauernverbands werden aktuell an die Regionen verteilt. Die Regionen und Partnerorganisationen werden zudem verschiedene Infoanlässe und Events organisieren und durchführen. Sobald der Abstimmungstermin klar ist, wissen wir auch, wann die Abstimmungskampagne gestartet werden kann.
Voraussichtlich wird die Massentierhaltungs-Initiative im September zur Abstimmung kommen. Welches Gefühl haben Sie?
Die ganze Wertschöpfungskette hat die Aufgabe, die Stimmberechtigten aufzuklären, dass es in der Schweiz keine Massentierhaltung gibt. Im letzten Jahr ist es der Landwirtschaft gelungen, die Gesellschaft gut zu informieren und Vertrauen zu schaffen. Wir wissen also, welcher Weg zum Erfolg führt. Er ist anstrengend und wir sind gut organisiert – ich bin zuversichtlich.
Nehmen wir an, die Initiative wird angenommen. Was würde das für die Landwirtschaft im Kanton Bern bedeuten?
Wenn die Initiative angenommen wird, würden wir mehr tierische Produkte importieren müssen. Die Wertschöpfung würde in der Landwirtschaft weiter sinken und viele Betrieb müssten die Tierhaltung bzw. den Betrieb aufgeben. Es gingen viele Arbeitsplätze verloren, auch in den nachgelagerten Betrieben.
Kommen wir zur Ausbildung in der Landwirtschaft. Es wird diskutiert, die Landwirtschaftslehre von drei auf vier Jahre zu erweitern. Was hält der Berner Bauernverband von diesem zusätzlichen Lehrjahr?
Die Bildung bzw. den Beruf Landwirt/in zu stärken, ist der Wille des Berner Bauernverbandes. Weil der Beruf sehr anspruchsvoll ist, kann die Erweiterung auf vier Jahre Sinn machen. Es soll aber für alle Kantone möglich sein, weiterhin Lernende auszubilden. Zudem soll der Vielfalt der Landwirtschaft Rechnung getragen werden.
Wie sollte aus ihrer Sicht die Lehre der Landwirtinnen und Landwirte in Zukunft aussehen?
Grundsätzlich soll die Ausbildung weiterhin attraktiv gestaltet sein und das Handwerk Landwirtschaft lehren. Sie soll auf dem Niveau der Grundbildung stattfinden und den aktuellen Gegebenheiten entsprechen. Das Thema Gewässerschutz im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln muss beispielsweise einen grösseren Platz einnehmen.
Drei oder vier Lehrjahre, der Kompromiss heisst 3 + 1 und mehr Bio. Wo liegen bei dieser Variante die Vor- und Nachteile?
Mit dieser Variante versucht die ODA Agri Ali Form allen gerecht zu werden. Das ist gleichzeitig ein Vor- und ein Nachteil. Eine Änderung des Systems muss einen Mehrwert bringen für die Berner Landwirtschaft. Die Ausbildung muss zeitgemäss und nachhaltig sein. Dazu gehört auch die Weiterbildung (lebenslanges Lernen).
Kommen wir zum Pflanzenschutz. Ein grosses Thema ist der Absenkpfad. Wo steht hier der Kanton Bern und was muss diesbezüglich noch verbessert werden?
Mit dem Berner Pflanzenschutzprojekt (BPP) haben die Berner Bauernfamilien gut vorgelegt. Die Berner Landwirtschaft hat gezeigt, dass sie Teil der Lösung ist. Vor allem im Monitoringgebiet war der Lerneffekt sehr gross und Verbesserungen in den Gewässern zeichnen sich ab. Nun geht es darum, die effektivsten Massnahmen weiterzuführen. Der BEBV setzt sich stark dafür ein, dass das BPP in angepasster Form und mit zusätzlichen Monitoringgebieten weitergeführt wird.
Nicht nur der Absenkpfad ist ein Dauerthema, sondern auch die Raumplanung. Welche Schwierigkeiten kommen hier auf die Bauern zu und welche Funktion nimmt hier der Berner Bauernverband ein?
Die Vereinbarkeit von verschiedensten Ansprüchen wie Ortsbildschutz, Schutz der Fruchtfolgeflächen, Denkmalpflege etc. stehen der Weiterentwicklung der Landwirtschaft gegenüber. Die Berner Landwirtschaft stellt den Anspruch auf Vorrang und die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Der BEBV dient als Vermittler, wenn beispielsweise ein Wärmeverbund gebaut werden soll. Wir nehmen Einfluss auf politischer Ebene und in der Verwaltung. In diesem Bereich haben wir die Türen nun etwas öffnen können.
Auch die Wolfspräsenz dürfte in Zukunft im Kanton drastisch zunehmen. Welche Haltung hat hier der Berner Bauernverband und was sind seine Forderungen?
Wenn die Gesellschaft fordert, dass der Wolf in der Schweiz einen Platz haben soll, dann muss sie auch Verantwortung übernehmen. Zumindest der finanzielle Schaden muss vollumfänglich abgedeckt sein. Die emotionale Herausforderung für die Tierhalter(innen) ist alleine schon sehr gross. Der BEBV fordert, dass verhaltensauffällige Tiere weiterhin beseitigt werden können.
Wegen des Kriegs in der Ukraine ist auch die Versorgungssicherheit in der Schweiz zu einem Thema geworden. Welche Haltung vertritt hier der BEBV?
Bevor zusätzliche Flächen angebaut werden, müssen die höheren Produktionskosten im Nahrungsmittelanbau durch angepasste Preise gesichert und umgesetzt werden. Die zusätzlich geforderten BFF-Flächen auf offenen Ackerflächen sind in der heutigen Weltlage nicht verantwortbar. Eine Verschiebung der Massnahme ins Jahr 2023 ist ungenügend.
Wie wir wissen, stellt Hans Jörg Rüegsegger, Präsident des BEBV, sein Amt nächstes Jahr zur Verfügung. Bis wann können sich geeignete Kandidatinnen und Kandidaten melden, wie genau läuft das Auswahlverfahren und wie viele Kandidat(innen) will man an der Mitgliederversammlung präsentieren?
Die Mitgliederversammlung 2023 wählt die neue Präsidentin bzw. den neuen Präsidenten. Mit der Empfehlung der eigenen Region sind die Aussichten auf Erfolg am grössten. Die Vorauswahl in den Regionen startet im Spätsommer, bis dahin sollten also die Bewerbungen eintreffen. Wie viele Personen zur Wahl antreten werden, spielt eine untergeordnete Rolle.