Beim Anblick von Baustellen, wo haufenweise Stroh herumsteht, staunt man nicht schlecht. Doch der Anschein trügt nicht: Das Stroh wird später tatsächlich in die Fassaden verbaut. Die Bauweise gilt als besonders nachhaltig und ist seit einigen Jahren auf dem Vormarsch. Das Atelier Schmidt in Trun hat sich auf die etwas andere Bauweise spezialisiert und setzte in der Schweiz, in Deutschland und Italien in den letzten zwanzig Jahren bereits fünfzig Strohhaus-Projekte um. Darunter Anbauten von Bauernhäusern, Infrastruktur für Ferien auf dem Bauernhof und Hofläden.
Das Strohhaus wurde salonfähig
Werner Schmidt, Architekt und Maurer, beobachtet: «Vor 20 Jahren wurden wir als Exoten betrachtet – in den letzten fünf Jahren ist Stroh jedoch langsam salonfähig geworden.» So würde sich beispielsweise das Institut für nachhaltiges Bauen der ETH für den Strohballenbau interessieren. «In den letzten zwei Jahren konnten wir eine Überbauung in Nänikon mit 28 Wohneinheiten realisieren», so Schmidt. «Die Bereitschaft mit Stroh zu bauen, wird durch die fortschreitende Sensibilisierung betreffend Nachhaltigkeit immer grösser», ist sich Schmidt sicher.
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Holzkonstruktion mit Stroh gefüllt. (Bild Atelier Schmidt)
Geringer Energiebedarf
Das Bauen mit Stroh ist aber auch finanziell interessant, wie einige Fachzeitschriften berichten. Stroh hat einen sehr hohen Dämmwert und weist eine tiefe Wärmeleitfähigkeit auf. Daher ist der Energiebedarf von Strohballengebäuden niedriger als bei herkömmlichen Bauten. Auch die Unterhaltskosten seien gering. Gegenüber dem Magazin «Nachhaltig Leben» erklärt Werner Schmidt: «Die Gebäudehülle ist beim Einsatz von Strohballen so gut gedämmt, dass meist kein zusätzliches Heizen nötig ist.» Für die Aufbereitung von Warmwasser müssten dennoch Energiequellen, wie beispielsweise Solarpanels, zugezogen werden, so der Architekt. Die Strohballenhäuser entsprechen jedoch nicht dem Minergiestandard. Für die Zertifizierung müssten kontrollierte Lüftungsanlagen eingebaut werden, worauf man im Atelier Schmidt bewusst verzichtet, so Werner Schmidt gegenüber einem Fachmagazin.
Vergleicht man die graue Energie – also die Energie für die Herstellung, den Transport, die Lagerung und die Entsorgung eines Baustoffes – schneidet Stroh auch um einiges besser ab als Beton, betont Werner Schmidt. Nebst der wärmedämmenden Funktion begünstigt Stroh durch seine Atmungsaktivität auch ein gutes Wohnraumklima.
Die Strohballe bestimmt die Wanddicke
Bei der nachhaltigen Bauweise handelt es sich um gepresste Strohballen, die in Kombination mit einer Holzkonstruktion in die Wände integriert sind. Die getrockneten Getreidehalmüberresten können aber auch eine lasttragende Funktion eines Gebäudes einnehmen, erklären Experten. Das Stroh wird durch das Pressen so bearbeitet, dass es als stabiler Baustoff eingesetzt werden kann. Dabei bestimmt die Grösse der Strohballe die Dicke der Wand. Dies ist aber von aussen nur schwer erkennbar. «Die Strohballen-Bauten unterscheiden sich diesbezüglich kaum von herkömmlichen Betonbauten», stellt Werner Schmidt fest.
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Ein Hofladen aus Stroh entsteht. (Bild Atelier Schmidt)
Auch vor Feuer sicher?
Baustoffe müssen für eine vorgegebene Dauer im Brandfall ihre Funktion erhalten können. Diese Funktionen umfassen die Tragfähigkeit, die Rauchdichtigkeit, die Verhinderung der Brandausbreitung durch Wärmestrahlung oder Wärmeleitung. Um also die mit Stroh gefüllten Holzelemente feuerresistent zu machen, werden die Wände mit Kalk und Lehm verputzt. Der Kalk schützt so zusätzlich vor Feuchtigkeit in den Wänden.
«Beton ist nicht besser oder schlechter als Stroh – Beton ist einfach anders».
Werner Schmidt
Mit dieser Bauweise erfüllen diese Häuser die Feuerwiderstandsklasse R 60, wie Gabriel Diezi im «Baublatt» schreibt. Der Buchstabe «R» steht dabei für die Spezifikation «Tragfähigkeit», die Zahl 60 für die Anzahl Minuten, in denen die Wände dem Feuer standhalten. Die Kombination der Baustoffbezeichnung steht daher für die Klassifizierung «60 Minuten hochfeuerhemmend». Die Unterkellerung dieser Gebäude ist dennoch aus Beton.
Kurzinterview mit Werner Schmidt: «Die Nachteile vom Bauen mit Stroh sind gleichzeitig die Vorteile»
Für den Bau eines Hofladens in Herbrechtigen-Eselsburg (Deutschland) hat das Atelier Schmidt Stroh verwendet. Von wo wurde das Stroh bezogen und zu welchem Preis?
Werner Schmidt: Der Bauherr des Hofladens Biotal ist eine Hofgemeinschaft von fünf Biobauern. Das verwendete Stroh haben die Biobauern selbst angebaut. Den Preis für das verwendete Biostroh kenne ich deswegen nicht.
Weil Stroh CO2 bindet, gilt das Bauen als nachhaltig. Denken Sie, dass diese Bauweise das Potenzial hat, in Zukunft breit umgesetzt zu werden?
Wenn die Menschen das Thema CO2 und die Nachhaltigkeit wirklich ernst nehmen und wichtige Umweltziele auch umsetzen wollen, ist Stroh aus meiner Sicht das ideale Material zum Bauen. Unter dieser Voraussetzung hat das Stroh ein sehr grosses Potenzial in der Zukunft.
Warum?
- Minimale graue Energie für die Erzeugung der Baumaterialien und den Aufbau des Hauses.
- Häuser mit möglichst wenig Energieverbrauch, möglichst autarke Gebäude errichten.
- Möglichst wenig graue Energie für den Abbruch und die Entsorgung des Gebäudes in 100 Jahren.
Was ist der Hauptunterschied zum Bauen mit Beton?
Wird mit Stroh isoliert, wird ein CO2-Speicher gebaut, welcher die Umwelt entlastet. Wenn man mit einem konventionellen Isolationsmaterial isoliert, wird durch die Erzeugung CO2 produziert und belastet dadurch die Umwelt. Ausserdem kann man mit Stroh «dick» isolieren (bis 120 cm Wandstärke) ohne dass die Kosten explodieren. Und wenn man in 100 Jahren das Strohhaus abbricht, ist Stroh kein Sondermüll, sondern verrottet auf dem Feld. Zudem ist Stroh in genügender Menge vorhanden, da Weizen, Gerste, Triticale, Emmer, Dinkel usw. sowieso angebaut werden.
Angeblich ist brandschutztechnisch das Strohhaus sogar sicherer als ein Betonbau. Können Sie dies bestätigen?
In den umliegenden Ländern wurden viele Brandschutztests realisiert. Zum Beispiel wurde in Deutschland ein Brandschutztest mit einer 50 cm starken Strohwand – beidseitig mit Lehm verputzt – getestet. Das Resultat war F90-B, das bedeutet, dass die Wand 90 Minuten dem Feuer widerstanden hat. Eine Betonwand mit dem gleichen Wert müsste 16 cm stark sein. Aus meiner Sicht kann man nicht sagen, Beton ist besser oder schlechter, Beton ist einfach anders.
Was sind die Nachteile vom Bauen mit Stroh?
Der Nachteil von Stroh ist zugleich sein Vorteil. Stroh ist feuchteempfindlich, die Konstruktion muss so sein, dass keine Feuchtigkeit von unten, von der Seite, von oben oder auch von innen konstant in die Strohwand eindringt. Wenn die Konstruktion nicht richtig geplant oder realisiert wurde, wird der Bauherr oder die Bauherrin innerhalb eines Jahres (innerhalb der Garantiefrist) dies bemerken.
Können Sie das Bauen mit Stroh auch für landwirtschaftliche Neubauten empfehlen?
Für landwirtschaftliche Bauten ist Stroh nach meiner Ansicht das ideale Baumaterial. Wir haben realisiert, dass Bauern noch eher einen entspannten Zugang zum Material Stroh haben. Interessierte können sich jederzeit an uns wenden. Wir können auch entsprechende Kontakte für allfällige Besichtigungen vermitteln.
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