Die ganze Landwirtschaft sei von der Massentierhaltungs-Initiative (MTI) betroffen, wird im laufenden Abstimmungskampf immer wieder betont. Wir haben in den verschiedenen Branchen nachgefragt, wie sich eine Annahme der Vorlage voraussichtlich auswirken würde.
9% weniger Milch
«Eine RAUS-Pflicht gemäss MTI stellt aktuell für rund 2460 Betriebe mit rund 57700 Kühen ein Problem dar», sind die Schweizer Milch- produzenten (SMP) überzeugt. Weiter wolle die MTI grundsätzlich die Herdengrösse beschränken. Das sei ein indirektes Anliegen der Initiative. «Die Vorstellungen des Schweizer Tierschutzes liegen unter 100 Kühen je Herde», so die SMP. Bei einer durchschnittlichen Produktion von 7600 kg je Kuh würde die Grenze bei rund 750000 kg Milchproduktion je Betrieb liegen. Rund 8% der Milch-Betriebe mit einer Menge von rund 310 Mio. kg Milch dürften diese Limite überschreiten. Das ist gut 9% der aktuellen Milchproduktion. Wenn auf diese Produktion verzichtet werden müsste, entspricht dies −200 Mio. Franken Milcherlös.
300 Mio Fr. bei der Kälbermast
«Die Kälbermast wäre von einer Annahme der MTI in mehrerlei Hinsicht und in erheblichem Ausmass betroffen», sagt Marcel Dettling, Präsident des Schweizer Kälbermäster-Verbandes. «Viele Produzenten nehmen heute am RAUS-Programm teil. Wenn die Vorgaben des Programms im Fall einer Annahme zum Standard werden, fehlen Einnahmen von rund 300 Millionen Franken», prognostiziert der Innerschweizer. «Weiter käme es zu einer Senkung der zugelassenen Dünger-Grossvieheinheiten (DGVE) pro Hektare», fährt Dettling fort. Erlaubt sind heute in der Talzone 3 DGVE/ ha, eine Annahme hätte eine Senkung auf 2,5 DGVE zur Folge. «Das würde die Bauern dazu zwingen, ihre Tierbestände drastisch zu senken», so Dettling.
9% müssten die Rindermast aufgeben
Rund jeder zehnte Hof bzw. Betriebszweig müsste bei einer Annahme der MTI aufgeben. Laut einem Szenario der Fachhochschule Nordwestschweiz müssten von rund 280000 Rindermast-Betrieben 9% aufgeben. Das sind die Betriebe, die aufgrund der hohen finanziellen Belastung nicht auf das Tierwohlprogramm RAUS umbauen bzw. neubauen könnten. Diese 25000 Betriebe bewirtschaften konventionell.
Bleibt die Anzahl der Mastplätze gleich, so hätten die Bauern weniger Ertrag und damit tiefere Einkommen. Aufgrund des erhöhten Wiesenfutters von bis zu 85% in Berggebieten würde zudem auch die marktkonforme Schlachtkörperqualität kaum erreicht werden, so Franz Hagenbuch, Präsident Swiss Beef.
Kahlschlag in der Schweinemast
Massivst betroffen von einer Annahme wäre die Schweinemast. Knapp 70% der Mastschweine werden nach BTS und 60% nach RAUS gehalten. Viel mehr, als vom Markt verlangt und honoriert. Die MTI würde gemäss der Fachhochschule Nordwestschweiz Investitionen von 320 Mio Franken erfordern, oder jährlich rund 22 Mio Mehrkosten. Die zusätzlichen Betriebs- und Arbeitskosten (Fr. 50.– pro Platz) machen für die 800000 Mastschweineplätze weitere 40 Mio Mehrkosten jährlich aus.
Bei einem Abbau der Tierbestände, was aufgrund sinkender Nachfrage wegen höherer Preise und Hürden beim Umbau (finanziell, raumplanerisch) wahrscheinlich wäre, ergeben sich Einbussen für den Sektor Mast in dreistelliger Millionenhöhe.
RAUS für säugende Zuchtsauen
BTS und RAUS sind bei den hiesigen Zuchtbetrieben recht verbreitet. Bei den nicht säugenden Zuchtsauen mit je über 70%. Säugende hingegen haben während dieser kurzen Phase nur in 5% der Fälle RAUS. Die Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz, mit Angaben aus der Praxis von Suisseporcs, berechnete erforderliche Baukosten pro Zuchtschweineplatz in der Höhe von rund 27000 Franken (Neubau Abferkelstall, Kosten Auslauf und Mehrfläche, Neubau Jagerställe). Das macht beim 50-Sauen-Betrieb gegen 1,35 Mio Franken oder auf die Schweiz hochgerechnet bei 25000 säugenden Zuchtsauen Investitionskosten von 675 Mio Franken. Das wären dann jährliche Mehrkosten von 47 Mio Franken, bei einem Annuisierungsfaktor von 7%.
1400 neue Hühnerställe für Legehennen
Heute darf ein Betrieb 18000 Legehennen halten. Mit der MTI wären noch maximal 2000 Legehennen pro Stall und maximal zwei Ställe pro Betrieb erlaubt. Es müssten zirka 1400 neue Legehennenställe gebaut werden, schätzt das Kompetenzzentrum der schweizerischen Geflügelwirtschaft Aviforum. Die MTI-Anforderungen verlangten markant mehr Stall- und Weideflächen (für Legehennen rund 1,8- bzw. zweimal mehr), schreibt das Aviforum. Sehr viele bestehende Ställe, die den Anforderungen nicht entsprechen (zu gross, keine Weide möglich), müssten rückgebaut werden. Ausserdem würden die Produktionskosten und somit die Preise für Schweizer Eier stark steigen, während die Selbstversorgung sänke.
Pro Stall nur noch 500 Poulets
In der Geflügelmast wären statt aktuell 21000 bis 24000 Poulets (je nach Gewicht) pro Betrieb noch 500 Tiere pro Stall möglich. Die BTS-Poulethaltung (97% der Schweizer Produktion) würde «de facto verunmöglicht und müsste komplett auf Bio-Poulethaltung» umgestellt werden, schreibt das Aviforum. Die Umstellung auf mobile 500er-Pouletmastställe hätte laut dem Kompetenzzentrum der Geflügelwirtschaft zur Folge, dass viel mehr Ställe errichtet werden müssten (schätzungsweise 20000 neue Poulet-Mobilställe). Bereits heute sei es aufgrund der Raumplanung, der Luftreinhaltung und des Landschaftsschutzes schwierig bis unmöglich, neue Ställe zu bauen. Kleinere Ställe bräuchten ausserdem pro Tierplatz mehr Land.
Der Bundesrat ist klar dagegen
Schnell gelesen
Die Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz» kommt am 25. September vors Volk. Die Initiative fordert den Schutz der Würde von Nutztieren. Für tierhaltende Landwirtschaftsbetriebe sollen die Bio-Suisse- Richtlinien von 2018 gelten. Diese würden gleichzeitig für Importe tierischer Lebensmittel gelten. Bei der Annahme der Initiative müssten Nutztierhalter der verschiedenen Branchen, bei gleichbleibender Tierzahl, in den Ausbau ihrer Ställe Investieren oder die Tieranzahl auf die gegebenen Stallplätze reduzieren. Der Bundesrat und das Parlament sprechen sich gegen die Initiative aus, da Handelsabkommen verletzt und Lebensmittel massive verteuert würden.
Die Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz» kommt am 25. September 2022 zur Abstimmung vor das Schweizer Volk. Bundesrat und Parlament empfehlen die Ablehnung der Initiative.
Systematisch das Tierwohl verletzt
Das Initiativkomitee fordert eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, regelmässigen Auslauf ins Freie, kleinere Gruppengrössen und eine schonende Schlachtung. Das Tierschutzgesetz würde nur als vorbildlich bezeichnet werden, die Realität in der Landwirtschaft sähe anders aus. Die Tiere seien oft zu Tausenden in Hallen zusammengepfercht und es hätten nur wenige jemals Zugang zu einer Weide. Deshalb fordern die Initianten den gesetzlichen Schutz der Würde von Nutztieren in der Verfassung. Es ginge ihnen um den Schutz von Rindern, Hühnern oder Schweinen. Die Massentierhaltung sei eine «industrielle Tierhaltung zur möglichst effizienten Gewinnung tierischer Erzeugnisse, bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird».
Deshalb fordern diese strengere Mindestanforderungen vom Bund. Alle tierhaltenden Landwirtschaftsbetriebe sollen sich an die Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 angleichen, dafür gelte eine Übergangsfrist von 25 Jahren.
Darüber hinaus würden für Importprodukte die gleichen Standards gelten wie für inländisch produzierte Lebensmittel tierischer Herkunft. Das seien nicht nur Produkte wie Fleisch, Eier, Milch oder Käse, sondern auch Lebensmittel wie Eierteigwaren, Backwaren oder Schokolade. Der Bund müsse für den strengeren Import ein Kontrollsystem erlassen, welches die Biovorgaben auch an den Schweizer Grenzen kontrolliert. Um dies zu realisieren, hätte das Parlament eine Frist von drei Jahren.
Der Bund fördert bereits das Tierwohl
Bundesrat Alain Berset und Direktor des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) Hans Wyss nahmen in Bern zur Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz» Stellung.
Der Bund würde bereits die naturnahen, umwelt- und tierfreundlichen landwirtschaftlichen Produktionsformen fördern. Dies sei auch in der Verfassung verankert. Die Anzahl der Nutztiere in tierfreundlichen Ställen mit Zugang ins Freie würde sich erhöhen. Zudem hätte die Schweiz im Vergleich zum Ausland eines der strengsten Tierschutzgesetze weltweit.
Die Initiative verlangt die Begrenzung des Hühnerbestands auf 2000 Tiere pro Stall. «Mit entsprechenden grösseren Platzverhältnissen seien auch 15 000 Hühner pro Halle möglich», sagt Hans Wyss. Die Grundbedürfnisse der Tiere wie Platz, Fütterung, Betreuung und Licht seien unabhängig von der Betriebsgrösse gegeben, so der Direktor des BLV.
Auswirkungen auf Konsumenten und Handelsabkommen
Über 3000 Betriebe müssten den Tierbestand reduzieren oder die Betriebsflächen vergrössern, dies würde jährliche Mehrkosten von 0,4 bis zu 1,1 Milliarden Franken verursachen, so eine Berechnung des Bundes.
Nicht nur Lebensmittel tierischer Herkunft, auch Zutaten tierischer Herkunft dürften wegen der höheren Anforderungen teurer werden. «Es kann nicht davon ausgegangen werde, dass diese Kosten auf den Produktpreis abgewälzt werden», sagt Bundesrat Berset. Die Verteuerung dieser Lebensmittel sei nicht die einzige Auswirkung auf den Konsumenten, auch die Wahlfreiheit sei eingeschränkt. Mit der Vereinheitlichung auf Biostandard könnten die Konsumenten und Konsumentinnen nicht mehr wie bisher auswählen.
Über 40 % des Geflügelfleisches und der Eier seien aus dem Ausland. Die Kontrolle der Importe würde sehr aufwendig und teuer sein. Produkte würden aus den Regalen verschwinden und die Importbeschränkungen stünden im Konflikt mit internationalen Handelsabkommen. «Man muss mit Konsequenzen rechnen – wenn die Handelsabkommen verletzt werden», sagt Bundesrat Alain Berset.
Hierzulande bereits verboten
Eine Tierhaltung, die das Tierwohl verletzt, sei in der Schweiz bereits verboten. Immer mehr Nutztiere würden besonders tierfreundlich gehalten. Mit der generellen Verpflichtung zu Biostandards ginge die Initiative zu weit. Man müsse mit einer erheblichen Verteuerung der Lebensmittel rechnen.
(Inter)nationale Auswirkungen
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Die Schweiz habe eines der weltweit strengsten Gesetze zum Schutz der Tiere, sagt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Würde und Wohlergehen von Tieren seien geschützt, unabhängig davon, wie viele Tiere an einem Ort gehalten werden. Der Bund fördere zudem landwirtschaftliche Produktionsformen, die besonders naturnah, umwelt- und tierfreundlich sind. Das schreibe die Verfassung vor.
Breite Einigkeit
Das Komitee gegen die Massentierhaltungs-Initiative (MTI) hat Mitte Juni seine Abstimmungskampagne gestartet. Diese wird breit unterstützt, so auch vom Schweizerischen Gewerbeverband. Dort befürchtet man, dass bei einem Ja Tausende Arbeitsplätze der 300 000 Arbeitsplätze in der Land- und Ernährungswirtschaft gefährdet wären. «Man rechnet, dass bei einer Annahme der Initiative die Schweineproduktion in der Schweiz um rund 50 Prozent, die Geflügelproduktion gar bis zu 80 Prozent zurückgeht», äusserte der Verbandspräsident und Nationalrat (Die Mitte/TI) Fabio Regazzi. Nicht nur die Produktion würde ins Ausland verschoben, sondern auch die negativen Effekte auf die Umwelt, ist er sicher.
Auch Babette Sigg, Präsidentin des Konsumentenforums, sieht die Realität erfreulich besser, als vom Initiativkomitee gezeichnet. Als Konsumentin wolle sie selbst Verantwortung wahrnehmen und das Angebot mitbestimmen. Die Konsumenten sollten selbst darüber bestimmen können, «in welchem Preissegment sie einkaufen wollen», schliesslich hätten nicht alle die gleichen Möglichkeiten, sagte Sigg Mitte Juni am Lancierungsanlass in Bern.
Kündigung von Abkommen
Derzeit beschäftigt man sich mit den möglichen Auswirkungen, die eine Annahme dieser Initiative zur Folge hätte. Unter anderem wären auch bilaterale Verträge betroffen. «Wenn verlangt würde, dass nur noch Tiere und Lebensmittel tierischer Herkunft importiert werden dürften, die nach dem Bio-Suisse-2018-Standard gehalten respektive produziert wurden, könnte dies zur Kündigung des Agrarabkommens führen», sagt das BLV.
Da die Bilateralen I (einschliesslich Agrarabkommen) untereinander mit der sogenannten «Guillotine-Klausel» verbunden sind, werden bei Kündigung eines der Abkommen automatisch auch die anderen ausser Kraft gesetzt.
Weiter besteht die Gefahr von Klagen im Bereich der internationalen Abkommen. Denn, würde die Schweiz die Anforderungen für Importe einseitig auf das Niveau der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 oder eines vergleichbaren Standards anheben, müsste sie mit Klagen und Gegenmassnahmen anderer Handelspartner rechnen. Der Ausgang einer möglichen Klage bei der WTO wäre offen. Bei einer Niederlage müsste die Schweiz die 32 Freihandelsabkommen mit 42 Partnern ausserhalb der EU neu verhandeln.
