«Die Diskussion rund um die Zukunft der Landwirtschaft ist in den letzten Monaten noch intensiver geworden», stellte Moderatorin und NZZ-Redaktorin Angelika Hardegger eingangs der Fachtagung «Vision Landwirtschaft 2050» fest, die vor einer Woche im Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen (LZSG) in Salez stattfand. Die Tagung habe aufgrund der Pandemie verschoben werden müssen, der aktuelle Termin sei jedoch im Hinblick auf die Abstimmung umso passender.

Globale Herausforderungen

Im Zentrum der Veranstaltung stand die Frage, welche Handlungsstrategien sich der Landwirtschaft hinsichtlich globaler Herausforderungen bieten, die sich etwa in Form von Bevölkerungswachstum, Klimawandel oder Krisen wie der aktuellen Corona-Pandemie stellen.

Bernard Lehmann, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) und heute unter anderem Vizepräsident des Expertenrats für Welt-Ernährungssicherheit der Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der UNO (FAO), warf zunächst einen Blick auf die globalen Versorgungsverhältnisse: «Obwohl im Schnitt genügend vorhanden ist, haben zwei Milliarden Menschen nicht immer genügend Zugang zu Nährstoffen, was sich mit der Pandemie noch verschärft hat. Auf der anderen Seite gibt es ein gravierendes Ausmass an Food Loss und Food Waste.»

Was die Schweiz betrifft», so der Agrarökonom, «sind Importe von Lebensmitteln aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte legitim und gefährden die Lebensmittelsicherheit anderer nicht». Unser Land sollte den Weg der Desintensivierung einschlagen, das heisst, weniger externe Hilfsstoffe pro produzierte Menge einsetzen. Gefragt sei auch eine Veränderung beim Konsum. Um Lösungen zu finden, brauche es vermehrt einen Austausch zwischen Landwirten und Konsumenten, es sei wichtig, die Leute abzuholen.

Gentechnik als Schlüsseltechnologie

In ihrem Inputreferat wies BLW-Vizedirektorin Gabriele Schachermayr darauf hin, dass die Pflanzenzüchtung für die nachhaltige Ernährung ein wichtiges Thema sei. So sei etwa zu erwarten, dass 2050 in der Schweiz zehn bis elf Millionen Menschen leben. Dazu komme der Klimawandel, welcher an viele Pflanzen grosse Anforderungen stellt und das Auftreten von Schädlingen begünstigt.

«Pflanzenzüchtung ist eine der Schlüsseltechnologien, um dem gegenüberzutreten», meinte Schachermayr. In der Schweiz würden derzeit rund 50 Pflanzenarten züchterisch bearbeitet. Gemäss einer vor ein paar Jahren durchgeführten Situationsanalyse wurden hierzulande dafür 10 Millionen Franken jährlich für die Pflanzenzüchtung aufgewendet, heute dürften es bereits mehr sein. «Im Vergleich zum Ausland, etwa Deutschland, ist dies jedoch wenig», so Schachermayr. Mit dem geplanten Swiss Plant Breeding Center könne eine Lücke zwischen Forschung und Anwendung geschlossen werden. Dazu gelte es, finanzielle wie auch rechtliche Grundlagen zu schaffen.

Abgrenzung nicht möglich

Markus Kobelt ist Gründer und Geschäftsführer der Firma Lubera GmbH in Buchs, die unter anderem Züchtungsprogramme für Beeren und Obst betreibt und deren Angebot sich auch an Hobbygärtner richtet. In seinem Referat beleuchtete er den Widerspruch von Züchtung und genetischer Vielfalt: «Nur wenn wir den Zufall zulassen, erhalten wir neue Sorten», sagte Kobelt. «Mutationszüchtung hingegen produziert keine Diversität.» So bringe die Gentechnik nur Varianten hervor.

Eine andere Sichtweise beleuchtete Karl-Heinz Camp von der Firma Delley Samen und Pflanzen AG. Das Westschweizer Unternehmen züchtet und produziert landwirtschaftliches Saatgut, wobei die Züchtung von Resistenzen eine wichtige Rolle spielt. Aufgrund des laufenden Gen-Moratoriums ist man dabei auf konventionelle Methoden angewiesen. Camp sprach sich gegen ein Gentechnik-Verbot aus: «Die Forschung und Entwicklung von robusten Sorten wird dadurch behindert.» Zudem sei eine Abgrenzung zu natürlichen Mutationen wissenschaftlich nicht gegeben.

Mit der Frage, wie widerstandsfähig (resilient) Ernährungssysteme in Zeiten der Pandemie sind, befasst sich Martijn Sonneveit an der ETH. «Wie Corona gezeigt hat, sind vernetzte Systeme sehr anfällig», sagte der Agrarökonom. «Passiert etwas in China, wirkt sich dies schnell auch bei uns aus.» Die Frage laute, wie man damit umgehen könne. Schnelligkeit, Flexibilität und Ideenreichtum seien Beispiele für Eigenschaften, die Resilienz fördern können. Dies hätten Landwirte hierzulande gezeigt, beispielsweise mit dem Angebot von Gemüse-Abos.

Abhängigkeit vom Ausland

Wie wichtig der Selbstversorgungsgrad sei, um sich gegen Schocks zu rüsten, wollte Moderatorin Angelika Hardegger an der anschliessenden Podiumsdiskussion wissen. Martijn Sonneveit wies darauf hin, dass die Schweiz und Europa während der Corona-Pandemie kaum Schwierigkeiten bei der Versorgung hatten. Bernard Lehmann meinte: «Die Importe sind für die Schweiz wichtig, man sollte sie nicht verteufeln». Es sei aber auch möglich, den Selbstversorgungsgrad den Gegebenheiten anzupassen.

Ob die Schweiz bezüglich Saatgut nicht abhängig bleibe vom Ausland, fragte Hardegger weiter. «Alles Saatgut zu 100 Prozent aus dem Inland abzudecken, ist gar nicht möglich», sagte Gabriele Schachermayr. «Das muss auch nicht sein, ein gewisser Austausch ist sinnvoll.»

Die Moderatorin fragte auch nach den Einstellungen zur Genom-Editierung, die derzeit verboten sei. «Es gibt Grund zur Befürchtung, dass die kreative Züchtung mit der Zulassung moderner Methoden noch mehr ins Hintertreffen gerät», meinte Markus Kobelt. Laut Karl-Heinz Camp hingegen hat die Genom-Editierung Potenzial. Im Pflanzenschutz beispielsweise böte sie eine Werkzeugkiste, um resistente Sorten zu züchten.

Hardegger thematisierte zudem die Rolle des Konsums in der Zukunft. «Klimaschonende Ernährung geht mehr in Richtung pflanzliche Nahrung», sagte Lehmann. «Dazu müsste jedoch das Bewusstsein aktiv geschärft werden, beispielsweise weniger Fleisch zu essen.» Wie würde dies geschehen, wenn nicht durch Erziehen oder politische Eingriffe? Martijn Sonneveit meinte: «Das einfachste ist, das ich für mich etwas mache. Das sind die ersten Schritte!»