Wintersession des Nationalrates: Eine der meist gemachten Aussagen der über fünfzig Parlamentarier und Initiativgegner war: «Die Landwirtschaft produziert heute schon zu viele Labelprodukte – der Staat kann dies nicht regeln, dies muss der Markt tun».

Absatzoffensive gestartet

Es ist eine Tatsache, dass der Absatz von tierfreundlich erzeugten Produkten im Fleischsegment stagniert, vielfach auf tiefem Niveau und in einigen Kategorien geht er sogar zurück – trotz positiver Kaufbereitschaft der Konsument(innen). Um die Ursachen dieses Dilemmas herauszufinden, hat der Schweizer Tierschutz STS vor zwei Jahren die «Absatzoffensive Labelprodukte» gestartet und verschiedene Recherchen und – in Zusammenarbeit mit Agroscope – Forschungsprojekte durchgeführt.

In fünf Thesen lässt sich nun zusammenfassen, dass die Labelmärkte nur sehr unvollständig funktionieren und dies auf Kosten der Tiere, der Umwelt, aber auch der Landwirtschaft:

These 1 – Keine Kostenwahrheit: Viele Kosten, die dem Tier und der Umwelt schaden, werden bei den konventionellen Produktionsstandards ausgelagert (externe Kosten). Die Produkte sind somit am Markt konkurrenzfähiger und werden dadurch sogar ungewollt gefördert (in der Agrarallianz wurden unter der Leitung des STS Instrumente zur Umsetzung der Kostenwahrheit im Tierwohl erarbeitet).

These 2 – Öffentliches Gut Tierwohl: Tierwohlstandards haben den Charakter eines öffentlichen Gutes. Weil die Verbraucher nicht bereit sind, individuell für ein öffentliches Gut zu bezahlen, muss dieses vom Bund abgegolten werden (wird nur z. T. durch Tierwohlprogramme abgegolten).

Diese beiden Thesen führen zu einem «Marktversagen», das der Markt alleine nicht regeln kann. Der Bund ist dafür verantwortlich mit Auflagen, Lenkungsabgaben oder Direktzahlungen Tierleid und Schäden an der Umwelt zu vermeiden. Im Gegensatz dazu werden folgende drei Thesen vom Markt selbst verursacht, d.h. von den Marktakteuren oder bestimmten Marktkonstellationen.

These 3 – Marktmacht: Bei den hohen Marktanteilen von Label-/Bioprodukten der Grossverteiler (Rinder 64 %, Kälber 82 %, Schweine 85 %) existiert Marktmacht. Diese kann missbraucht werdenzu Ungunsten der anderen Akteure oder des Tierwohls(z.B. Druck auf Preise oder Zuschläge).

These 4 – Verzerrte Preispolitik: Die heute praktizierte Preispolitik führt zu exorbitant hohen Preisdifferenzen zwischen den Label- und den preisaggressiven Standardsortimenten, die viele Konsument(innen) nicht zu bezahlten bereit sind. Gemäss Agroscope existieren in diesem Bereich grosse Absatzpotenziale für Labelprodukte.

These 5 – Unvollständige Abgeltung: Die Preiszuschläge im Laden kommen kaum bei den Produzenten an. Agroscope hat berechnet, dass die Tierwohlmehrwerte den Produzenten nur unvollständig abgegolten werden.

Es braucht mehr Transparenz in den Märkten

Fazit: Um den Labelabsatz wirksam anzukurbeln, braucht es mehr Transparenz in den Märkten und v. a. andere Preisrelationen am Verkaufspunkt. Dafür verantwortlich sind zum einen die Schlüsselakteure im Markt. Zum andern muss aber auch der Bund in Richtung einer nachhaltigen und tiergerechten Nahrungsmittelproduktion lenkend einwirken, Kostenwahrheit schaffen und mit den Rahmenbedingungen die vollständige Abgeltung der Tierwohlmehrwerte sicherstellen. Letztlich müssen sich aber auch die Labelproduzenten stärker organisieren und innerhalb der Branchenorganisationen mehr Gewicht fordern.