Der Dozent aus Forel-sur-Lucens im Kanton Waadt verlässt Zollikofen nach zehn Jahren. Martin Pidoux reüssierte an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) unter anderem darin, stets offen gegenüber Personen ausserhalb der Landwirtschaft zu sein. Im Interview erzählt er aber auch, welche landwirtschaftskritischen und liberalen Gedanken seinen Puls höherschlagen lassen.
Die BauernZeitung hat sich anlässlich seiner beruflichen Neuausrichtung als Direktor der bäuerlichen Organisation Prométerre mit ihm getroffen.
Martin Pidoux, jetzt ist nach zehn Jahren Schluss mit der HAFL. Wie fühlen Sie sich?
Martin Pidoux (lässt an der Kaffeemaschine zwei Kaffees in die Tassen plätschern): Ja, schon komisch. Aber es war eine sehr gute Zeit. Wollen Sie Milchschaum?
Wieso nicht, danke. Erzählen Sie mir, was hat Sie «landwirtschaft-isiert»?
Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Das Thema Landwirtschaft begleitet mich seit meiner Kindheit. Aber erst durch meine Ausbildung zum Agronomen habe ich realisiert, wie unglaublich breit und spannend das ganze Themenfeld rund um die Lebensmittelproduktion ist. Ich finde noch heute, die Studienrichtung Agrarwissenschaft und die Landwirtschaft an sich sollte viel bekannter sein, als sie es ist.
War diese Wahrnehmung auch eine Motivation, an die HAFL lehren zu kommen?
Ja, das ist sicher so. Ich hatte die Stelle ausgeschrieben gesehen und mein Glück probiert. Tatsächlich hatte es geklappt – ich war so glücklich. Die Arbeit mit den angehenden Agronomen und Agronominnen hat mich immer animiert, weil die Leute hier auch so animiert sind. Es ist, als liege die Mentalität «Alles ist möglich» in der Luft. Das hat mich inspiriert.
Holen Sie sich die Inspiration für Ihre Tätigkeit als Dozent für Agrarpolitik und -märkte manchmal auch auf dem Betrieb, den Sie zusammen mit Ihrem Vater und Ihrem Kollegen führen?
Es war eine spannende Aufgabe, die Transitionsphase des Betriebs begleiten zu dürfen. Ich habe selbst auch viel gelernt, als wir einen neuen Betriebszweig aufgebaut und intensiviert haben. Seit einigen Jahren bin ich mit einem Pensum von ungefähr 20 % auf dem Betrieb für die Administration zuständig und unterstütze bei Arbeitsspitzen. Problemstellungen vom Betrieb hatten mir manchmal vielleicht schon einen Denkanstoss für meine Arbeit im Büro und im Hörsaal gegeben.
Ist die Landwirtschaft denn Ihre Leidenschaft?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich muss nicht jedes Wochenende an eine Kuhausstellung. Aber das braucht es eben auch nicht. Es wäre dringend nötig, auch Personen von ausserhalb der Landwirtschaft «reinzulassen». Wir können es uns nicht leisten, wählerisch zu sein. Wir brauchen neue Leute, neue Inputs. Nur weil man mit dem Traktor nicht rückwärts manövrieren kann, heisst es noch lange nicht, keine guten Ideen für die Landwirtschaft einbringen zu können.
Ich muss nicht jedes Wochenende an eine Kuhausstellung. Aber das braucht es eben auch nicht.
Für Martin Pidoux ist die Landwirtschaft keine Leidenschaft.
Da bin ich mit Ihnen einig.
Das ist eine der Schwierigkeiten, die wir in der Landwirtschaft haben. Viele Bauern denken immer noch, es hat nur Platz für Bauerntöchter oder Bauernsöhne. Das bedauere ich. Die Branche muss offener werden.
Apropos Offenheit: Sie stellten sich als Romand in einer Fachhochschule im deutschsprachigen Raum die Herkulesaufgabe, den Röstigraben zu überwinden. Das sei Ihnen gelungen, hört man von verschiedenen Seiten. Wie wird das nun weitergehen an der HAFL?
Ich habe das mit viel Freude gemacht. Immerhin sind 25 bis 33 % der Studierenden aus der Westschweiz, das muss man anerkennen. Übrigens geht es beim Thema Bilinguismus nicht nur um die Sprache, sondern vielmehr um die Kultur. Es ist wichtig, dass hier auch welsche Kultur Platz hat.
Haben Sie im Verlauf dieser Dekade, an der Sie an der HAFL geforscht und unterrichtet haben, eine Veränderung im Verhalten der Studierenden festgestellt?
Ich habe den Eindruck, dass das Thema Klima unter den Studierenden sehr stark ins Zentrum gerückt ist. Die jungen Leute sind bewusster geworden, sie versuchen, nachhaltiger zu denken und zu agieren. Das entnehme ich aus den Gesprächen mit den Studierenden. Dieser Austausch brachte mich auch immer wieder dazu, mein eigenes Verhalten zu reflektieren. Das schadet nicht.
Der Agrarmarkt war in den letzten Jahren vielen Krisen ausgesetzt. Wie hat er sich deshalb verändert?
Es ist unglaublich, was alles passiert ist. Da war der Arabische Frühling im Jahr 2010/2011, zeitgleich entfachte die Eurokrise. Dann drehte sich alles um die Trump-Administration, später die Corona-Pandemie, das Mercosur-Freihandelsabkommen und jetzt kämpfen wir mit den Konsequenzen der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen. Der Schweizer Markt war stark von all diesen Faktoren beeinflusst – zeigte sich jedoch resilient. Das ist unter anderem den guten Beziehungen zu verdanken.
… und dem starken Grenzschutz?
Ja, das ist sicher wahr.
Stimmen aus der Privatwirtschaft und liberale Zeitungen kritisieren diesen Grenzschutz immer lautstarker. Was ist Ihre Haltung dem gegenüber?
Ich bedauere das. Diese Polemik schadet und polarisiert mehr, als sie nützt. Da erwarte ich auch etwas Respekt. Es ist frustrierend, Kritik von Personen anzunehmen, die keine Ahnung haben. Ich muss sagen, in der Romandie sind diese Stimmen weniger präsent.
Und wie soll es Ihrer Meinung nach mit den Direktzahlungen weitergehen?
Ich glaube, die Entkopplung von Preis und Leistung ist zu weit fortgeschritten. Man sollte die Direktzahlungen vielleicht wieder an eine nachhaltige Produktion koppeln.
In die Zukunft blickend: Welche Sorgen machen Sie sich?
Wir müssen wettbewerbsfähig bleiben und nachhaltiger werden. Momentan decken die Produzentenpreise die Produktionskosten nur selten und es ist wegen immer strengerer Vorschriften immer schwieriger zu produzieren. Gleichzeitig sind die Preise in der EU deutlich tiefer. Das macht den Wettbewerb extrem kompliziert.
Und sonst?
Allgemein finde ich unsere schon fast überhebliche Haltung gegenüber dem Ausland problematisch. Wir sind zwar gut, aber die anderen sind nicht überall schlechter. Auch hier müssen wir offener werden. Es kann uns nicht schaden!
Sie haben sich intensiv mit den Themen Grenzschutz und Marktöffnung beschäftigt. Was sehen Sie, wenn Sie in die Zukunft des Schweizer Agrarmarktes blicken? Mehr Regulierung oder mehr Markt?
Das kommt stark auf die Gestaltung der AP 30 an. Es ist etwas früh im Prozess, um eine Prognose machen zu können. Jetzt werden Ideen gesammelt und getestet. Eine jetzige Grenzöffnung würde nicht funktionieren – ich spreche lieber von einer Grenzanpassung oder einer Grenzoptimierung im Sinn nachhaltige Wertschöpfungsketten. Die Bewegung in diese Richtung wäre vertretbar und darf kein Tabu sein.
Hansjörg Jäger, der ehemalige stellvertretende Chefredaktor der BauernZeitung wird die Nachfolge von Martin Pidoux antreten. Zuvor war er der Geschäftsführer der Agrarallianz.