Es gibt dieses Sprichwort vom Elefanten im Raum. Der Elefant ist eine Metapher für ein Problem, das für eine Gruppe von Menschen klar erkennbar ist, jedoch von diesen nicht respektive unzureichend thematisiert wird.
Produzieren wir in der Schweiz zu viel Fleisch? Diese Frage könnte so ein Elefant im Raum sein. Man könnte die Frage auch weiterspinnen und fragen, ob unsere Landwirtschaft auf längere Sicht nachhaltig produziert. Und falls nein: Wie soll unsere Landwirtschaft produzieren, damit sie langfristig funktioniert, nachhaltig ist und möglichst viele Menschen in der Schweiz ernährt?
Mit diesen Fragen setzte sich ein Netzwerkanlass auseinander, der am 1. November in Zürich durchgeführt wurde. Organisiert wurde die abendfüllende Veranstaltung, die sich mit allen Sinnen um die Ernährung und die Zukunft der Ernährung drehte, vom Verein Soil to Soul.
Nachhaltig, souverän und sicher
Der Anlass begann mit einem Podiumsgespräch im Saal des Lokals Karl der Grosse im Zürcher Niederdorf. Das Motto «Nachhaltig, souverän und sicher – wie geht das?» und auch die geladenen Gäste auf der Bühne lockten das Publikum an. Im Zuschauersaal sass eine mehrheitlich weibliche und städtisch angehauchte Zuhörerschaft. Ihnen gegenüber sassen auf der Bühne Franziska Herren, Initiantin der Trinkwasser-Initiative und Mit-Initiantin der Initiative für eine sichere Ernährung, Kilian Baumann, Nationalrat (Grüne, BE) und Präsident der Kleinbauern-Vereinigung, Anna Peters, ehemalige Projektleiterin Nachhaltigkeit der Migros Gruppe und neu Key-Account Director bei WWF Schweiz, und schliesslich auch noch Martin Haab, Nationalrat (SVP, ZH) und Präsident des Zürcher Bauernverbandes.
Moderator Andrin Willi leitete die Diskussion. Diese bot bereits erste «Vorboten» eines Schlagabtausches im Kontext des sich abzeichnenden Abstimmungskampfes zur «Initiative über eine sichere Ernährung». Diese Initiative strebt einen Netto-Selbstversorgungsgrad von 70 % an.
Fleischwerbung stört Herren
Anfangs waren sich alle Teilnehmer einig, dass die Schweizer Landwirte auch in Zukunft möglichst viele nachhaltige Lebensmittel produzieren sollen. Beim «Wie» teilten sich die Meinungen entlang der Positionen auf.
Für Franziska Herren, Killian Baumann und Anna Peters steht fest, dass die Schweizer Landwirtschaft und auch die Ernährung sich «transformieren» müssen. Diese Transformation beinhaltet unter anderem auch die Fleischproduktion. So sollen weniger Tiere gehalten werden, deren Nahrung in direkter Konkurrenz zum Menschen steht. Dazu trug jeder seine Argumente vor.
Franziska Herren stört sich vor allem an den vielen Ackerkulturen, die als Futter für Nutztiere angebaut werden. Die hohen Tierbestände verursachten übermässige Emissionen. Als Resultat müsse man Seen beatmen und es leide die Biodiversität. Ebenfalls stört sich Herren an Werbung für Schweizer Fleisch wie Poulet, das nachweislich aus mehr als 50 % Importfutter hergestellt werde. Für Anna Peters steht fest, dass bei einem Selbstversorgungsgrad von 70 % die gesamte Ernährung der Schweizer Bevölkerung umgestellt werden müsste. «Es braucht insgesamt einen viel grösseren Push in Richtung Pflanzliches», sagte sie. Damit das gelinge, müsse auch der Handel mitspielen und mehr attraktive pflanzliche Proteine anbieten.
Kilian Baumann sieht es als erwiesen an, dass die Politik zu wenig Druck macht: «Die Ausgangslage ist seit der letzten Bundeshauswahl leider ungünstig.» Die Politik fördere sogar unsinnige Entscheide. Als solche erwähnte er den Autobahnausbau, die Zersiedelung oder die Werbung für Fleisch und Wein. «Auf der einen Seite setzen wir auf Alkoholprävention, auf der anderen bremsen wir wieder.» Beides werde vom Bund gefördert. Wie bei den Zigaretten lässt die Politik laut Baumann Probleme häufig zuerst durch «die Branche» lösen. Erst wenn das nicht funktioniere, werde sie früher oder später aktiv.
Unstete, tiefe Erträge
Für Martin Haab war die Ausgangslage ungünstig. Die Zuschauer teilten, ihren Zwischenbemerkungen nach zu beurteilen, eindeutig die Meinungen der anderen Diskussionsteilnehmer. Haab war sich dessen bewusst, «Ich rechnete damit, dass es 1 zu 99 sein würde. Ich verschliesse mich diesen Diskussionen aber nicht, weil ich sie als extrem bereichernd empfinde.»
In der Diskussion verwies Martin Haab darauf, dass gerade viele Proteinkulturen wie Linsen zu tiefe und zu unstete Erträge abwerfen würden und sich der Anbau folglich für den Landwirt nicht lohne. «Man könnte auch von Food Waste sprechen», sagte er. Haab verwies auf das globale Bevölkerungswachstum, das eher nach einer nachhaltigen Intensivierung verlange, und sorgte sich um die künftige Generation von Landwirten: «Wir müssen schauen, dass wir auch noch in 20 bis 30 Jahren Menschen haben, die diese Tätigkeit ausüben möchten.» Er ging auch auf den Selbstversorgungsgrad ein: Mit einer Reduktion des Food Waste lasse sich dieser um mehrere Prozentpunkte anheben.
Keine Antworten, dafür ein Steak
Eine konkrete Antwort, wie die Landwirtschaft und die Ernährung der Zukunft aussehen sollten und wie wir als Gesellschaft dort hinkommen, gab es leider nicht – der Elefant im Raum wurde nur gestreichelt.
Einen Höhepunkt lieferte dann das spätere Abendessen. René Gloser, Chefkoch des Zürcher Lokals Rüsterei, servierte mit seinem Team allerlei Leckeres, und zwar vom Tier, wie Innereien oder Herz, aber auch vom Feld. Die vegetarische Randenspeise, die wie ein saftiges Steak aussah, überraschte auch die Fleischliebhaber. Es gelang Gloser, daran zu erinnern, dass die Küche entscheidend zum Resultat auf dem Teller beiträgt.
«Land soll den Bauern gehören»
Der Netzwerkanlass fand im Rahmen des Soil-to-Soul-Symposiums, das vom Verein Soil to Soul organisiert wurde, statt. Hinter der Organisation steckt ihr Gründer Thomas Sterchi. Sterchi ist eidg. dipl. Medienmanager und Unternehmer. Er hat die Web-Plattform jobs.ch aufgebaut und vor rund 16 Jahren für mehrere Millionen Franken verkauft. Seither ist der Unternehmer mit seiner «Tom Talent»-Gruppe in den verschiedensten Bereichen tätig. Dazu gehören unter anderem die Farm Terramay in Portugal, die regenerative Landwirtschaft betreibt, das Restaurant Rüsterei in Zürich, das Musikfestival «Zermatt unplugged» sowie der Verein Soil to Soil und das gleich-namige Symposium.[IMG 2]
Herr Sterchi, wo sind Sie aufgewachsen? Haben Sie einen bäuerlichen Bezug?
Thomas Sterchi: Ich bin in Köniz bei Bern aufgewachsen, der grösste Teil meiner Familie mütterlicherseits ist allerdings als Milchbauern im Berner Oberland tätig. Dort hatten wir auch ein Ferienhaus, wo ich einen Teil meiner Kindheit verbrachte. Gerne erinnere ich mich an Stallbesuche mit meinem Grossvater und «Ferientage» auf der Alp bei meinem Onkel Hans Heimberg.
Sie sind Unternehmer, 2018 haben Sie im portugiesischen Alentejo ein Landgut von 600 ha Grösse erworben. Das ist in der Schweiz nicht möglich. Was sagen Sie zur Revision des bäuerlichen Bodenrechts, die zurzeit in der Vernehmlassung ist?
Kurz und bündig: Landwirtschaftliches Land sollte mehrheitlich den Bäuerinnen und Bauern gehören. Alles, was mehr unternehmerischen Spielraum und Perspektiven für Schweizer Bäuerinnen und Bauern verspricht, befürworte ich. Aus meiner Sicht sind die Bäuerinnen und Bauern durch verschiedene Sachzwänge und Akteure zu sehr eingeschränkt. Auf unserer Farm Terramay im Alentejo ist auch konkret geplant, dass die befreundete Betreiberfamilie ihre bestehenden 10%-Anteile schrittweise – und auf Basis der Erreichung von unternehmerischen Meilensteinen – auf 50 % aufstockt. Ohne meine siebenstelligen Investitionen und die Bereitschaft, die anfänglichen Betriebs-verluste zu decken, wäre jedoch die Regenerierung dieses Landes nicht realistisch gewesen.
Planen Sie, auch in der Schweiz Landwirtschaftsflächen zu übernehmen?
Nein.
Unterstützen Sie regenerative Projekte in der Schweiz? Welche sind das und mit welchen von Ihren Mitteln?
Mit unserer Bewegung Soil to Soul. Konkret mit unserer Produzenten-Arena: Da bringen wir Bäuerinnen und Bauern aus nachhaltiger Landwirtschaft und Gastronomen zusammen und versuchen so, den Direktverkauf von Produkten zu fördern. In unserem Restaurant Rüsterei in Zürich beziehen wir den grössten Teil unserer Produkte direkt von regenerativen Bauernhöfen, unter anderem von Zalpenblick, Rinderbrunnen, Slow-Grow und Gut Rheinau. Wir pflegen ein nationales und ein internationales Netzwerk von Spezialisten in der regenerativen Landwirtschaft, die teils auch beim Soil-to-Soul-Symposium aufgetreten sind. Im Oktober haben wir in Zusammenarbeit mit der Biodynamischen Bauernschule und der Stiftung Lebensraum aus Süddeutschland Bodenkurse durchgeführt. Zudem bin ich ein grosser – auch finanzieller – Unterstützer der «Initiative für eine sichere Ernährung», die mit Sicherheit die Entwicklung der regenerativen Landwirtschaft in der Schweiz beeinflussen wird.