Pro: Eine komplette digitale Abwehrhaltung ist fahrlässig
Die Digitalisierung in der Schweizer Landwirtschaft schreitet voran, wenn auch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Kurz zusammengefasst ist es dank benutzerfreundlichen Lösungen und der grossen Bedeutung für den Endrohertrag die Tierhaltung, wo es funktioniert. Derweil hapert es noch im Pflanzenbaubereich. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen: Der Einsatz von Drohnen nimmt stark zu, sei es beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Nützlingen, sei es bei der Prävention von Rehkitzvermähung.
Dort, wo die Landwirt(innen) konkreten Nutzen sehen, sind sie dabei, dort, wo er fehlt, müssen sich die Anbieter etwas einfallen lassen, um die Nutzerzahlen zu erhöhen. Wenn Barto noch schwächelt, liegt das nichtan einer grundsätzlichen Ablehnung der Digitalisierung, sondern am Angebot, das noch zu wenig auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten ist. Zudem gibt es im Pflanzenbaubereich eine ganze Reihe von Konkurrenten, so ist zurzeitmindestens ein halbesDutzend elektronische Feldkalender auf dem Markt.
Das zeigt, dass das Geld für einen Grosskonzern wie Fenaco im Bereich Digitalisierung nicht auf der Strasse liegt. Klar verfolgt man wie auch Swissgenetics und andere Unternehmen kommerzielle Interessen. Aber diese Unternehmen stehen in einem digitalen Lernprozess und müssen stets aufpassen, dass sie nicht überholt werden von agilen Start-ups, deren Gründer die Digitalisierung schon mit der Muttermilch eingesogen haben.
Was heisst das alles für die Bauern und Bäuerinnen?Sie sind umworben als Kund(innen). Diese Konkurrenzsituation ist positiv und drückt die Preise. Jede und jeder wird dennoch selber entscheiden, in welchen Bereichen eine App oder ein neues Programm angezeigt ist und wo man lieber auf den Feldkalender in der Küchenschublade zurückgreift.
Eine komplette Abwehrhaltung gegenüber der Digitalisierung wäre aber fahrlässig, auch für über Fünfzigjährige. Wer qualifizierte Kaufentscheide treffen will, musssich minimal auskennen, sonst läuft man Gefahr, über den Tisch gezogen zu werden. Das ist im digitalen Business genau dasselbe wie im analogen Viehhandel. Diese Grundkenntnisse werden heute in den Schulen vermittelt. Wer diesem Alter entwachsen ist, tut gut daran, sich von den Lernenden oder anderen «Digital Natives» (in der digitalen Zeit Geborenen) ins Bild setzen zu lassen.
Der Datenschutz ist selbstverständlich ein nicht zu vernachlässigendes Thema. Allerdings gibt es ja kaum einen Berufsstand, der (auch ohne Digitalisierung) derart umfassend durchleuchtet wird wie die Landwirtschaft. Das gilt für den Administrativbereich, aber auch für die kommerziellen Geschäftspartner. Durchsichtig sind die Bauern ohnehin, aber sie müssen wissen, wie der Röntgenapparat funktioniert.
Adrian Krebs
Contra: Es bleibt schliesslich eine Frage der Motivation
Chefredaktor Adrian Krebs hat mich jüngst gefragt, ob man überhaupt gegen ein Vorantreiben der Digitalisierung in der Landwirtschaft einstehen könne. Diese Frage konnte ich inbrünstig mit Ja beantworten.
Viele der aktiven Bäuerinnen und Bauern sind mit Kugelschreiber und Papier aufgewachsen. Ihre Notizen liegen auf dem Bürotisch. Sie schauen auf dem Papier oder auf der Stalltafel nach, wann die Kuh gekalbt hat. Sie beobachten die Herde, um zu sehen, ob ein Tier brünstig ist. Das soll ändern. Sensoren sollen uns sagen, was im Stall passiert, ohne dass wir diesen überhaupt betreten. Was die junge Generation zu faszinieren vermag, schreckt viele ü50er aber noch ab.
Die Vorteile der Digitalisierung sind bekannt. In erster Linie kann die Entwicklung Entlastung im Alltag bringen. Sie erinnert uns, ohne dass wir selber denken müssen. Die Daten fliessen, zum einen die, die wir selber erfasst haben aber auch die, die ohne unser Zutun aufgezeichnet werden. Die Systeme nehmen uns Denk- und Handlungsarbeit ab – im extremsten Fall werden wir den Tierarzt auf dem Platz haben, bevor wir merken, dass eine Kuh Fieber hat. Gut für die Kuh, gut für den Tierarzt – und für die Bauern? Was wir an diesem Beruf stets so ausloben, rückt plötzlich in den Hintergrund. Die unternehmerische Freiheit und die Vielseitigkeit leiden. Der Beruf verändert sich.
In der Praxis zeigt sich, dass digitale Angebote vereinzelt auf grosse Resonanz stossen. So zum Beispiel die App Smartcow. Die Zuchtverbände haben gute Arbeit geleistet und konnten die Tierbesitzer(innen) überzeugen, dass es Sinn macht, jedes Tier mobil im Auge zu haben. Auch das Bild mit der weidenden Kuhherde auf der Handy-Oberfläche bleibt im Kopf hängen. Gut geworben!
Der digitale Hofmanager Barto hat da mehr Mühe. Mich erstaunt das nicht. Ich erinnere mich an das Werbebild der Dokumentations-Plattform mit dem halbierten Blumenkohl, das mich fragend stehen liess. Dass eine verständliche und eingängige Werbung wichtig wäre, machen uns die Detailhändler vor.
Aber Barto hat noch eine weitere Hürde. Und die ist der Grund, warum ich die Frage des Chefredaktors inbrünstig mit Ja beantworten konnte. Was ist die Motivation? IP-Suisse ist mit ihrer Plattform ADA zwischengelandet. Das ist die Organisation aber nicht, weil das nicht funktionieren würde, sondern weil sie (zu) viele Projekte hat. Wer bietet diese Plattformen an? Welche Motivation steht dahinter? Welchen Nutzen haben sie vom «gläsernen Bauer»? Wenn im Fall von Barto Organisationen wie Fenaco, Claas oder Swissgenetics derart im Vordergrund stehen und so stark deren Unabhängigkeit gepredigt wird, dann läuten bei mir die Alarmglocken. Das Interesse dieser Firmen ist klar – es ist kommerzieller Natur.
Simone Barth