In gut drei Wochen stimmen wir über die Massentierhaltungs-Initiative (MTI) ab. Die jüngste Umfrage stimmt aus Sicht der Gegner(innen) – darunter ein Grossteil des Primärsektors – optimistisch. Erstmals überwiegen die Nein- die Ja-Prozente (49 zu 48) und der Trend stimmt; noch vor wenigen Wochen waren die Befürworter nämlich klar in der Mehrheit. Damit folgt die Entwicklung ziemlich exakt den Vorher-sagen zum Hosenlupf im Juni vergangenen Jahres. Damals resultierten bekanntlich zwei deutliche Nein-Mehrheiten im 60-Prozent-Bereich gegen die Trinkwasser- und Pestizidverbots-Initiativen.
Weniger kämpferisch unterwegs als 2021
Noch ist es natürlich verfrüht, diese Werte als Signal für einen klaren Sieg für die Nein-Kampagne zu interpretieren. Zu gross ist die Ungewissheit im Zusammenhang mit den übrigen anstehenden Urnengängen. Der Dauerbrenner AHV-Sanierung hat grosses Mobilisierungs-Potenzial bei urbanen Bevölkerungsschichten, vor allem bei den Frauen, die sich vehement gegen ein höheres AHV-Alter einsetzen. Die Frauen sympathisieren gemäss den jüngsten Umfragen gleichzeitig stärker mit der MTI-Vorlage. Das könnte der jüngsten Landwirtschafts-Initiative Auftrieb verleihen, zumal die ländliche Bevölkerung derzeit deutlich weniger kämpferisch unterwegs ist als im Frühsommer 2021.
Diese Ausgangslage sorgt bei der Kampagnenführung für eine gewisse Nervosität, auch weil sie festgestellt hat, dass die Last auf weniger Schultern verteilt ist als beim letzten Abstimmungskampf. Am stärksten engagiert sind die Geflügel- und Schweinebranche, bei den Rindviehhaltern sind es vor allem die Munimäster, die üble Konsequenzen aus einem allfälligen Ja befürchten.
Detailhandel steht erneut vollständig abseits
Eine ihrer Hauptaufgabe sehen die Gegner deshalb darin, in der knappen verbliebenen Zeit auch die Milchvieh-, Ackerbau- und Spezialkulturbetriebe aus der Reserve zu locken und die teilweise nicht sehr hohe Dichte der Nein-Fahnen an den Strassenrändern zu erhöhen. Erneut vollständig abseits stehen im Abstimmungskampf der Detailhandel und die teilweise in seinem Besitz stehenden Verarbeiter. Dieses Phänomen ist nicht neu, aber deswegen nicht minder ärgerlich, steht doch gerade für diese Stufen mit der MTI viel auf dem Spiel.
Ungeachtet dieser kritischen Punkte wäre ein Ja zur MTI eine grosse Überraschung. Zu deutlich sind die Schwächen der Vorlage, die hinter vorgehaltener Hand selbst von befürwortenden Vertreter(innen) aus der Landwirtschaft bestätigt werden. Initiativen, welche zu teureren Nahrungsmitteln, geringerer Auswahl und höheren Importen führen, sind erfahrungsgemäss chancenlos. Zudem ist die MTI ein weiteres Beispiel für ein Begehren, das Schuld und Sühne an den unbestrittenen Problemen der Erde an die Landwirtschaft alleine delegiert.
Die Kritik an der Nutztierhaltung wird aber unabhängig vom Abstimmungsausgang unvermindert anhalten, dafür gibt es klare Indizien. Die Landwirtschaft und insbesondere die Tierhaltung haben einen beträchtlichen Anteil an den Treibhausgas (THG)-Emissionen zu verantworten. Hier wird nicht nur der gesellschaftliche Druck weiter ansteigen, auch die Verarbeiter, welche ihre Klimabilanzen säubern müssen, nehmen vermehrt Einfluss auf die Urproduktion. Erwartet werden also Fortschritte beim Tierwohl (dem Fokus der MTI) und bei den Emissionen, wobei diese Kombination zu vielen Zielkonflikten führt, die wiederum primär die Landwirtschaft zu lösen haben wird.
Fragen in Sachen Genetik beim Geflügel
Die wichtigsten Schauplätze der künftigen Auseinandersetzung lassen sich nicht abschliessend, aber grob umschreiben: Im Bereich Rinderhaltung werden Milchvieh- und Mutterkuhhaltung gefordert sein, die bisher teilweise weitmaschigen grünen Teppiche dichter zu flechten. Gut drei Viertel der tierischen Emissionen stammen vom Rindvieh, das schleckt kein Kalb weg. Erste Schritte diesbezüglich sind eingeleitet.
Die Schweine- und Geflügelhaltung wird sich derweil noch stärker als bisher für ihren hohen Importfutteranteil zu rechtfertigen haben. Gleich-zeitig stellen sich vor allem bei Legehennen und Poulets Fragen im Bereich Genetik. Wenn die MTI etwas bewirkt hat, dann das breite Bewusstsein, wie hart am Limit die Tiere hier geführt werden (Stich-worte z. B. Wachstumsquoten und Legeleistungen). In diesen Diskussionen muss die Landwirtschaft noch verstärkt Mitverantwortung der vor- und nachgelagerten Sektoren sowie der Konsumentenschaft einfordern. (Zu) günstiges Fleisch und Eier sind primär Resultat der gesamtgesellschaftlichen Nachfrage.