Am Mittwoch war es soweit: Wie bereits Ende Januar angekündigt, schickte der Bundesrat einen direkten Gegenentwurf zur Massentierhaltungsinitiative in die Vernehmlassung. Dieser sieht vor, den Schutz des «Wohlergehens» als allgemeinen Grundsatz für alle Tiere in die Verfassung aufzunehmen. Damit geht er über die Initiative hinaus, die sich auf Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung bezieht.
Für die Nutztiere nimmt der Bund laut einer Medienmitteilung drei zentrale Aspekte der Initiative auf:
- eine tierfreundliche Unterbringung,
- regelmässigen Auslauf,
- und die schonende Schlachtung.
RAUS- statt Biopflicht
Der Bundesrat verzichtet allerdings darauf, die Bio-Suisse-Standards in die Verfassung aufzunehmen, wie es die Initiative will. «Die Anwendung dieser Standards auf Importe wäre unvereinbar mit Handelsabkommen und nur sehr schwer umsetzbar», schreibt er.
Neu sollen sämtliche Nutztiere regelmässigen Auslauf haben. So sollen alle Rinder künftig entweder in Freilaufställen gehalten werden oder in Anbindeställen tagsüber Auslauf im Freien erhalten. Dabei sollen weitgehend die heutigen Anforderungen des RAUS-Programmes übernommen und künftig zu Minimalanforderungen werden. «Regelmässiger Auslauf» bedeute täglichen Zugang zu einem Aussenklimabereich, heisst es in den Vernehmlassungsunterlagen. Eine Überdachung soll – im Gegensatz zu den heutigen RAUS-Bestimmungen – möglich sein. Je nach Tierart (Geflügel, Kälber und Schweine im Sommer) könne sie sogar erforderlich sein. Schweine sollen zwingend einen eingestreuten Liegebereich haben. Bei der Schlachtung soll vermieden werden, dass die Tiere Schmerz empfinden, leiden oder Angst haben.
Bundesrat lehnt Initiative ab
Der Bundesrat empfiehlt die am 17. September 2019 eingereichte Initiative zur Ablehnung. Diese will den Schutz der Würde der Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung in die Verfassung aufnehmen. Dazu soll auch gehören, dass solche Tiere nicht in «Massentierhaltung» gehalten werden.
Der Bund müsste Kriterien festlegen, insbesondere für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse je Stall. Weiter müsste er bezüglich der Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Er-nährungszwecken Vorschriften erlassen, die dem neuen Verfassungsartikel Rechnung tragen. Schliesslich verlangt die Initiative, dass Anforderungen fest-gelegt werden, die mindestens denjenigen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen. Es sind Übergangsfristen bis 25 Jahre vorgesehen.
Sich bis November äussern
Sollte der direkte Gegenentwurf in der Volksabstimmung angenommen werden, unterbreitet der Bundesrat dem Parlament eine entsprechende Gesetzesvorlage, wie er in der Medienmitteilung schreibt. Die Vernehmlassung dauert bis am 20. November 2020. Bereits sind diverse Reaktionen auf den direkten Gegenentwurf eingegangen (siehe Kasten).
Von «erstaunlich progressiv» bis «so nicht»
Die ersten Reaktionen auf den Gegenvorschlag zur Massentierhaltungsinitiative haben nicht lange auf sich warten lassen. «Auslauf für alle Tiere: erstaunlich progressiv vom Bundesrat», twittert die Zürcher Nationalrätin Meret Schneider (Grüne). Sie ist die treibende Kraft hinter der Initiative. Die 28-Jährige hält aber gleich darauf fest: «Vorschriften im Inland erhöhen und Tierquälerei importieren – so nicht!» Ein Rückzug der Initiative stehe nicht zur Diskussion.
Der Schweizer Bauernverband kritisiert in einer Mitteilung den Gegenvorschlag des Bundesrats zur Massentierhaltungsinitiative. Erstens ende das Tierwohl für den Bundesrat an der Grenze, zweitens reduziere der Bundesrat mit den neuen Bestimmungen die Differenzierungsmöglichkeit über die verschiedenen Tierwohllabel und drittens gehe es bei den vorgesehenen neuen Bestimmungen nicht nur um zusätzliche Kosten, sondern generell auch um die praktische
Machbarkeit auf den einzelnen Betrieben.
Der Schweizer Tierschutz (STS) begrüsst die Idee der Landesregierung, das Wohlergehen aller Tiere als Grundsatz in die Verfassung aufzunehmen sowie die schonende Schlachtung in der Verfassung zu verankern, wie die Nachrichtenagentur SDA-Keystone schreibt.
Doch kritisiert der STS in seiner Mitteilung, dass Konkretisierungen in den Bereichen Tierhaltung (freie Bewegung, Auslauf und Weide) sowie zu Transport und Schlachtung weitgehend fehlen würden. Auch der STS kritisiert, dass Produkte aus tierquälerischer Massentierhaltung nach wie vor ungehindert in die Schweiz importiert werden könnten.
lid/jw