Der Wolf ist ein Raubtier, das lieb gewonnene Nutztiere tötet oder sie schwer verletzt und leidend zurücklässt. Er ist aber auch ein Teil unserer Ökosysteme, der lange Zeit gefehlt hat und in dessen Abwesenheit sich die Wildbestände in einem Mass vergrössert haben, das sie laut Förstern für unsere Wälder zur Belastung werden lässt. Anders als der Luchs, der ein heimliches Leben führt und kaum für Schlagzeilen sorgt, kann sich beim Gedanken an einen Wolf wohl kaum jemand eines gewissen Schauderns erwehren. Wir sind uns das Wissen nicht (mehr) gewohnt, dass da draussen im Dunkeln ein Grossraubtier auf leisen Pfoten unterwegs ist. Warum sollte man ein solches Tier unter Schutz stellen?

Die Geschichte muss sich nicht wiederholen

Die Diskussion um den Wolf ist seit jeher emotional aufgeladen. Die Art ist in der Schweiz nicht ohne Grund ausgerottet worden, sondern wegen massiver Konflikte mit der hiesigen Nutztierhaltung. So beschreibt es die Stiftung Kora, die sich um objektive Information und Forschung zum Wolf bemüht. Das heisst aber nicht, dass sich diese Geschichte mit seiner Rückkehr wiederholen wird. Denn es war laut Kora eine ganze Kette von Entwicklungen, die im 19. Jahrhundert in der Ausrottung des Wolfs gipfelte: Unkontrollierte Jagd und massive Entwaldung reduzierten das Schalenwild drastisch und es fehlte den Wölfen die Beute. Gleichzeitig wuchs der Nutztierbestand, der als neue Hauptnahrungsquelle für die Grossraubtiere diente. Tierhalter und Jäger, die ihr Vieh und den Rest des Wildes nicht mit Wölfen teilen wollten, wehrten sich – verständlicherweise – mit immer besseren Waffen, Fallen und Gift. Abschussprämien steuerten weitere Anreize bei, bis die Schweiz wolfsfrei war.

Der Wolfs als Wald-Nützling

Schweizerischer Forstverein Die Jagd habe entscheidenden Einfluss auf den Wolf – über die Reduktion der Wildbestände Wednesday, 30. November 2022 Wolfsfrei – oder wolfslos? Nach Angaben des Schweizerischen Forstvereins (SFV) spitzt sich die Situation mit der Waldverjüngung zu. Die jungen Bäume werden vom Wild verbissen und so klaffen ohne teure Massnahmen bald Lücken im Schutz- und Nutzwald. Die Jäger hierzulande haben Reh und Hirsch für sich allein, scheinen die Bestände aber nicht ausreichend regulieren zu können. Sie fressen ihnen – und den Waldeigentümern – zwar nicht die Haare vom Kopf, aber die Bäume aus den Wäldern. Wölfe könnten hier helfen, so die Hoffnung. Dies einerseits durch Risse, andererseits werden in der Wissenschaft Verhaltensänderungen bei den Beutetieren diskutiert. Leben und Äsen im Wald werden ungemütlicher. Laut einer Studie von 2018 zu den Effekten der Calanda-Wölfe auf den regionalen Wald ist die Gleichung «Wolf = weniger Wild = weniger Verbiss» aber zu einfach. Die Schäden variieren kleinräumig zu sehr, begründen die Autoren.

Eine unbefriedigende Begründung

Fakt ist, dass der Wolf ein einheimisches Tier ist. Die Berner Konvention hat kürzlich festgehalten, dass die Art auf europäischer Ebene nicht gefährdet ist. Da es aber kein länderübergreifendes Management gibt, müssten die kleinen nationalen Populationen als eigenständig betrachtet werden. Eine unbefriedigende Begründung dafür, dass Wölfe streng geschützt bleiben sollen – letztlich, weil sonst zu befürchten ist, dass jedes Land für sich die Ausrottung beschliesst?

Die Alternative wäre, dass zum Beispiel die Schweiz mit ihren Nachbarländern zusammenspannt. Es ginge darum, eine überlebensfähige Population im Alpenraum gemeinsam zu erhalten. Für die Schweiz würde das Studien zufolge etwa 17 alpine Wolfsrudel bedeuten, plus eine kleine Population im Jura, der ebenfalls viel geeigneten Lebensraum biete. Wir haben heute laut Bundesamt für Umwelt rund 200 Wölfe in 23 Rudeln.

Nicht nur die Anzahl ist entscheidend

Wintersession Der Nationalrat will Wölfe von September bis Januar regulieren lassen Thursday, 8. December 2022 Dann steht einer Bestandsregulierung analog zu Steinböcken, wie sie der Ständerat im revidierten Jagdgesetz verankern will, nichts mehr im Wege? Doch, denn Wölfe sind keine Steinböcke. Die Raubtiere können sich in ihrem (Jagd-)Verhalten deutlich unterscheiden – zu nennen wäre der berüchtigte M92, der sich regelrecht auf Nutztiere spezialisiert hatte. Es kommt also nicht nur auf die Anzahl Wölfe an, sondern entscheidend auf die Individuen, die in der Schweiz leben. Und je eher Abschüsse im Zusammenhang, also beispielsweise in der Nähe einer Weide oder einer Siedlung geschehen, desto eher lässt sich das Verhalten anderer Wölfe beeinflussen. Bei einer regelmässigen Bejagung wie beim Steinwild im Winter wird das schwierig. Und es wäre tatsächlich an der Zeit, das Thema Wolf grenzüberschreitend anzugehen. Schliesslich werden auch in Zukunft immer wieder Einzeltiere zuwandern.

Den Wolf müssen alle Schweizer(innen) mittragen

Revision des Jagdgesetzes Der Weg scheint frei für eine Bestandesregulierung beim Wolf Tuesday, 18. January 2022 Ob der Wolf hierzulande Platz hat, ist keine Frage des Lebensraums oder der Fauna, denn er ist keine exotische Art. Es ist eine gesellschaftliche Frage, die nicht mehr nur mit Nein beantwortet wird. Für Landwirt(innen) bedeuten Wölfe grossen Aufwand, Kosten und (Tier-)Leid. Warum sollte man sich das antun? Es muss ein gesellschaftlicher Entscheid sein, sich das anzutun – über ausreichende finanzielle sowie personelle Mittel und bei Bedarf unkomplizierter Soforthilfe inklusive Abschüssen sollte die Schweiz ihre Wolfspopulation gemeinsam tragen.

Eigentlich haben sich Vertreter aus Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Umweltschutz bereits vorbildhaft in diese Richtung bewegt und einen Kompromiss vorgelegt. Der Ständerat hat aber einen anderen Weg eingeschlagen. Als Nächstes hat dieser in die grosse Kammer geführt, die der Vorlage zustimmte; ob er auch zum Ziel einer für alle Beteiligten akzeptablen Wolfspopulation führt, ist fraglich. Im schlimmsten Fall steht bald die nächste Revision des Jagdgesetzes an.