Chinesische Teigtaschen, indisches Curry mit Naan, malaysische Laksa-Suppe: Die Küche Singapurs ist so vielfältig wie seine Bevölkerung. In den beliebten Hawker Centers – halb offenen Gebäuden mit diversen Essensständen – bekommt man schon für weniger als 4 Singapur-Dollar (Fr. 2.90) eine der schmackhaften Spezialitäten. Viele Singapurer essen hier täglich.

Abhängig von Importen

Einer von ihnen ist der 23-jährige Marketingstudent Raphael Foo Chuan Kai. Nicht ohne Stolz schwärmt der Singapurer mit chinesischen Wurzeln: «Ich liebe die grosse Auswahl an verschiedensten Speisen. Immer, wenn ich im Ausland bin, vermisse ich das Essen hier.» Gekocht wird bei Raphael zu Hause nur ein bis zwei Mal pro Woche, ansonsten essen seine Familie und er auswärts. Woher das Essen kommt, das bei ihm auf dem Teller landet, interessiert ihn kaum: «Wie die meisten Singapurer vertraue ich auf die strikten Hygiene- und Qualitätsstandards. Daher ist die Herkunft der Lebensmittel unsere letzte Sorge.»

90 Prozent muss importiert werden

Um seine wachsende Bevölkerung ausreichend mit Essen versorgen zu können, ist Singapur auf massive Importe angewiesen. Über 90 Prozent aller Lebensmittel müssen aus dem Ausland eingeführt werden. Die Folgen dieser Abhängigkeit: Der Ausbruch einer Epidemie in einem der Zuliefererstaaten könnte zu Versorgungsengpässen führen. So wurde im Januar der Import von Schweinefleisch aus gewissen Regionen Chinas untersagt – Grund dafür war ein lokaler Ausbruch der Schweinegrippe. Auch politische Entscheide können Knappheiten nach sich ziehen. Als Malaysia zu Beginn dieses Jahres den Export von gewissen Fisch- und Shrimp-Arten untersagt hatte, um die einheimische Versorgung sicherzustellen, musste in Singapur mit Preisanstiegen gerechnet werden.

Keine Angst vor Engpass

Davor, dass es eines Tages zu einem ernsten Engpass in der Lebensmittelversorgung kommen könnte, hat Raphael Foo Chuan Kai keine Angst. Und glaubt man dem Global Food Security Index, so hat er recht damit. Denn Singapur steht weltweit auf Platz 1 in Sachen Lebensmittelsicherheit.

«Die Herkunft der Lebensmittel ist unsere letzte Sorge.»

Raphael Foo Chuan Kai, Marketingstudent aus Singapur.

Dies dank günstiger Essenspreise relativ zu den Haushaltseinkommen, hohen Hygienestandards und einer mehrheitlich verlässlichen internationalen Versorgungskette an Nahrungsmitteln.

Kaum Landwirtschaft im Land

Die einheimische Landwirtschaft hat in Singapur keinen hohen Stellenwert: Dieser Wirtschaftssektor machte 2017 gerade einmal 0,03 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Weniger als ein Prozent der Landesfläche wird für landwirtschaftliche Zwecke eingesetzt. Zum Vergleich: In der Schweiz werden knapp 36 Prozent der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt.

Eine schmerzliche Lehre

Blickt man in der Geschichte des Stadtstaats zurück, so kam der Landwirtschaft nie eine allzu grosse wirtschaftliche Bedeutung zu; Land war schon immer knapp. Dennoch gab es Bestrebungen nach mehr Selbstversorgung – dies allerdings erst, nachdem die Zeit der japanischen Besetzung (1942 bis 1945) schmerzlich aufgezeigt hatte, was es heisst, von der Lebensmittelversorgung abgeschnitten zu sein. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs kam es zu einer Hungersnot, als die Hauptkanäle von Lebensmittelimporten abrupt unterbrochen wurden. Schnell entwickelte sich ein Schwarzmarkt, was die Preise in astronomische Höhen schnellen liess. Um zu überleben, hatten viele Menschen keine andere Wahl, als eigenes Essen anzubauen.

Ackerflächen verdreifacht

In den Nachkriegsjahren wurde intensiv daran gearbeitet, die inländische Nahrungsmittelproduktion anzukurbeln, speziell in den Bereichen Gemüse und Fleisch. Mit Erfolg: So entwickelte sich beispielsweise die Geflügelproduktion derart gut, dass Poulet sogar exportiert werden konnte. Zudem wurden die Ackerflächen verdreifacht – von rund 2000 Hektaren im Jahr 1940 zu gut 6000 Hektaren in 1947.

Steigerung der Produktion dank Bildung

Auch in die Bildung der Landwirte wurde investiert: 1965 wurde die erste landwirtschaftliche Schule Singapurs eröffnet. Die Regierung erhoffte sich davon, die landwirtschaftlichen Erträge weiterhin steigern zu können. Doch die anfängliche Begeisterung nahm schon bald ein Ende: Bereits 1984 wurde die erste und einzige Landwirtschaftsschule Singapurs wieder geschlossen – dies aufgrund rückläufiger Nachfrage nach Ausbildungsplätzen.

Ökotourismus statt Landwirtschaft

Die folgenden Jahrzehnte waren von einer rasanten Verstädterung geprägt. Immer mehr Landwirtschaftsfläche musste dem wirtschaftlichen Aufschwung weichen. Innerhalb von 50 Jahren wurde das Agrarland auf einen Zehntel reduziert. Heute konzentrieren sich die landwirtschaftlichen Aktivitäten auf sechs Agrotechnology Parks in den weniger dicht besiedelten Regionen Singapurs. Statt auf Fläche setzt man dort neben gesteigerter Produktivität dank Forschung auch auf Ökotourismus.

Grosse Zukunftspläne

Auf einem dieser Bauernhöfe war Raphael Foo Chuan Kai, so wie viele Singapurer, noch nie – zu weit der Weg und zu gering das Interesse. So erstaunt es auch nicht, dass Raphael erzählt: «Ich kenne niemanden in meinem Alter, der sich vorstellen könnte, Bauer zu werden.» Dabei steht die Singapurer Landwirtschaft vor einem grossen Kraftakt: Mit der Strategie «30 by 30» hat die Regierung das ambitionierte Ziel gefasst, Singapurs Selbstversorgungsgrad bis im Jahr 2030 auf 30 Prozent zu steigern, was einer Verdreifachung der aktuellen Quote gleichkommt. Viele Kommentatoren begrüssen den Entscheid, bezeichnen ihn in Zeiten von Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Handelskriegen gar als längst überfällig.

Vage Massnahmen

Doch den Entschluss auch umzusetzen, wird eine grosse Herausforderung – zumal noch nicht klar ist, die Produktion welcher Lebensmittel gefördert werden soll. Man geht davon aus, dass der Fokus vor allem auf Blattgemüse, Fisch und Eier gelegt werden wird. Auch die vom Ministerium für Umwelt und Wasser kommunizierten Massnahmen sind noch eher vage: «Dank Technologie mit weniger Mitteln mehr produzieren, mehr Flächen für die Landwirtschaft freigeben, einheimisches Expertenwissen fördern und die Bevölkerung zum Kauf lokaler Produkte bewegen».

Was schon heute feststeht: Selbst wenn «30 by 30» erfolgreich sein sollte, der Stadtstaat wird auch in Zukunft stark vom Ausland abhängig sein, um Raphael und die gut fünfeinhalb Millionen anderen Singapurer ernähren zu können. 

 

Singapur in Zahlen

  • 721,5 km² ist die Landesfläche von Singapur, das aus einer Insel besteht. Dies ist ungefähr so gross wie der Kanton Glarus.
  • 5,6 Mio Menschen leben in dem Stadtstaat.
  • 1965 erklärte Singapur seine Unabhängigkeit von Malaysia.
  • 4 Landessprachen gibt es: Chinesisch, Englisch, Malaiisch und Tamil.
  • 27 Grad ist die Jahresdurchschnittstemperatur des tropischen Landes.
  • 170 Länder exportieren Lebensmittel nach Singapur.