Weil die Situation hinsichtlich der AP 22+ blockiert war, haben Sie offenbar von Politologen den Hinweis bekommen, ein Zukunftsbild könne helfen. Ein solches wurde fürs Jahr 2050 dann auch erarbeitet. Wie haben Sie den Prozess erlebt?
Es war ein sehr inspirierender und konstruktiver Prozess. Besonders wertvoll war der Einbezug verschiedener Akteure von der Produktion bis zum Konsum. Sie waren Teil der Begleitgruppe. So konnten sie ihre Vorstellungen und Anliegen einbringen. Was mich besonders freut: Das Zukunftsbild des Bundesrates wird breit getragen und bietet eine wertvolle Grundlage, an der sich die zukünftige Agrarpolitik orientieren kann.
Wie sehr haben Corona und der Ukraine-Krieg den Bericht (noch) beeinflusst?
Der Krieg war bei der Finalisierung des Berichts ein wichtiges Thema. Wir haben aber bereits vorgängig, also vor dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, die künftigen Rahmenbedingungen analysiert. Schon länger zeigt sich, dass die geopolitischen Spannungen zunehmen und dies zu einer teilweisen Regionalisierung internationaler Wertschöpfungsketten führt. Deshalb ist die Ernährungssicherheit so zentral. Gerade für ein kleines Alpenland wie die Schweiz. Mit der Vision «Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit von der Produktion bis zum Konsum» bin ich überzeugt, dass wir diese zentrale Ernährungssicherheit weiter stärken können.
Daran waren sehr viele unterschiedliche Organisationen und Verbände beteiligt – spürten Sie einen Konsens?
Während der Erarbeitung gab es intensive und auch kontroverse Diskussionen. Aber am Schluss gab einen breiten Konsens. Der Fokus soll nicht länger nur auf die Landwirtschaft gerichtet werden, wenn es darum geht die Ernährungssicherheit nachhaltiger zu gestalten, sondern auf alle Stufen der Wertschöpfungskette bis hin zum Konsum. Das heisst: Wir alle sind in der Pflicht. Auch die Nachhaltigkeit im internationalen Handel soll eine wichtige Rolle spielen. Zudem ist man sich einig, dass künftig die Branchen mehr Verantwortung übernehmen sollen, beispielsweise bei der Erreichung vom Umweltzielen. Diese Elemente sollen ein Schlüssel für eine Vereinfachung der Agrarpolitik sein kann.
Warum hat man sich beim Zukunftsbild genau für das Jahr 2050 entschieden?
Das Zukunftsbild soll der Branche eine positive Perspektive bieten. Zugleich sollen auch Ziele zum Beispiel im Bereich Klimaschutz erreicht werden. Damit dies gleichzeitig erreicht werden kann, braucht es einen längerfristigen Zeithorizont von einer Generation. Mir ist klar: Die Ziele sind ambitioniert. Aber sie sind realistisch.
Ein sehr grosser Bestandteil der neuen Strategie ist es, die ganze Wertschöpfungskette bis zum Konsumenten in die Pflicht zu nehmen und nicht mehr auf die Landwirtschaft zu fokussieren. Warum ist das so wichtig, etwa Stichwort Food Waste?
Sie geben ein wichtiges Stichwort. Pro Kopf und Jahr werden in der Schweiz 330 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen, die noch geniessbar wären. Diese Zahl zeigt klar: Wir müssen achtsamer mit unseren Lebensmitteln umgehen. Beim Thema «Food Waste» haben wir einen grossen Hebel, um das Ernährungssystem nachhaltiger zu machen. Darum ist der Einbezug der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zum Konsum wichtig, damit die ganze Branche das gleiche Ziel hat und somit am gleichen Strick zieht.
Man möchte auch, dass sich die Konsumenten 2050 gesünder und nachhaltiger ernähren, Konsumenten sind bekanntlich sehr schwer zu «erziehen», glauben Sie, dass das möglich ist?
Wir müssen umdenken. Dabei geht es um das Bewusstsein, dass eine gesunde Ernährung nicht nur für die eigene Gesundheit, sondern auch für die Umwelt gut ist. Ich glaube, dass dieser Wandel, diese Sensibilisierung, im Zeithorizont 2050 möglich ist. Erstens bin ich überzeugt, dass unser Klimabewusstsein weiter zunehmen wird. Zweitens werden das Engagement und die Innovationen von privaten Akteuren in der Lebensmittelkette eine Veränderung des Konsumverhaltens in die gewünschte Richtung begünstigen.
Ein Thema ist auch mehr Kostenwahrheit, offenbar laufen hier auch international einige Bestrebungen?
Die externen Kosten in den Konsumentenpreisen sind zu wenig transparent. Das erschwert heute ein nachhaltiges Einkaufsverhalten. Um dem entgegenzuwirken, sollen Informationen über soziale und umweltbezogene Wirkungen der Lebensmittel, zum Beispiel zur Produktionsmethode einfach und verständlich aufbereitet und zugänglich gemacht werden. Es braucht aber auch Mechanismen, um die wahren Kosten in den Preisen abzubilden. Damit dies für einzelne Länder nicht zu Wettbewerbsnachteilen führt, braucht es länderübergreifende Ansätze und ein international koordiniertes Vorgehen. Die Schweiz nimmt hier aktiv an den Diskussionen in den entsprechenden Arbeitsgruppen beispielsweise bei der OECD teil.
Sie haben an einem Hintergrundgespräch zum neuen Bericht gesagt, es sei sehr wichtig, bei den Kulturen eine Vielfalt zu haben, dadurch werde die Produktion stabiler. An welche Kulturen denken Sie in erster Linie?
Ein diversifiziertes Portfolio bei den Kulturen gibt Stabilität. Einerseits beim Einkommen der Betriebe und andererseits bei der Ernährungssicherheit, da ein schlechtes Jahr bei einer einzelnen Kultur weniger stark ins Gewicht fällt. Welche Kulturen die Landwirtschaft anbauen soll, entscheidet der Konsum und nicht das Bundesamt für Landwirtschaft. Mit dem Klimawandel und den sich ändernden Konsumgewohnheiten wird sich die Auswahl an geeigneten Kulturen über die Zeit sicher ändern. Kriterien wie die Trockenheitstoleranz oder die Nachhaltigkeit dürften weltweit an Bedeutung gewinnen.
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Sie haben am selben Hintergrundgespräch gesagt, trotz Sistierung der AP 22+ herrsche keineswegs Stillstand. Können Sie das etwas ausformulieren?
Seit der Sistierung der AP22+ hat das Parlament die Parlamentarische Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» beschlossen und der Bundesrat hat die entsprechenden Verordnungsbestimmungen verabschiedet. Diese treten 2023 in Kraft. Damit wurden wichtige Elemente der AP22+ im Bereich Pflanzenschutzmittel und Nährstoffverluste trotz Sistierung bereits umgesetzt. Es kann also keine Rede von Stillstand bis 2030 sein.
Der Bundesrat findet die AP 22+ gute Basis und schlägt vor, eine entschlackte Version davon umzusetzen. Wagen Sie eine Prognose, was im Parlament passieren wird?
Der Bundesrat schlägt dem Parlament vor, auf gewisse Massnahmen der AP22+ zu verzichten und die Änderungen beim Boden- und Pachtrecht zu einem späteren Zeitpunkt separat zu beraten. Damit kann die im Parlament sistierte Debatte über die Weiterentwicklung der Agrarpolitik deblockiert werden. Nachdem die WAK-S den Postulatsbericht am 27. Juni 2022 positiv gewürdigt hat und den Empfehlungen des Bundesrats betreffend Eintreten auf die Vorlage gefolgt ist, bin ich sehr zuversichtlich, dass diese Blockade gelöst werden kann.
Was wäre Ihr bevorzugter Ausgang?
Ich wünsche mir, dass ein konstruktiver parlamentarischer Prozess zu einem Endresultat führt, mit dem die zukünftigen Herausforderungen unserer Land- und Ernährungswirtschaft erfolgreich gemeistert werden können. Denn letztlich wollen wir ja alle das Gleiche: Nämlich möglichst gute Voraussetzungen schaffen, damit die Ernährungssicherheit langfristig gewährleistest bleibt. Davon profitieren sollen alle: Vom Landwirt bis zum Konsumenten.
Offenbar gab es auch Stimmen, die gerne auf die AP 22+ verzichtet und gleich ganz auf die neue Strategie gesetzt hätten, dann hätte sich aber eine neue Botschaft bis 2028 verzögert, stimmt das?
Ja, das Erarbeiten einer neuen Botschaft inklusive der Debatte würde mindestens bis 2028 gehen. Sie dürfen aber nicht vergessen: Würde die AP 22+ nicht beraten, gäbe es viele Verlierer. Gewisse noch nicht umgesetzte Elemente der Agrarpolitik 2022+ bringen gezielte Verbesserungen der ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft. Die AP 22+ ist entsprechend ein wichtiger Schritt, um die vom Bundesrat verabschiedete Strategie umzusetzen.
Es gibt auch Stimmen, die bei der AP Acht-Jahres-Reformschritte, dazwischen «nur» eine Zahlungsrahmenbotschaft fordern, wie finden Sie das?
Diese Überlegungen kann ich sehr gut nachvollziehen. Bei einem Reformzyklus von acht Jahren haben die Landwirtschaft und die weiteren betroffenen Kreise genügend Zeit, sich den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Dieser Zeitrahmen würde meines Erachtens Stabilität und Sicherheit geben.


