Das Obertoggenburg ist ein beschauliches, von der Alpwirtschaft und vom Tourismus geprägtes Tal: Von Wattwil her kommend auf der rechten Seite die Churfirsten, auf der linken Seite das Alpsteingebirge. Doch die Idylle trügt. Zwischen den vermeintlichen Alpgebäude-Eigentümern (in der Folge aufgrund rechtlicher Korrektheit Alpgebäude-Nutzer) und den St. Galler Ämtern schwellt ein Streit. Es geht um die Eigentumsverhältnisse.

Jahrhundertelang gehörte der Boden den sukzessiv gegründeten Alpkorporationen, die Gebäude waren seit je her in Privateigentum. Mit der Überarbeitung des Grundbuchs im Kanton St. Gallen sollen sich die Eigentumsverhältnisse geändert haben. Als Eigentümer der Gebäude sind nun die Alpkorporationen im Grundbuch eingetragen. «Wir wurden enteignet. Quasi stillschweigend und über Nacht.» Das sagt Josef Koller. Er ist einer der Betroffenen und kämpft an vorderster Front für sein Eigentum.

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Vor vollendete Tatsachen gestellt

Josef Koller oder «Schäflisepp der Alte», wie ihn die Einheimischen nennen, sitzt an einem Tisch im Restaurant «Schäfli» in Alt St. Johann, vor sich einen Stapel von Dokumenten. Er ist nicht Bauer, sein Bruder hat den elterlichen Betrieb übernommen. Josef Koller hat vom Grossvater in der Erbteilung die Alpgebäude auf dem «Flis» 1984 gekauft.

Im Winter 2019 zerstörte eine Lawine die Gebäude. Koller meldete den Schaden der Gebäudeversicherung (GVA). Von der Gemeinde Alt St. Johann erhielt er eine Spezialbewilligung für den Wiederaufbau. Die Alpkorporation, welcher der Boden gehört, gab die mündliche Zustimmung. «Alles lief normal», so Koller. Er baute die Gebäude wieder auf, brachte sie auf den neusten Stand, machte sie lawinensicher und verpachtete sie letzten Sommer wieder.

Plötzlich ging die Schadensgutsprache an den Alppräsidenten

Im Frühling 2021 stellte er einen weiteren Gebäudeschaden fest, den er wiederum der GVA meldete. Die Schadensgutsprache wurde dieses Mal an den Alppräsidenten geschickt. Erst da stellte Koller fest, dass auch die Rechnungen für die Gebäudeversicherung an die Alpkorporation gingen. Auf Nachfrage erfuhr er, dass nicht mehr er, sondern die Alpkorporation als Eigentümerin der Gebäude eingetragen ist. Koller hatte bis dahin mehr als eine halbe Million Franken investiert.

Der nächste Hammer kam für Koller am 16. September 2021. Dann sollte eine Neueinschätzung der Gebäude durch das Grundbuchamt gemacht werden. «Diese Schätzung wurde mir nicht eröffnet, ich wurde nicht einmal eingeladen», berichtet Koller. Obwohl seine Empörung gross ist, spricht er mit ruhiger Stimme. Er legte Einsprache gegen die Schätzung ein. Diese ist nun sistiert, aufgrund eines ähnlichen Falles im Nachbardorf Nesslau.

Historisch gewachsene Strukturen

Abo Toggenburg «Verträge haben keine Eigentumswirkung, solange nichts im Grundbuch eingetragen ist» Monday, 31. January 2022 Die Grundbuchaufsicht St. Gallen stützt sich auf das Zivilgesetzbuch (ZGB), das 1912 in Kraft trat. Die Alpkorporationen im Toggenburg gibt es allerdings schon viel länger. Und genau da liegt die Krux. Die Alpen wurden nach der Loslösung von den Klöstern Mitte des 16. Jahrhunderts in Korporationen umgewandelt, die Alpgebäude durch die privaten Bewirtschafter erstellt und so auch weiterverkauft und übertragen. Die Alpen galten als Allgemeingut und wurden durch die Alpkorporation verwaltet. Daraus entstand einerseits das Anrecht auf Nutzung (Boden) und das Anrecht auf Eigentum (Gebäude).

Diese Alprechte wurden in den Alpbüchern festgehalten. Die Alpkorporation Flis ist 1341 erstmals urkundlich erwähnt, das im Gebrauch stehende Alpbuch datiert von 1699. Das Grundbuchamt berufe sich auf Artikel Nr. 667 im ZGB, der besage, dass alles, was auf einer Parzelle im Ober- und Untergrund gebaut wird, zur Parzelle gehöre, sagt Josef Koller. «Aber das kann hier nicht angewendet werden, weil die Gebäude privat gebaut wurden – vor Einführung des ZGB.»

Regelung in anderen Kantonen

Die heutigen Besitzverhältnisse im Toggenburg gehen auf eine lange geschichtliche Entwicklung zurück. Die Klöster als Alpeigentümer verliehen die Alprechte gegen Abgaben an die Bauern. Die Alpnutzer wurden, wenn auch nicht juristisch, durch Gewohnheit faktisch zu Eigentümern der durch sie bewirtschafteten Alpen. Das macht die Situation im Toggenburg so aussergewöhnlich.

Im Kanton Uri gibt es zwei Korporationen, Uri und Ursern. Grund und Boden gehören der Korporation, die Alpgebäude den Bewirtschaftern bzw. Alprechtbesitzern im Gebiet der Korporation Uri. Die Gebäude sind als Baurecht auf Allmend im Grundbuch eingetragen. Die Regelung der Baurechte richtet sich nach der Verordnung über das Baurecht auf Allmend.

Im Kanton Schwyz gibt es eine grosse Alpkorporation, die Oberallmeindkorporation Schwyz (OAK). Die meisten Alpgebäude sind in Privatbesitz. Bei 42 Alpeinheiten befinden sich die Alpgebäude im Eigentum der OAK. Diese werden verpachtet.


Im Kanton Bern werden die Alpen privat, genossenschaftlich oder in Alpkorporationen bewirtschaftet. «Bei den Alphütten wird von überlieferten Baurechten ausgegangen, soweit diese nicht in das Grundbuch aufgenommen worden sind», führt Jürg Flück, Grundbuchverwalter beim Grundbuchamt Oberland, aus. Alphütten, die nicht einer Alpgenossenschaft oder -korporation zuzuordnen sind, wurden laut Flück mit Baurecht im Grundbuch eingetragen.

Gegen Treu und Glauben

Josef Koller fühlt sich übergangen. Und er ist mit seiner Situation nicht alleine. Bis zu 20 Alpzimmer-Nutzer und fünf Alpkorporationen haben sich ihm bereits angeschlossen. Jakob Knaus aus Unterwasser ist ebenfalls ein Betroffener. Er ist Landwirt und Eigentümer von 30 Alprechten auf der Alp Flis sowie des Alpzimmers «Chirchli». Dazu gehören eine Alphütte, ein Vieh-, ein Schweine- und ein Jungviehstall.

Knaus berichtet: «Ich wurde erstmals stutzig, als ein Älpler aus Nesslau Probleme mit seinem Eigentum auf der Alp bekam und sich rechtlich wehrte. Als die Rechnung der Gebäudeversicherung 2021 nicht mehr an mich geschickt wurde, war für mich der Fall klar: Auch ich wurde enteignet.»

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Streit scheint vorprogrammiert

Jakob Knaus ist gleich doppelt betroffen: Das «Chirchli» auf der Hochalp hat er 2007 käuflich mit dem Grundbucheintrag vom Voreigentümer erworben. Auf der Voralp, der Alp Trosen, ist Knaus' Vater Eigentümer einer Alphütte und eines Viehstalls. Die Gebäude sind in Familienbesitz seit 1700. Jakob Knaus ist Pächter. «Mit der jetzigen Situation ist es meinem Vater nicht mehr möglich, die Gebäude an mich oder meinen Bruder zu übertragen.»

Es ist genau dieser Punkt, der ihm Sorgen macht. Es gebe bereits erste Fälle, wo das vormalige Familieneigentum nicht mehr vom Vater auf den Sohn übertragen werden konnte. Dafür braucht es jetzt die Unterschrift der Alp-Organe. «Wenn nun jemand kommt und Anspruch auf ‹mein› Alpzimmer erhebt und die Alpkorporation dem zustimmt, bin ich weg!», gibt Knaus zu bedenken. «Alles, was ich investiert und aufgebaut habe, wäre nun wertlos.» Streit ist so vorprogrammiert, befürchtet Knaus und meint mit Blick in die Zukunft: «Mit diesem Problem werden die zukünftigen Generationen konfrontiert werden.»

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Knaus bezeichnet das Vorgehen des Kantons als «absolut unschweizerisch». Zwar gab es in Nesslau im Frühling 2020 eine Informationsveranstaltung. Da seien die Betroffenen aber vor vollendete Tatsachen gestellt worden, sagt Knaus. Er ist enttäuscht: «Ich hätte erwartet, dass man sich mit den beteiligten Parteien an einen Runden Tisch gesetzt hätte, um eine geeignete Lösung zu suchen. Ich bin mir sicher, diese hätte man auch gefunden.»

Koller will Baurecht eintragen lassen

Für Josef Koller ist indes klar: «Die Grundbuchaufsicht hat total versagt. Es kann doch nicht sein, dass man uns unser Eigentum wegnimmt – das notabene öffentlich beglaubigt ist –, weil die Ämter Fehler gemacht haben.» Seine Briefe an die St. Galler Ämter sowie an das Landwirtschaftliche Zentrum Salez blieben monatelang unbeantwortet. Das Grundbuchinspektorat schrieb ihm, für Fehler der Grundbuchämter sei man nicht zuständig und man habe keine Ressourcen, um Beanstandungen nachzugehen.

In den letzten Tagen ist nun plötzlich Bewegung in die Sache gekommen. So schrieb das Landwirtschaftsamt Koller in einem elektronischen Schriftverkehr, dass es Sinn machen würde, alle Vertreter der Alpkorporationen zu Gesprächen einzuladen.

Unabhängig davon will Koller versuchen, «seine» Gebäude als Baurecht im Grundbuch eintragen zu lassen. Von der Alpkorporation hat er bereits das mündliche Einverständnis. Einfach so hinnehmen wollen Koller und seine Mitstreiter das Geschehene nicht. Sie wollen den rechtlichen Weg beschreiten und falls nötig bis vor Bundesgericht gehen. Und was geschieht, wenn sie vor Gericht unterliegen? Kollers Antwort ist kurz und bündig: «Dann reisse ich alles ab. Ich investiere doch nichts mehr!»