Gleichzeitig mit dem Plantahoftag fand am 30. Oktober 2021 der erste landwirtschaftliche Klimagipfel Graubünden statt, als Teil des Projekts klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden. Über den ganzen Tag verteilt gab es drei Fachreferate mit Landwirtschaftsbezug zum Klimawandel.
Abgerundet wurde die Tagung mit einem Podium, an dem die Referent(innen), ein Biobauer, eine Biowinzerin und ein Hotelier teilnahmen. Ist klimaneutrale Landwirtschaft eine Utopie? Und welche Verantwortung tragen Politik, Landwirtschaft und Konsumenten? Diesen Fragen ging Moderator und Plantahof-Direktor Peter Küchler auf den Grund.
So sicher wie das Amen in der Kirche
Martin Grosjean, Direktor des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung an der Universität Bern, sagte, es sei so sicher wie das Amen in der Kirche, dass die Klimaproblematik auch noch in 50 Jahren da sei. «Die Wissenschaft hat ihre Arbeit gemacht und warnt schon seit Jahrzehnten vor den Folgen des Klimawandels.» Alle, die sich gegen den dringend nötigen Wandel wehrten, würden die Sache nicht besser machen. «Es gilt das Prinzip ‹first mover advantage›: Wer den ersten Schritt macht, ist im Vorteil», hielt Grosjean fest und spielte damit auf das Projekt klimaneutrale Landwirtschaft an.
Anita Idel, Mitautorin UN-Weltagrarbericht und bekannt für ihre Referate «die Kuh ist kein Klimakiller», erklärte, die Landwirtschaft müsste sich auch verändern, wenn es den Klimawandel nicht gäbe. «Unser Ernährungssystem ist zu einem riesigen Reparaturbetrieb verkommen. Was es braucht, ist mehr Kooperation: im Boden, im Anbau, im ganzen System der landwirtschaftlichen Produktion.»
Dieser Meinung war auch Christian Schöb, Professor für Agrarökologie an der Universität Zürich. Schöb erforscht in verschiedenen Ländern Möglichkeiten eines grossflächigen Anbaus von Mischkulturen. Für ihn ist die Zusammenarbeit mit den Bauern sehr wichtig. Er betonte: «Mischkulturen zu produzieren ist das eine. Es braucht aber auch Verarbeiterinnen und Konsumenten für die Produkte.»
Existenzen stehen auf dem Spiel
Biowinzerin Irene Grünenfelder und Biobauer Ursin Riedi spüren die Folgen des Klimawandels schon heute. Dass es wärmer werde, sei für den Weinbau auf den ersten Blick positiv, meinte Grünenfelder. Die damit verbundenen Begleiterscheinungen, wie der nasse Sommer 2021 mit dem hohen Mehltaubefall, würden für die Rebbaubetriebe allerdings zu einer existenziellen Frage. Grünenfelder und Riedi sind zwei von 50 Pilotbetrieben des Projekts klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden. «Das Projekt ist eine Riesenchance, aber es reicht einfach nicht», sagte Grünenfelder.
Landwirtschaft im Hamsterrad
Darauf wollte Peter Küchler von Riedi wissen, welches sein erster Schritt zu mehr Klimaneutralität auf seinem Betrieb gewesen sei. «Wir haben eine Kleinbiogasanlage gebaut, allerdings schon bevor das Projekt gestartet ist.» Er habe gemerkt, dass viele Emissionen verloren gingen und die heutige Düngerwirkung schlechter sei als früher, als jeder Betrieb noch einen Miststock hatte. «Für uns war klar, das kann es nicht sein. Und wenn man an diesen Punkt kommt, muss man etwas machen.»
Riedi stellt fest, dass die Landwirtschaft oft als Sündenbock dargestellt wird. «Das Problem sind aber nicht die Bauern, sondern unser System. Durch die Abhängigkeit von den Direktzahlungen sind wir in einem Hamsterrad.»
Rolle der Politiker(innen)
Uneinig waren sich die Teilnehmenden in der Frage, welche Rolle die Politik spielt. Martin Grosjean betonte, es sei nicht die Aufgabe der Wissenschaft, sich politisch zu äussern. Seiner Meinung nach befinden sich die Parteien noch im Tiefschlaf. «Darum platzt vielen Bürgern der Kragen, auch mir. Es ist nicht fünf vor, sondern fünf nach zwölf!»
Andreas Züllig, Hotelier und Präsident von Hotellerie Suisse, hielt entgegen, die Politik habe das Problem sehr wohl erkannt. «Es sind die Konsumenten und Bürgerinnen, die sensibilisiert werden müssen.» Er sieht die Rolle der Gastronomie darin, die Regionalität den Gästen schmackhaft zu machen und zu zeigen, dass es Spass macht, mit Schweizer Produkten zu kochen.
Irene Grünenfelder spürt indes nicht, dass Nachhaltigkeit beim Wein gefragt ist. «An der Bioproduktion zeigen unsere Kunden wenig Interesse. Sie wollen einfach einen guten Wein.» Sie sieht in erster Linie die Bevölkerung in der Pflicht. «Viele haben die Einstellung ‹es nützt ja doch nichts, wenn ich etwas mache›.» Das müsse sich dringend ändern. Es brauche Aufklärung, auch durch die Politik.
Ein Zuhörer, der sich zu Wort meldete, sieht die Politiker(innen) sehr wohl in der Pflicht. Es sei deren Aufgabe, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Darauf entgegnete Züllig, der als Präsident von Hotellerie Suisse politisch aktiv ist: «Es ist keine Option, alles auf die Politik zu schieben. Alle – die Wirtschaft, der Detailhandel, die Produzentinnen, die Konsumenten – müssen ihre Hausaufgaben machen.»
Nicht mehr zu stoppen
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Kostenwahrheit. Laut Martin Grosjean haben alle Umweltprobleme dasselbe Kernproblem: «Die Kosten für Umweltschäden werden ausgelagert und schlagen sich nicht am Preis des Endprodukts nieder. Das gilt für eine Flasche Wein genauso wie fürs Benzin.» Die Preisgestaltung sei dermassen verzerrt durch Subventionen und Steuern, dass der Preis nicht mehr den wahren Wert des Produktes widerspiegelt. Mit dem Projekt klimaneutrale Landwirtschaft seien die Bündner Bauern und Bäuerinnen auf dem richtigen Weg, lobte er.
Die Aufforderung zum sofortigen Handeln wurde von den Referenten fast mantraartig wiederholt. Anita Idel sagte: «Es ist sowieso zu spät, um den Klimawandel zu stoppen. Um diese Tatsache zu begreifen, müssen wir alle unsere Rolle neu definieren.» Peter Küchler nutzte dieses Votum und den Weckruf als Schlusswort: «Jeder ist Politiker, denn (fast) jeder wählt die Politiker. Jeder ist Wissenschaftler, denn jeder hat einen Kopf zum Denken. Und Konsumenten sind wir sowieso alle.»

