«Trotz energischer Verhandlungen bis 3 Uhr am Samstagmorgen reichte es zur Landwirtschaft weder für ein Arbeitsprogramm noch für einen Ministerbeschluss», berichtet Beat Röösli, der beim Schweizer Bauernverband (SBV) den Geschäftsbereich Internationales leitet und vor Ort dabei war. 

Für die Schweizer Landwirtschaft seien das  keineswegs schlechte Neuigkeiten, erklärt Röösli: «Kein Resultat ist für uns das beste Resultat», sagt er. Denn jede weitere Liberalisierung, also weniger Grenzschutz und Subventionen, drücken auf die Einkommen der Schweizer Bauernfamilien. 

Substanzielle Abkommen «fast unmöglich» geworden

Ein künftiges rechtsverbindliches Abkommen zu Subventionen und Zöllen ist mit dem Nicht-Ergebnis von Abu Dhabi vorerst in weite Ferne gerückt. «Ohne ein konkretes Arbeitsprogramm herrscht Chaos in den weiteren Verhandlungen», so Rööslis Einschätzung: «Es ist für die WTO und die Delegationen in Genf fast unmöglich, in zwei Jahren bis zur nächsten Ministerkonferenz in Kamerun ein substanzielles Abkommen zu entwerfen.» [IMG 2]

Röösli geht davon aus, dass die Verhandlungen nun weiterhin «unkoordiniert in alle Richtungen» gehen und die bekannten Argumente wiederholt werden. 

Streit um Preispolitik beim Reis

Als Stolperstein habe sich in den Verhandlungen vor allem die Haltung Indiens erwiesen. Dieses lebt einerseits vom Export vom Reis. Andererseits kann sich ein Teil der indischen Bevölkerung Reis zu Weltmarktpreisen nicht leisten. Die Regierung möchte deshalb einen Teil der eigenen Ernte aufkaufen und einlagern, um ihn zu einem günstigen Inlandpreis unter dem Weltmarktpreis an die Bevölkerung abzugeben. 

Dies treibt Konkurrenten wie Thailand, Pakistan oder Bangladesch auf die Barrikaden: «Da Indien mit über 40% Weltmarktanteil der mit Abstand grösste Reisexporteur ist, verstehen sie nicht, wieso Indien für die Ernährungssicherheit riesige Lager anlegen müsse», fasst Röösli den Konflikt zusammen: «Viel mehr sehen sie darin eine Exportsubvention und befürchten, dass die indische Regierung den eigenen Händlern überhöhte Preise bezahlen und den Reis vergünstigt auf den Weltmarkt werfen könnte.» 

Klimapolitik International nicht entscheidend

In Europa viel diskutierte Themen wie die Bauernproteste und die Transformation zu einer klimafreundlichen Ernährung seien in Abu Dhabi zwar thematisiert worden, hätten aber keine entscheidende Rolle gespielt, so Rööslis Beobachtung. Die CO2-Bilanz diene allenfalls als Argument, wenn es um den Abbau von Grenzschutz für klimaschädliche Produkte geht. Wo aber der Freihandel selbst mehr Emissionen generiere, sei dies kein Thema: «Damit würde das Hautpziel der wirtschaftsliberalen WTO in Frage gestellt, und dafür ist die Klimafrage den Handelsministern nicht wichtig genug». 


Garant für den globalen Handel

Uniterre «Die Schweiz muss aus der WTO» Monday, 20. June 2022 Die Welthandelsorganisation WTO wurde 1994 mit dem Ziel gegründet, Handelsbarrieren abzubauen und Regeln für die zunehmend globalisierten Märkte aufzustellen und zu überwachen. Seither ist das WTO-Regelwerk stetig gewachsen und bildet heute die Grundlage für die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den 166 Mitgliedstaaten. Mehr als 75% des Welthandels wird nach WTO-Regeln abgewickelt. Für kleine Exportländer wie die Schweiz seien solche Regeln von existenzieller Bedeutung, sagt Beat Röösli: «Auch der aktuelle Grenzschutz der Schweizer Landwirtschaft und der Rahmen für Subventionen und Direktzahlungen wurde in den 1990er ausgehandelt und damit rechtlich International abgesichert», gibt er zu bedenken. Das entsprechende Uruguay-Abkommen hat bis heute seine Gültigkeit.