Im Rahmen der AP-Serie trafen wir Nationalrätin Christine Badertscher und Stadträtin Ursula Egli zum Gespräch. Die Frauen waren sich in vielem einig, aber nicht in allem.
Wie würden Sie die AP gestalten, wenn Sie das in Eigenregie tun könnten?
Christine Badertscher: Bei den Grünen haben wir schon immer an einen ganzheitlichen Ansatz bezüglich Ernährungspolitik appelliert – jetzt machen das plötzlich alle, das ist sehr gut. Denn das Problem von heute ist ja, dass man die Landwirtschaft in einem zu hohen Detaillierungsgrad zu regeln versucht, der Rest der Wertschöpfungskette jedoch kaum in die Pflicht nimmt. Ich würde bestehende Labels fördern und mich auf das Potenzial konzentrieren, was hierzulande möglich ist: Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion und Anbau von Eiweisspflanzen zur menschlichen Ernährung auf unserer Ackerfläche. Ein wichtiger Punkt dabei ist jedoch die Lenkung der Nachfrage, sonst funktioniert dies nicht.
Zudem würde ich auf bestehende Labels setzen und so deren Produkte fördern. Ich finde mit diesen lässt sich die Produktion besser regeln, als wenn man die gesamte Landwirtschaft verformen möchte.
Was machen Sie mit denjenigen Produzenten, die kein Label produzieren?
CB: Sie müssten sicherlich nach den ÖLN-Vorschriften produzieren. Das langfristige Ziel wäre, dass alle Produzenten im Rahmen eines Labels Nahrungsmittel produzieren, so wie dies heute für ÖLN Vorschrift ist.
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Ursula Egli, was halten Sie zum Vorschlag eines Labelobligatoriums?
UE: Der Konsument ist doch schon heute überfordert. Zudem steigt der Preisdruck noch mehr, wenn alle das gleiche machen. Für mich ist ganz wichtig, dass importierte Ware die gleiche Anforderung erfüllen muss, wie im Inland produzierte. Wir sind in der Schweiz im Sandwich: Wir müssen hohe Standards erfüllen und gleichzeitig spüren wir den extremen Preisdruck.
CB: Da bin ich mit Ihnen einverstanden. Die Lebensmittel sind grundsätzlich zu billig. Wir müssten zum Beispiel die Aktionen und die Werbung für importiertes Billigfleisch verbieten. Das wäre einen Eingriff in die Gewerbefreiheit, aber wir kommen nur so weiter.
Das heisst, Sie verlangen einen Mindestpreis bei Lebensmitteln?
CB: Das Ausland wird immer billiger sein, egal ob sie es besser machen oder schlechter. Darum ist der Preisdruck so hoch, was wiederum viele Probleme verursacht in der Schweizer Landwirtschaft. Einen Mindestpreis würde ich nicht festlegen, sondern die Anforderungen an die Importe erhöhen und den Grenzschutz beibehalten.
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Und wie stehen Sie zum Werbeverbot für Billigfleisch-Importe?
Das wäre sicher positiv für die Schweizer Produktion. Aber was das beim Konsumenten suggeriert, weiss man nicht. Wenn aber, wie das BLW andenkt, das Werbeverbot auch für Preisrabatte in der Schweiz gelten soll, wäre dies ein massiver Einschnitt in die Handels- und Gewerbefreiheit. Warum soll die Produktion in der Schweiz je länger je mehr eingeschränkt werden, wenn schon eine Nachfrage besteht? Die Aktionen, die für Schweizer Fleisch gemacht werden sind unter anderem auch Marktregulierend daher muss dieses Instrument erhalten bleiben.
Was müsste sich konkret an der aktuellen Situation ändern?
UE: Ich fände es wichtig, dass mehr vom Konsumentenfranken beim Produzenten landet. Im Ausland gibt man im Verhältnis zum Lohn teilweise sehr viel mehr für Lebensmittel aus als hierzulande. Aber diesen Mechanismus strebt man in der Schweiz gar nicht an: Hier will man, dass das Geld in andere Sektoren einfliesst, um die Wirtschaft anzukurbeln.
CB: Die Produzentenpreise sind zu tief. Dort könnte man schon Gegensteuer geben, ohne dass man alles verbieten oder Preise festlegen müsste.
Was sind denn die grössten Schwächen der AP?
UE: Ich denke, ohne AP geht es nicht. Sie gibt Rückhalt für die Ernährungssicherheit. Trotzdem nimmt der Selbstversorgungsgrad ab– das ist ein Teufelskreis, woraus man so schnell nicht kommt. Zudem kann es nicht sein, dass die Direktzahlungen nur an die Fläche gekoppelt sind. Denn je grösser die Betriebe, desto anfälliger auf den Strukturwandel sind sie.
Ursula Egli, heisst das, Sie wünschen eher eine Abgeltung pro Standardarbeitskraft, statt pro Hektare, um die produzierende Landwirtschaft zu fördern?
UE: Nicht nur. Denn ich sehe, dass kleinere Betriebe oftmals schlagkräftiger agieren als Grossbetriebe und ein bekanntes Phänomen ist, dass diese im Verhältnis sogar mehr Leute ernähren können.
Welche Entwicklungen in der Landwirtschaft machen Ihnen sonst noch Sorgen?
CB: Die Hauswirtschaft verliert immer mehr an Bedeutung, sogar in der bäuerlichen Ausbildung. Somit geht Wissen über das Kochen und die Saisonalität von Lebensmitteln verloren. Das ist ein Punkt, woran man arbeiten muss. Klar können nicht wieder alle zu Hause kochen, aber diesem Thema sollte in der Ausbildung mehr Gewicht gegeben werden.
Sie wollen den Konsumenten also durch Bildung erreichen, statt durch Bevormundung?
Beide: Oh ja auf jeden Fall. Bevormundung ist in dieser Angelegenheit keine gute Wahl.
Sie sind als Stadträtin resp. Politikerin und Mutter oft unterwegs, wie ernähren Sie sich denn?
UE: Ich habe zum Glück eine Frau gefunden, die bei uns nicht nur kocht, sondern sehr gut kocht.Es ist mir wichtig, dass ein ausgewogenes Mittagessen auf den Tisch kommt. Ich kann auch grossmehrheitlich zu Hause das Mittagessen einnehmen. Beim Essen auswärts nehme ich gerne auch mal das Vegi Menü, weil Fleisch habe ich zu Hause schon regelmässig.
CB: Mein Mann kocht zum Glück gut. Aber ja, ich esse oft auswärts. Darum fände ich es wichtig, die Gastronomie in die Diskussion über nachhaltiges Essen miteinzubeziehen. Dort gibt es ein grosses Potenzial. Klar, den privaten Konsum kann man nur beschränkt lenken, aber im öffentlichen Beschaffungswesen wie Militär, Kita, Spitäler kann man noch vieles verbessern.
Seid Ihr der Meinung, dass die gegenwärtige AP die produzierende Landwirtschaft behindert?
UE: Teilweise. Ich denke für die Schweizer Landwirtschaft war es ein Gewinn, die AP 22 + zu sistieren. Die Frage ist, was als nächstes daherkommt.
CB: Für mich ist es keine Behinderung. Die Frage ist eher: Was fördert man damit? Der Strukturwandel wird durch die AP gefördert, was ich nicht nur als falsch finde.
Fördert das System auch Direktzahlungs-Optimierer? Sprich, Landwirte, die das Minimum erfüllen, um Geld zu beziehen, obwohl sie den Grossteil ihres Einkommens in einer anderen Tätigkeit erwirtschaften?
CB: Das ist eine sehr schwierige Diskussion. Die Frage ist: Ist die AP daran schuld, oder die gesamte Gesellschaft? Haben die Lebensmittel zu wenig Wert, dass diese Bauern auswärts arbeiten müssen? Müsste ein Nebenerwerbsbetrieb seine 10 ha besser einem Grossbetrieb abgeben, damit dieser sein gesamtes Einkommen auf dem Betrieb generieren könnte?
UE: Das System lässt diese Optimierung zu, also kann man den Produzenten eigentlich keinen Vorwurf machen. Von einem Lehrer erwartet man nicht, dass er in seiner Freizeit noch einer anderen Tätigkeit nachgeht, damit er seine Familie ernähren kann – aber der Landwirt macht das unter Umständen regelmässig.
Der Landwirt macht das ja nur, weil es dank den Direktzahlungen noch rentiert. Sonst würde er es nicht machen, oder?
UE: Nein, rentieren tut es nur, weil er eben auswärts noch arbeitet.
CB: Darum wäre eben die Abgeltung der Direktzahlungen mit mit den SAK keine schlechte Idee, das würde diese Entwicklung etwas entgegenhalten. Allerdings würde dadurch die Administration weiter zunehmen.
Dies würde aber eine Intensivierung fördern.
CB: Nicht unbedingt, nein. Es könnte auch dazu führen, dass z.B. mehr Beeren angebaut werden.
UE: Nein, dann würde die Wertschöpfung auf dem Betrieb eben steigen. Der Bauer muss aber auch nicht alles selber machen. Ich meine ein Schreiner geht auch nicht zuerst in den Wald, um Holz zu holen.
Sind die Direktzahlungen eher zu hoch oder zu tief?
UE: Also mehr Geld sollte nicht in die Landwirtschaft gepumpt werden. Zu viel Geld als Direktzahlung hemmt auch das Unternehmertum. So wie es ist, ist es gut.
CB: Ich finde, über die Höhe der Direktzahlungen kann man diskutieren, aber der AP wird generell zu viel Gewicht beigemessen. Ich finde die Nachfrage der KonsumentInnen, die Werbung, die Marktstrukturen, die Importe etc, haben einen ebenso grossen Einfluss auf die Landwirtschaft .
Braucht es denn in Ihren Augen Direktzahlungen oder sollten sie abgeschafft werden?
CB: Ja, die braucht es sicher noch. Es ist natürlich wünschenswert, dass man mit dem Erlös der Produktion leben könnte, aber das wird eine Utopie bleiben. UE: Wenn abschaffen, dann international. Mit den Direktzahlungen können Bauern wieder Investitionen tätigen, was auch wieder wertvoll ist für die Wirtschaft. Für jedes Land ist es wichtig, dass die Ernährung der eigenen Bevölkerung sichergestellt werden kann.
Am 13. Juni zeigte sich: 40 % der Bevölkerung wollen, dass man bezüglich Umweltproblemen radikaler vorgeht. Soll man das dem Markt überlassen, oder sollte das auf die Agenda der Politik?
UE: Nur dem Markt überlassen ist bestimmt nicht die Lösung, Da ist auch die Politik gefordert.
Es sollte davon Abstand genommen werden, Sündenböcke zu suchen. Der Bauer kauft sich die Mittel, die zugelassen, und auf dem Markt verfügbar sind. Daher ist die Forschung und Entwicklung gefordert, um umweltverträglichere Mittel auf den Markt zu bringen.
CB: Ich bin halt ein Fan von Lenkungsabgaben. Entweder man richtet die Direktzahlungen stärker ökologisch aus oder man erhebt eine Lenkungsabgabe auf Mineraldünger und importiert Futtermittel. Das Geld könnte dann wieder an die Landwirtschaft zurückgespielt werden. Auch die Forschung spielt generell eine zentrale Rolle.
Mit dem Absenkpfad soll der Ausstoss von Phosphor und Stickstoff bis im Jahr 2030 um 20 % reduziert werden. Kann man das Nährstoffproblem technologisch lösen oder sollte man die Tierbestände abbauen?
UE: Wenn wir den Tierbestand abbauen, wird einfach noch mehr importiert.
Letzte Frage: Gibt es einen Stadt-Land-Graben?
UE: Ich finde, einen Stadt-Land-Graben haben wir nicht, aber die Ansichten unterscheiden sich halt. Je mehr wir mit einem Konsumenten in Kontakt kommen, desto mehr versteht er auch. Ich finde den Röstigraben eigentlich ausgeprägter.
CB: Ursula und ich sind das beste Beispiel: Sie sind Stadträtin und leben auf dem Land, ich wohne auf dem Land und bin bei den Grünen in der Stadt Bern. Also ich fahre jeden Tag über diesen angeblichen «Graben», darum brauche ich ja langsam auch einen Offroader (lacht).
Ist es eine Bringschuld des Produzenten, diesen Graben zu überwinden und sich mehr für seine Konsumenten zu interessieren?
CB: Es ist sicher wichtig, dass man den Konsumenten erklärt, wie Landwirtschaft funktioniert. Mit der Bedingung, die Leute sind daran interessiert. Aber das Umgekehrte ist eben auch wichtig. Was wollen die Konsumenten? Was steckt hinter ihren Forderungen?
Der Landdienst war früher obligatorisch. Bräuchte es für junge Bauern und Bäuerinnen einen obligatorischen Stadt-Dienst?
CB: Ja wieso nicht? Eben - es muss alles auf Gegenseitigkeit beruhen, sonst kommen wir nicht vorwärts.
UE: ist ein interessanter Ansatz- den Landdienst- heute Agriviva, müsste eigentlich in einer Form ins Programm aufgenommen werden, um das gegenseitige Verständnis zu stärken.