In der Landwirtschaft arbeiten Lernende nicht nur eng mit der Bauernfamilie zusammen, sondern leben meist auch auf dem Hof. Bei dieser Konstellation spielt das Zwischenmenschliche eine grosse Rolle. Die BauernZeitung hat Ueli Lehmann, Leiter Bildung beim Berner Bauernverband (BEBV), einige Fragen dazu gestellt.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Faktoren für ein gutes Zusammenleben zwischen Lehrmeisterfamilie und Lernender/Lernendem auf dem Hof?
Ueli Lehmann: Grundsätzlich ist es in der landwirtschaftlichen Grundbildung nicht anders als überall, wo man zusammenlebt und -arbeitet. Der Schlüssel ist eine Kommunikation, die von Anfang an funktioniert. Durch Offenheit und Ehrlichkeit der Lehrvertragsparteien kann das nötige Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Dann braucht es bestimmt ein gewisses Verständnis beider Parteien. Die Berufsbildner(innen) haben jährlich wechselnde Lernende auf dem Betrieb, auf die man sich individuell einstellen muss. Die Lernenden ihrerseits tauchen oftmals in eine ganz neue Welt ein, in der sie sich erst mal zurechtfinden müssen.
Welche Regeln sind wichtig?
Neben Ehrlichkeit und Anstand ist der gegenseitige Respekt eine wichtige Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Lehrverhältnis. So tragen die Lernenden beispielsweise die nötige Vorsicht im Umgang mit Tieren und Maschinen während der Arbeit und bringen das nötige Interesse für den Beruf mit. Die Berufsbildner setzen sich ihrerseits für ein vielseitiges und spanendes Vermitteln der geforderten Lerninhalte ein. Zur Festlegung der betriebsindividuellen Regeln empfehlen wir den Berufsbildnern eine Haus- oder Betriebsordnung zu erstellen. In dieser werden individuelle Regeln (siehe Kasten) für Betrieb und Haushalt festgelegt. Die Hausordnung soll den Lernenden schon beim Schnuppern gezeigt und bei Lehrvertragsabschluss unterzeichnet werden.
Zur Person
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Ueli Lehmann ist Leiter Bildung beim Berner Bauernverband (BEBV).
Wie sieht die ideale Unterbringung aus?
Das ist sehr individuell. Viele fühlen sich in einer eigenen kleinen Wohnung oder einem Studio sehr wohl, gerade Zweitausbildner(innen). Lernende im ersten oder zweiten Lehrjahr freuen sich vielleicht über ein eigenes Zimmer mit Bad und Familienanschluss, darüber, am Abend ab und zu mit der Bauernfamilie etwas zu unternehmen. Der Trend geht sicher in die Richtung, dass die meisten Lernenden sich abends zurückziehen und digitale und soziale Medien konsumieren, statt mit der Familie zusammen TV zu schauen.
Das Handy ist für die heutigen Jugendlichen sehr wichtig. Was raten Sie bei diesem Thema?
Die Herausforderung Natel ist in der Tat riesengross, denkt man nur daran, mit welcher Geschwindigkeit Bilder zirkulieren können, die auf den Betrieben gemacht worden sind. Am besten regelt man den Handygebrauch in der Hausordnung, dann hat man etwas Schriftliches, wenn das Natel plötzlich während der Arbeit doch für private Zwecke genutzt wird. Im Notfall kann verlangt werden, das Natel während der Arbeit zu deponieren und ein Betriebsnatel zur Verfügung gestellt werden. Meist ist es praktisch, wenn man den Lernenden während der Arbeit anrufen kann.
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Was kann die Lehrmeisterfamilie bei schulischen Problemen tun?
Es ist gang und gäbe, dass der Berufsbildner von den schulischen Leistungen Kenntnis hat. In der Regel verlangt er Einblick in die Proben. Wenn man sieht, dass es dort in den ungenügenden Bereich geht, sollte man Hilfe anbieten. Viele Berufsbildner machen einen Lernabend einmal oder jede zweite Woche und setzen sich dabei mit den Lernenden zusammen, um schulische Belange zu besprechen. Ein wichtiges Instrument können Stützkurse sein, wie sie zum Beispiel das Inforama im Kanton Bern im ersten und zweiten Lehrjahr anbietet. Es ist entscheidend, dass man den Lernenden dann Zeit gibt, diesen zu besuchen. Zum Lernen zwingen kann man die jungen Menschen jedoch nicht.
Was können Berufsbildner(innen) tun, wenn sie merken, dass die Lernende oder der Lernende persönliche oder psychische Probleme hat?
Leider ist es nicht immer einfach, solche Probleme frühzeitig zu erkennen. Wenn Probleme erkannt werden, gibt es im Kanton Bern für Lernende ein Beratungsangebot am Inforama, welches sehr gute Unterstützung bietet. Wenn der oder die Lernende noch nicht volljährig ist, ist es wichtig, die Eltern möglichst früh zu kontaktieren. Oftmals kann auch der Berufsbildner/ die Berufsbildnerin oder dessen/deren Partnerin/Partner eine wichtige unterstützende Rolle als Vertrauensperson übernehmen.
Eine Hausordung kann helfen - ein Beispiel
Der Berner Bauernverband (BEBV) empfiehlt den Berufsbildner(innen), zusammen mit dem Lehrvertrag eine Hausordnung von den Lernenden unterzeichnen zu lassen. Hier ein zur Verfügung gestelltes Beispiel. Wichtig ist es, dieses auf die eigene Situation auf dem Betrieb anzupassen:
Wir sind offen und ehrlich zueinander.
Zimmer: Radio, Stereoanlage und Fernseher sind in Zimmerlautstärke zu gebrauchen. Das Zimmer ist in Ordnung zu halten. Tägliches Bettmachen ist erwünscht und Schmutzwäsche gehört in die richtigen Wäschekörbe in der Waschküche sortiert. Das Zimmer wird einmal in der Woche von uns gereinigt und die Bettwäsche sowie die Frotteewäsche werden von uns gewechselt.
Körperpflege/Badezimmer: Tägliches Duschen und Wechseln der Unterwäsche wie auch der Socken ist erwünscht. Das Badezimmer ist in Ordnung zu halten, damit es auch von anderen benützt werden kann.
Essen: Wir haben folgende Essenszeiten: Frühstück: 7.30 Uhr; Mittagessen: 12.10 Uhr; Abendessen: 18.30 Uhr. Wir bitten dich, diese Zeiten einzuhalten, ausser du erhältst eine andere Weisung. Auch wenn der Chef noch nicht da ist, halte dich bitte an die Zeiten. Falls es ein bisschen drüber und drunter geht, ist die Chefin auch nicht abgeneigt, wenn man in der Küche mithilft, sei das beim Tischdecken, Getränkeholen oder aber auch mit dem Abräumen.
Kleider: Wir haben Arbeitskleider und übrige Bekleidung. In den Arbeitskleidern erscheint man bei uns nicht am Tisch, sondern die wechselt man bei der Heizung. Hausschuhe sind erwünscht. Alle Kleider müssen regelmässig gewechselt werden und in der Waschküche sortiert in die Wäschekörbe deponiert werden.
Familienanschluss: Du gehörst bei uns zur Familie. Kinderzimmer, unser Schlafzimmer und das Bad im Erdgeschoss sind jedoch unsere Privaträume.
Rauchen: In unserem Haus und unserer Familie wird nicht geraucht, ebenso bei der Arbeit. Wenn du es trotzdem nicht lassen kannst, musst du es im Freien während deiner Freizeit tun.
Alkohol und Drogen: Jeglichen Kontakt zu Drogen lehnen wir ab und ist für uns Grund für eine fristlose Entlassung. Wenn du Probleme hast, sind wir immer für dich da, damit wir miteinander einen sinnvollen Weg suchen können. Auch Alkohol brauchen wir nicht für ein erfülltes Leben, jedoch verurteilen wir ein Gläschen in gemütlicher Runde oder ein Bier nach getaner Arbeit nicht.
Lerndokumentation/Schule: Schule, Lerndokumentation usw. sind in deiner Verantwortung. Wir sind immer für dich da, wenn du Unterstützung brauchst, jedoch es ist an dir, zu uns zu kommen.
Telefonieren/Handy: Für kurze, notwendige Telefonate steht dir unser Telefon zur Verfügung. Das Handy gehört nicht an den Tisch, und auch in der Arbeitszeit ist es zu unterlassen, zu telefonieren, ausser wenn es für den Betrieb unerlässlich ist.
Ausgang/Besuche: Wenn Du ein Hobby hast, das man unter der Woche regelmässig ausübt, kannst du das in Absprache selbstverständlich wahrnehmen, solange es mit deiner Arbeit zu vereinbaren ist. Wir können das Thema Besuch miteinander situativ besprechen.
Wenn jede(r) von uns Anstand, Verständnis und Toleranz ausübt, werden wir es auch schön haben miteinander.
Wo findet die Lernende oder der Lernende Hilfe, wenn er Probleme auf dem Lehrbetrieb hat?
In diesem Fall meldet sie oder er sich am besten bei der kantonalen Lehraufsicht. Bei uns im Kanton Bern ist diese beim Berner Bauernverband angegliedert. Wir nehmen dabei eine neutrale Rolle ein und versuchen, zwischen den Vertragsparteien zu vermitteln und eine Lösung zu finden.
Was soll man tun, wenn es zu Spannungen kommt?
Wir empfehlen erst eine Aussprache mit der anderen Vertragspartei. Wenn der Lernende nicht volljährig ist, sollten die Eltern dabei sein. Falls keine Einigung erzielt wird, organisieren wir normalerweise ein Gespräch auf unserer Geschäftsstelle oder auf dem Lehrbetrieb und versuchen die Wogen zu glätten.
In wie vielen Fällen hilft das alles nicht mehr, und ein Lehrverhältnis wird vorzeitig aufgelöst?
In den letzten zwei Jahren wurden im Kanton Bern je knapp 10 Prozent der abgeschlossenen Lehrverträge wieder aufgelöst. Es fällt dabei auf, dass in vielen Fällen das Zwischenmenschliche als Begründung genannt wird. Vor zehn, fünfzehn Jahren lag die Zahl der Lehrvertragsauflösungen noch deutlich tiefer.